Und stets grüßt der Superlativ

Ostfriesland hat Sehenswürdigkeiten wie die Kunsthalle in Emden. Im angrenzenden Ammerland wachsen Rhododendren. Die Ostfriesische Landschaft, ein Kommunalverband in Niedersachsen, findet das so famos, dass sie der Region eine „Kulturkarte“ widmet

Da hat sich die ganze Familie gerade in geselliger Runde zum postweihnachtlichen Kaffee-und-Kuchen auf der Sitzgruppe vor dem Kamin zusammengefunden, erblickt der Älteste doch tatsächlich noch dieses verschollen geglaubte Geschenk unterm Weihnachtsbaum. Bedeckt von Geschenkpapier und braunen Tannennadeln, mit einem Gruß vom Onkel aus Aurich, liegt dort die „Kulturkarte Ostfriesland“. Ein 116 Seiten dickes Buch mit „200 Sehenswürdigkeiten der ostfriesischen Halbinsel und des angrenzenden Ammerlands“, wie der Einband verrät. Gerade rechtzeitig zu Weihnachten sei es erschienen, „als ansprechendes Geschenk“, verkündet voller Stolz der Herausgeber, die Ostfriesische Landschaft.

Nun winkt der Jüngste ab, einen Ausflug ins Ammerland könne man beizeiten, bei gutem Wetter unternehmen, mit Fahrrad, Picknickkorb und mit dem Onkel aus Aurich. Übernächsten Sommer, schlägt er vor, derweil er auf Seite 13 den Satz „Burgen und Schlösser, die im Wasser träumen“ liest und vorausahnt, dass Kultur in diesem Buch ausschließlich mittelalterliche Kirchen, Schätze voll historischer Orgeln, alte Windmühlen mit Mahlsteinen, Kathedralen der Arbeit, Gulfhäuser und Denkmäler meint. Kultur Ü-50, denkt er, mittlerweile das andere Geschenk, die neue Wii-Konsole von Nintendo testend.

Doch aufgemerkt, die Kulturstätten, von denen hier geschrieben steht, sind allesamt die schönsten, die größten, die ältesten, „die allervorzüglichsten“ und „die geschichtsträchtigsten“ – wenn nicht weltweit, dann zumindest in Nordwestdeutschland oder in Ortschaften mit Namen wie Rastede, Pewsum und Zetel-Bohlenbergerfeld. Ja, so ist das eben mit Reise- und Landschaftsführern: Stets grüßt der Superlativ. Und wenn selbst dieser den geneigten Wandersmann nicht vom Sofa lockt, streut man hier und da Köder der besonderen Sorte: In Campen etwa steht nicht nur der höchste Leuchtturm Deutschlands, „er ähnelt“, so wollen es jedenfalls die Autoren, „in seiner Bauweise dem Eiffelturm in Paris“.

Auch die Ü-50-Schublade versucht man geschickt verschlossen zu halten. Vermeintlich peppige, knapp angerissene Anekdote leiten in die jeweiligen Kapitel ein. Da wird beispielsweise von Burgen berichtet, die komplexe „Geschichten von ostfriesischen Häuptlingen“ erzählen: „Fast so kompliziert wie die Sache mit der Abseitsfalle beim Fußball“. Gewiss, sie sind bemüht, die Autoren, gelacht wurde indes schon herzhafter.

Nun soll ein solcher Führer nicht unterhalten, er soll bieder servieren: Routen, Karten, Hintergrundinfos, Telefonnummern, Adressen und Bilder. Gibt es alles, ruft der Älteste in das Kaffeekränzchen, die fehlenden Öffnungszeiten übersehend. Und seine Freude ist kaum noch zu bändigen, als er die Landkarte von Ostfriesland und dem Ammerland auf der letzten Seite entdeckt: „Seht nur hier, alle beschriebenen Orte und Stätten sind markiert und man kann die Karte gar heraustrennen!“ Die Suche nach dem Kulturerbe in Ostfriesland kann beginnen – die „Kulturkarte Ostfriesland“ ist die passende Ergänzung zum Kulturnachmittag im Dritten.

ANDREAS BOCK

Ostfriesische Landschaft (Hrsg.): Kulturkarte Ostfriesland, Aurich 2006. Ostfriesische Landschaftliche Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH, 12 Euro