Das Bisschen Aufregung

URUGAY Die Fifa-Disziplinarkommission sperrt Luis Suárez für neun Spiele. Doch sein Verband zeigt Zähne

„Wenn jetzt jeder Spieler seine Wehwehchen zeigt, wird es kompliziert“, heißt es beim uruguayischen Verband. Außerdem war beim Beweisfoto bestimmt Photoshop im Spiel

VON MARTIN KRAUSS

Selbst aussagen wollte Luis Suárez nicht. Was einer wie der 27-jährige Stürmer der uruguayischen Nationalmannschaft mit dem Mund machen konnte, hatte er schon getan.

Am Donnerstag beschloss die Disziplinarkommission der Fifa in Rio de Janeiro, dass Suárez für neun WM- beziehungsweise WM-Qualifikationsspiele gesperrt wird. Darüber hinaus darf er vier Monate lang kein Fußballstadion betreten und muss eine Geldstrafe bezahlen.

Das Urteil basiert auf einer Tatsache, für die es nach der Meinung von Luis Suárez und vieler Uruguayer gar keinen Beweis gibt: der Biss von Suárez in die Schulter des Italieners Giorgio Chiellini am Dienstagabend.

Außerhalb Uruguays hatte man mit so einer Tat gerechnet. Im Toronto Star aus Kanada war schon im Dezember 2013 zu lesen: „Er wird irgendetwas Verrücktes bei der WM im Sommer machen. Merkt es euch. Und nachher wird er behaupten, dass da für eine riesige Summe eine hässliche Geschichte verbreitet wurde.“ Nach Angaben der norwegischen Zeitung Aftenposten hatte ein 23-jähriger Mann bei einem Wettanbieter 32 Kronen auf einen Biss von Suárez gesetzt: Er erhält nun 5.600 Kronen.

Und der US-Journalist Wright Thompson, der für ESPN arbeitet, war vor der WM nach Uruguay gefahren, um sich mit der Vorgeschichte des Stürmers des FC Liverpool zu beschäftigen. Schließlich hatte Suárez im Jahr 2010, als er bei Ajax Amsterdam kickte, einen Spieler gebissen – zwei Spiele Sperre. Und 2013, da war er schon beim FC Liverpool, biss er den Chelsea-Spieler Branislav Ivanovic in den Arm – zehn Spiele Sperre.

Wright Thompson ging der Information nach, wonach der Stürmer schon als 15-Jähriger bei einem Jugendspiel den Schiedsrichter mit einem Kopfstoß niedergestreckt haben soll, so dass dieser heftig blutete.

Wrights Ergebnis seiner Uruguay-Reise in einem Satz: „Jeder verteidigte Suárez.“ An den damaligen Schiedsrichter kam er, obwohl er den Namen kannte, nicht heran. Spielberichte von früher waren angeblich vernichtet, und ein Experte einer der großen Fußballzeitungen Uruguay wies ihn zurecht: Zum einen sei Suárez damals keine 15, sondern 16 Jahre alt gewesen. Zum anderen habe er sich nur geärgert und sei dann „in den Schiedsrichter hineingefallen“.

Die Reaktionen aus Uruguay nach Suárez’ Biss klingen ähnlich. Die Zeitung El Observado schrieb, es gebe doch „kein einziges Bild“, das den Moment des Beißens zeige. Und Últimas Noticias empörte sich: „Niemand spricht darüber, dass Suárez am Kinn und im Auge verletzt wurde.“ Sogar Staatspräsident José Mujica äußerte sich: „Er wird nicht dafür gelobt, ein großer Philosoph, ein Mechaniker oder ein Mensch mit guten Manieren zu sein, sondern weil er ein guter Fußballspieler ist.“

Ein Freund von Suárez, Alejandro Balbi vom Uruguayischen Fußballverband AUF, entwickelte eine besondere Verschwörungstheorie: „Wir haben keinen Zweifel, dass all das passiert, weil es Suárez ist und weil Italien ausgeschieden ist.“ Italien, England und andere Länder hätten ein Interesse daran, Uruguay zu schwächen. Zum Vorfall selbst sagt er: „Wir sind überzeugt davon, dass es ein absolut zufälliger Kontakt war.“ Chiellinis Schulter sei kein Beweis. „Wenn jetzt jeder Spieler seine Wehwehchen vorzeigt, um damit irgendwelche Verfahren einzuleiten, wird das künftig ganz schön kompliziert.“ Die Bilder, hieß es bei der AUF, könnten doch auch mit Photoshop bearbeitet sein. Und Nationaltrainer Óscar Tabárez verstand die Aufregung nicht: „Das ist eine Weltmeisterschaft, hier geht’s nicht um billige Moral“, sagte er noch vor dem Urteil.