Wiedergeburt mit Makeln

Ein Alkoholiker mit lukrativen Beraterverträgen und gebrochenem Verhältnis zur Wahrheit: So stellt die britische Regenbogenpresse Jean-Claude Juncker dar. Genützt hat es nichts. Wenn es nicht noch eine Riesenüberraschung gibt, wird Juncker heute für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission nominiert. Für den britischen Premier David Cameron und viele Journalisten von der Insel ist das eine Niederlage – für den 59-jährigen Christsozialen aus dem kleinen Großfürstentum ein später Triumph.

Noch vor sechs Monaten schien Junckers politische Karriere beendet. Nach 18 Jahren als Premier war er über eine Geheimdienstaffäre ins Straucheln geraten. Danach gewann er zwar noch eine Wahl – aber eine Regierung brachte er nicht mehr zustande. Lange zögerte er, bevor er sich zum Spitzenkandidaten der Konservativen im Europaparlament küren ließ. Er wollte gar nicht Kommissionschef, sondern Ratspräsident werden, munkelte man in Brüssel.

Zudem hatte sich Juncker noch mit Angela Merkel angelegt. In der Eurokrise wollte er eine andere, solidarischere Euro-Rettungspolitik als die deutsche Kanzlerin. Das war wohl auch ein Grund, weshalb Merkel so lange zögerte, sich zu „ihrem“ Spitzenkandidaten zu bekennen.

Zu sozial, zu föderal – dieses Urteil Camerons teilen auch viele in Berlin und im Brüssler Ministerrat. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme. Juncker sei „ein verstockter Raucher und Trinker“, erklärte der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. Junckers Vertraute konterten: Seit einem halben Jahr habe der kein Glas mehr angefasst. Der Kandidat sei frischer und tatkräftiger denn je.

Das klingt fast wie eine Wiedergeburt. Sie hat nur einen Makel: Juncker wird EU-Chef von Merkels Gnaden sein. Sogar sein Arbeitsprogramm wird vom EU-Gipfel diktiert. Ideengeber: Cameron und Merkel. EBO