Ein Mann für den ersten großen Auftritt

Vor einem Jahr gründete Christian Blaurock das Bandnetzwerk BNB – Berlin Newcomerbands und revolutionierte damit die Szene. Für mehr als 40 Musikgruppen organisiert der gelernte Elektromechaniker und 1-Euro-Jobber inzwischen Auftritte, sogar eine eigene Radiosendung gibt es schon

Von MARKUS WANZECK

Das Slaughterhouse, eine kleine, in die Jahre gekommene Veranstaltungshalle in Moabit, wärmt sich auf für den Abend: Lichttest. Soundcheck. Am Eingang werden Stempelkissen und Wechselgeldkasse bereitgestellt. In einer Ecke der Konzerthalle steht ein schwarzer, staubbedeckter Stahlofen, in dem im Minutentakt Holzscheite verschwinden. Über dem Ofen hängt ein Ventilator, er bläst die warme Luft surrend in Richtung Bühne. Von dort kommen, wechselweise, einige Punk-Akkorde und das Rückkoppelungsquietschen einer E-Gitarre zurück.

„Wir sollten wohl besser rausgehen zum Reden“, sagt Chris, als das Schlagzeug mit dem Soundcheck einsetzt. Chris ist ein groß gewachsener Mittdreißiger, kurze dunkelbraune Haare, dunkle Hornbrille. Seine Kleidung hebt ihn kaum ab von manch fast 20 Jahre jüngerem Bandmitglied, das auf der Bühne sein Instrument verkabelt: schwarze Turnschuhe, beige Armyhose; an seinem Ohr glitzert ein großer goldener Ring. Auf seinem grauen T-Shirt ein auffälliger Schriftzug: BNB. BNB ist der Grund, warum Chris hier ist. BNB ist der Veranstalter des Konzertabends. Und Chris ist der Vater von BNB.

Vier junge Rock- und Punkbands werden an diesem Abend im Slaughterhouse auftreten, dafür hat er gesorgt. „Das Alter der Bandmitglieder liegt zwischen 17 und Ende 20“, erklärt Chris, der mit bürgerlichem Namen Christian Blaurock heißt. Aber an Konzertabenden wie diesem verschwinden bürgerliche Namen hinter Schall und Rauch. Und so ist er für alle einfach „der Chris“. Sein Kind, BNB, heißt mit vollem Namen „Berlin Newcomerbands“. Es ist etwas über ein Jahr alt. Draußen angekommen, beginnt er, über BNB zu erzählen – mit väterlicher Begeisterung: enthusiastisch, oft rührend, manchmal anstrengend ausufernd.

„Ich stelle eine Internetplattform zur Kontaktaufnahme und zur Vernetzung zwischen den BNB-Bands zur Verfügung. Außerdem übernehme ich Aufgaben eines Bandmanagers – und auch die eines Veranstalters.“ Chris zündet sich eine Zigarette an, bevor er zur Erläuterung dieser Aufgaben ansetzt: Konzertplanung: Er bucht die Bands, mietet den Veranstaltungsort an, erstellt und verteilt Flyer. Organisation der Abendveranstaltung: Vom frühen Nachmittag bis zum frühen Morgen ist Chris vor Ort. „Und wenn alles vorbei ist“, sagt er lächelnd, „dann schwenk ich den Besen.“ Die Konzerthallen müssen vom Veranstalter besenrein übergeben werden. So ist der Deal.

Gewinn springt am Ende eines langen Konzertabends nicht heraus – zumindest nicht für Chris. Er arbeitet ehrenamtlich. Für die Bands dagegen gibt’s fast immer ein bisschen etwas. „Ich darf nix verdienen daran – und will das auch gar nicht“, sagt Chris. Ob man richtig gehört habe, er dürfe nichts verdienen? Er nickt. Seit dem Sommer arbeitet der gelernte Elektromechaniker als MAE-Kraftfahrer in der Jugendarbeit. „MAE“, das steht für Mehraufwandsentschädigung, 1-Euro-Jobben.

Das gefräßige Baby

Dass BNB als Non-Profit-Organisation arbeitet, liege jedoch keinesfalls an juristischen Fallstricken, versichert er. Ein Blick auf die BNB-Seite der Online-Netzwerkplattform myspace.com genügt. Eine Rubrik „Helden“ gibt es dort. Chris hat sie mit einem einzigen Satz ausgefüllt.

Helden, das sind für ihn „Leute, die auch ohne Bezahlung etwas für andere tun!“ Was für ihn zählt, ist der Spaß am Umgang mit jungen Musikern. Und die Begeisterung für Rock, Punk, Metal. Die Initialzündung waren für ihn die Ärzte und die Toten Hosen. Die hat er Jugendlicher gehört, und da ist Chris hängen geblieben. Selbst habe er nie ein Instrument gespielt, sagt er. „Manche gehören auf die Bühne, ich dahinter.“

Sein BNB-Baby ist ganz schön gefräßig. Da macht Chris sich keine Illusionen. Ursprünglich war Berlin Newcomerbands vor allem ein kleines, nichtkommerzielles Internetportal. Seit BNB im November 2005 das Licht der Welt erblickte, hat es sich allerdings rasant weiterentwickelt. Inzwischen ist es der Taktgeber für Chris’ Lebensrhythmus: Morgens, gleich nach dem Aufstehen, werden als Erstes Kaffeemaschine, Computer und eine Zigarette angemacht. Noch bevor es zur Arbeit geht, wird die Mailbox nach wichtigen Band-E-Mails durchforstet.

Ein BNB-Tagesplan wird erstellt. Nachmittags, nach Feierabend, arbeitet Chris ihn ab: E-Mails schreiben, telefonieren, die Homepage warten, Konzerttermine abklopfen und fix machen, „seinen“ Bands Auftrittsmöglichkeiten verschaffen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Chris drückt einen Zigarettenstummel im Aschenbecher aus und zieht eine neue Kippe aus der Schachtel. „Mindestens sechs Stunden am Tag verschlingt BNB, sieben Tage die Woche.“

Berlin hat eine riesige Nachwuchsband-Szene. Das ist Segen und Fluch zugleich. Es steckt viel Potenzial in der Stadt. Andererseits: Im urbanen Talentpool wuselt es nur so, da kann man schnell den Überblick verlieren. „Ich hab mich oft geärgert, dass bei Newcomer-Konzertabenden die Bands musikalisch einfach nicht zueinandergepasst haben“, erinnert sich Chris. Die Folge: Die Fans verließen das Konzert immer umgehend nach dem Auftritt ihrer Band. Nicht schön. Nicht für die Bands, nicht für die Fans. Das wollte Chris ändern. Er wollte Konzerte, die den Bands wie den Besuchern Spaß machen. Zu denen sich mehr als eine Handvoll Fans verlieren – und so lange bleiben, bis das letzte Lied der letzten Band verklungen ist. Die Geburt von BNB war nicht mehr weit.

Im November 2005 startet Chris seinen Online-Auftritt und betreut drei Bands. Er möchte ihnen Starthilfe geben, sie miteinander und mit Kooperationspartnern in Kontakt bringen. Und ab und an einen Konzertabend veranstalten. Sein Konzept dafür klingt so simpel wie nahe liegend: Handverlesene Bands mit derselben musikalischen Wellenlänge spielen in einer streng geheimen Running Order. Bis eine halbe Stunde vor Konzertbeginn weiß niemand – auch nicht die Bandmitglieder selbst –,in welcher Reihenfolge sie spielen. Damit, ist Chris überzeugt, müssten sich die gefürchteten Kurzbesuche der Fans eindämmen und die Hallen dauerhaft füllen lassen. Und alle wären glücklich.

Die Sache wächst

Sechs Monate nach der Gründung gehören bereits über 30 Bands zum Netzwerk. „BNB ist ein Veranstalter, der sich den Arsch aufreißt für kleine Bands.“ Tim ist Schlagzeuger und mit 24 Jahren Bandältester von Sofakingstupid, einer aufstrebenden Rockband, die seit Anfang 2006 zum BNB-Zirkel zählt. Was das Schöne daran sei, Teil dieser Nachwuchsbandfamilie zu sein? Tim zählt einige Argumente auf: „Wertvolle Kontakte, gut besuchte Gigs und Freundschaften mit anderen Bands.“

BNB gedeiht prächtig. Inzwischen stehen 42 Bands auf Chris’ Liste. Jede Woche kommen fünf bis sechs Anfragen von Musikgruppen, die ebenfalls um Einlass bitten. Das Portal berlin-newcomerbands.de wurde in zwölf Monaten 20.000-mal besucht. Seit Dezember hat BNB eine eigene zweistündige Radiosendung auf rockradio.de. Die Bandszene Berlins, so scheint es, hat auf BNB gewartet. Chris indes ist vom eigenen Erfolg überrascht. „Die ganze Entwicklung hat mich überrollt.“ Er lacht, meint es aber ernst. „Die Sache wächst und wächst – und manchmal wächst sie mir ein bisschen über den Kopf hinaus.“

Für einen allein ist BNB zu groß geworden. Seit zwei Monaten, so Chris erleichtert, gibt es ein „liebes Supporterteam“, das ihn unterstützt bei allem, was anfällt. Tontechniker, Lichttechniker und Fotografen gehören ebenso dazu wie Flyer-Verteiler und Internet-Beauftragte. Für die Neuaufnahmen in den BNB-Bandpool ist inzwischen eine achtköpfige Jury zuständig, die er aus Bandmitgliedern rekrutiert hat. Auch die Radiosendung wird von zwei Bandmitgliedern moderiert.

Chris muss weg. Er wird drüben in der Slaughterhouse-Halle gebraucht. Das Konzert beginnt gleich. Der Bullerofen hat ganze Arbeit geleistet. Die Halle ist ordentlich eingeheizt, als die Abendkasse öffnet. Immer mehr Jugendliche kommen, um sich The Breathalyzers, Rock Shoe, Persimmon und Chock on a Cock anzuhören. Gut 100 Besucher werden es am Ende sein. Sie sind gekommen, um zu bleiben.

Heute Abend spielen im Slaughterhouse (Lehrter Str. 35) die Berliner Newcomerbands Alice D., Essen auf Rädern, Utopia Now und die Esslinger Fun-Punk-Band Parkhaus. Beginn: 19.30 Uhr, Eintritt: 5 €