Reisende mit dem ersten Blick

Jenseits von ausgetretenen Backpackerpfaden und luxuriösen Clubhotels reist die Hamburgerin Uli Zumsande seit Jahren durch die Welt. Sie sucht nicht nur das Fremde, sie versucht zu helfen. Nach „Rock für Chile“ organisiert sie nun „Life Beats“, ein Benefizkonzert für ein Projekt in Malawi

Die Kindersterblichkeit in Malawi liegt bei über zehn Prozent, nach Schätzungen leiden mehr als zwei Drittel der Kinder an Unterernährung

VON ANDREAS BOCK

Unbändiger Lärm lockt Uli Zumsande auf die Straße. Ihre Wohnung, mitten in Santiago de Chile, liegt direkt hinter der Moneda, dem Präsidentenpalast. Eigentlich wollte sie nach einer mehrmonatigen Reise durch Südamerika längst wieder in Buenos Aires sein, Weihnachten feiern und dann zurück nach Deutschland fliegen, doch eine Krankheit zwingt sie, in der chilenischen Hauptstadt zu bleiben.

Vor ihrer Haustür findet sie sich in einem Pulk von Menschen wieder, zwischen Demonstranten, die gegen Pinochet demonstrieren. Sie schaut in die verblüfften Augen einer Chilenin – Uli, die große Europäerin, scheint hier fehl am Platz. Für ausschweifende Erklärungen bleibt aber keine Zeit, die Polizisten mit Wasserwerfern stehen bereits vor der Moneda, dem chilenischen Präsidentenpalast. Die Demonstranten rennen in alle Richtungen.

„Da kommen wir nicht rein“, schreibt der Hamburger Schriftsteller Hubert Fichte in seinem Roman „Die Palette“. Der Versuch das Fremde einzufangen, sei es vor der eigenen Haustür oder aber im fernen Südamerika, die Riten, die anderen Kulturen zu verstehen – das alles bleiben so lange verschlossen, bis man den Blick ändert. Genau das tut Uli Zumsande. Sie reist nicht mit Koffern voll politischem Hintergrundwissen, sie reist mit Fichtes „ersten Blick“, dem neugierigen, dem kindlichen Blick für ein Jahr durch Asien, später durch Uganda und den Senegal. Anschließend verbringt sie zwei Jahre in den USA.

„Oft gehe ich sehr blauäugig auf die Leute zu“, sagt Uli. Es falle ihr dadurch aber viel leichter, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen. „Obwohl ich zu dem damaligen Zeitpunkt kaum Spanisch sprach, lernte ich auf der Demonstration mehrere Chilenen aus der christlichen linken Bewegung kennen.“ Uli kennt die politischen Verhältnisse in Chile zu diesem Zeitpunkt nur vage, doch sie bohrt nach, besucht in den folgenden Wochen politische Gefangene in städtischen Gefängnissen, nimmt an Versammlungen der Linken teil und wird regelmäßig in familiären Kreisen willkommen geheißen.

Als sie wieder nach Deutschland kommt, will sie „etwas zurückgeben“. Sie arbeitet zwei Jahre als Sozialarbeiterin in einem Heim für Flüchtlinge und Immigranten aus Lateinamerika. Parallel organisiert sie das Benefizfestival „Rock für Chile“ in dem Hamburger Veranstaltungszentrum „Fabrik“. Sämtliche Erlöse werden für die Errichtung eines Beratungsbüros für politisch Verfolgte in Santiago gespendet.

Irgendwann will sie aus Deutschland weggehen – für immer. Vor einigen Jahren schon wollte sie den Schritt wagen: Uli, die heute bei einem Hamburger Tourneeveranstalter arbeitet, bewarb sich bei der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. „Leider suchten die damals niemanden, der ausschließlich im logistischen Bereich arbeitet.“ Ihr wurden andere Projekte empfohlen, unter anderem eines in Malawi, „einem Land, in dem es momentan ganz schlimm aussieht“, sagt Uli. Die Kindersterblichkeit in Malawi liegt bei über zehn Prozent, nach Schätzungen leiden 70 Prozent der hier lebenden Kinder an Unterernährung, etwa 13 Prozent von ihnen sterben noch bevor sie fünf Jahre alt sind.

Uli Zumsande erfährt von einem Projekt in Blantyre, einer Stadt im Süden des Landes, wo im Mai 2005 eine Fabrik zur Herstellung eines Erdnussbutterprodukts errichtet wurde. „Ich war vor zwei Jahren während der großen Hungerkrise im Niger und bin dort zum ersten Mal mit Erdnussbutter als mineral- und vitaminhaltiges Nahrungsmittel in Berührung gekommen“, berichtet Uli. „Das Produkt bringt unheimlich schnell Fett auf die Knochen.“

In Malawi versorgt das privat organisierte „Project Peanut Butter“ mittlerweile 19 Dörfer, Krankenschwestern und Fahrer bringen die Erdnussbutter direkt zu den Müttern, die ihre Kinder damit zwei, vier, in manchen Fällen auch acht Wochen füttern.

Gerade in den Dörfern herrscht in Malawi großer Hunger. „Hier kann kaum etwas angebaut werden“, sagt Uli. Der Lake Malawi ist zwar das drittgrößte Binnengewässer des Kontinents, doch die Regierung unternimmt keinerlei Anstrengungen, das Wasser auf die Dörfer zu verteilen. Als vorteilhaft erweist sich daher, dass das Erdnussbutterprodukt ohne Zugabe von Wasser hergestellt werden kann. Es ist so in der Herstellung billig und lange haltbar. „Die Erdnüsse wachsen vor Ort, lediglich das zugegebene Milchpulver muss importiert werden“, sagt Uli.

Auch wenn das „Project Peanut Butter“ Uli Zumsande schon vor ihrem ersten Besuch in Malawi überzeugt, sucht sie den direkten Kontakt zu Initiator Prof. Dr. Mark Manary und fliegt nach Blantyre, der Hauptstadt der Südregion Malawis: „Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass ich wieder ein Benefizkonzert machen wollte. Doch ich wollte – wie auch bei ‚Rock für Chile‘ – den Konzertbesuchern erklären können, worum es wirklich geht, wofür sie ihr Geld spenden. Ich wollte wissen, wie es vor Ort aussieht und wie die Leute in Malawi das Projekt annehmen.“

Bei ihrer Ankunft in der Fabrik ist sie beeindruckt von der Hingabe und Motivation, mit der an dem Projekt gearbeitet wird. Neben sieben festen Mitarbeitern gibt es zahlreiche Volontäre, zumeist Medizinstudenten von Manary, die das Projekt vorantreiben. „Die Fabrik hat im Mai 2005 geöffnet und war seitdem nur drei Tage wegen aufgebrauchter Vorräte geschlossen.“ Uli erzählt von den Fabrikarbeitern, die für dieses Projekt leben, die keinen geregelten „Nine-To-Five-Job“ oder gar Wochenende kennen. Sie berichtet von Besuchen in den Dörfern, von Müttern, die auf spielerische Art im Tanz und in Liedern den Sinn und Zweck näher gebracht wird.

Zurück in Deutschland hat sie der Alltag zwar wieder, ihre Freizeit aber opfert sie für „Life Beats“, das Benefizfestival für das Erdnussbutterprojekt. Am 19. Januar 2007 treten die HipHop-Künstler Beginner, Afrob und Samy Deluxe in der „Fabrik“ auf – mit Verzicht auf das, was HipHopper sonst so brauchen: Gage, Sekt, Whirlpool, Stretchlimousine. „Die Künstler, die nicht aus Hamburg kommen, organisieren sogar ihre Unterkunft und Anreise privat“, sagt Uli.

Wichtig ist ihr die Transparenz dieses Projekts, die durch den privaten Charakter gegeben sei. „Die Leute, die sich eine Karte kaufen, wissen wirklich wohin das Geld fließt und was ‚Life Beats‘ bedeutet“, sagt Uli. Zudem wird Heidi Sandige, Kinderärztin und langjährige Mitarbeiterin des Projekts beim Konzert anwesend sein, das Projekt vorstellen und am folgenden Tag mit dem kompletten Erlös direkt nach Malawi fliegen. Drei Monate bleibt Sandige, erzählt Uli, sie würde am liebsten mitfahren. Doch ihr Job lässt im Moment keine längeren Reisen mehr zu. „Wenn ich irgendwann dann auch aus Deutschland abhaue“, sagt Uli zum Schluss, „werde ich es nicht als Entwicklungshelfer tun – so groß ist mein Helfersinn nun auch nicht. Ich will die Welt entdecken!“

„Life Beats“ mit Afrob, Beginner, Samy Deluxe am 19.1.2007 in der Fabrik (Karten im VVK: 19 Euro). Der gesamte Erlös geht an das Project Peanut Butter (www.projectpeanutbutter.org)