Nur wenige kommen durch

NACHWUCHS Fußballtalente gehören zu den wichtigsten Exportgütern Brasiliens. Scouts, auch aus Deutsch-land, sichten den Markt wie Menschenhändler. Mit Erfolg, denn sie haben etwas zu bieten, was sehr begehrt ist – eine Zukunft als Star in europäischen Ligen

■ Umsatz: auf dem internationalen Transfermarkt jährlich etwa 2,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2013 wurden laut Fifa 12.309 Transfers weltweit abgewickelt. Die meisten Geschäfte wurden in Brasilien mit 1.402 Transfers getätigt.

■ Fluktuation: Jährlich verlassen 700 bis 900 brasilianische Talente das Land – hauptsächlich gen Europa, aber auch nach Asien.

■ José Gilson Rodriguez war der erste Brasilianer in der Fußballbundesliga. 1964 zahlte der 1. FC Köln 150.000 DM für den Stürmer.

■ Die Spielerberatungsagentur Rogon hat 1993 Dunga als ersten Brasilianer in die deutsche Bundesliga an den VfB Stuttgart vermittelt. Aktuell hat Rogon 13 Profis in Brasilien unter Vertrag. In der Bundesliga betreut die Firma den aktuellen Nationalspieler Luiz Gustavo sowie Roberto Firminho und Rafinha.

AUS RIO DE JANEIRO JOHANNES KOPP

Es sind ungewöhnlich deutliche Worte für einen Spielervermittler. Eigentlich kämpfen die als Menschenhändler Verrufenen meist engagiert gegen das miserable Image ihrer Branche an. Christian Rapp aber räumt ungefragt ein: „Es hat was Brutales in sich.“ Oder dann gar noch ein wenig deutlicher: „Es ist ein Massaker von Hoffnungen.“ In Brasilien scheinen die Grausamkeiten auf dem Markt der Fußballtalente zu eindeutig auf der Hand zu liegen, als dass Beschönigungen noch Sinn machen würden. „Der Trichter ist extrem eng“, sagt Rapp, „Es drängen sich viele hinein, aber nur ganz wenige kommen durch.“

Der 36-Jährige ist bei der deutschen Spielervermittlungsagentur Rogon angestellt. Ein Global Player im Profifußball, der prominente Klienten betreut wie die WM-Spieler Kevin-Prince Boateng, Jermaine Jones oder Eric Maxim Choupo-Moting und sich zudem auf die Vermittlung brasilianischer Talente spezialisiert hat. Auf sechs Standorte hat Rogon seine 20 Mitarbeiter hier verteilt. „Und an jedem Mitarbeiter hängen noch einmal 40 bis 50 Informationsgeber dran. Wir haben hier ein riesiges Netzwerk aufgebaut“, erklärt Rapp, der Geschäftsführer der Rogon Brasil. Oder wie es auf der Homepage der Firma heißt: „Modernes Sportmanagement unter dem Zuckerhut“.

Wobei die Größe natürlich in Relation zu dem riesigen Markt gesehen werden muss. „Spielervermittler gibt es hier so viele wie Sandkörner an der Copacabana“, sagt Rapp. Viele Zahnärzte und Friseure seien darunter. Ein Lächeln umspielt sein Gesicht. Alle wittern das große Geschäft. Pro Jahr verlassen schließlich 700 bis 900 Fußballer das Land. Brasilianische Kicker sind ein profitables Exportgut.

Der Rogon-Geschäftsführer spricht vom größten Talentepool der Erde. Warum? „Das ist eine Frage der Mathematik und der, nun ja, Genetik.“ Das Land habe gut 200 Millionen Einwohner, davon 90 Millionen Männer, von denen theoretisch wiederum 5 bis 7 Millionen eine Fußballkarriere noch offensteht. In den Favelas kicken die Kinder rund um die Uhr, weil es gar keine anderen Freizeitangebote gibt. Tausende Übungsstunden hätten sie ihren europäischen Altersgenossen voraus, rechnet Rapp vor. So viel zur Mathematik, die ja einiges erklären kann. Ob der „größte genetische Schmelztiegel“ der Erde auch bessere Fußballer hervorbringt, wie Rapp glaubt, kann man mal dahingestellt sein lassen.

Notfalltür ins gute Leben

„Wir konzentrieren uns auf das Topsegment“, erklärt er. Wer hier seine Finger im Spiel hat, verfällt offenbar unweigerlich in die Sprache der Warenwelt. Man halte Ausschau nach Spielern, die in den europäischen Topligen und in der Champions League den Unterschied ausmachen. Praktisch geht das so: „Wir denken viel darüber nach, wie machen wir 15-Jährigen die Situation klar“, erläutert Rapp. „Wir verwenden gern das Bild der Notfalltür, auf die alle zulaufen.“

Zwei Zielgruppen hat man bei Rogon im Auge. Die offensichtlich Begabten, Juniorennationalspieler etwa, denen man seine Dienste anbietet. Und eben die ganz jungen Spieler mit Perspektive, die man frühzeitig an sich zu binden versucht. Das ist mittlerweile deutlich schwieriger geworden als noch im Jahre 2006, als Rogon in Brasilien seine Büros einrichtete. Mit dem „Gesetz Pele“, das vor etwa 30 Monaten in Kraft getreten ist und nach dem Fußballidol und früheren Sportminister benannt wurde, hat die brasilianische Regierung die Geschäftemacherei mit Jungtalenten deutlich erschwert. Zertifizierte Ausbildungsvereine können bereits Zwölfjährige vertraglich derart an sich binden, dass sie ihren ersten Profivertrag nur dort unterschreiben dürfen.

Dies verhindert die inflationäre Abwanderung von jungen Ausnahmekönnern vom Norden des Landes in den Süden. Denn dort leisten die finanzkräftigeren Vereine wesentlich fundiertere Ausbildungsarbeit, die medizinische Versorgung und Ernährung ist auch besser. Und erst die milderen klimatischen Verhältnisse lassen es zu, dass die Spieler auch an ihre konditionellen Leistungsgrenzen gehen können. Für das physische Spiel, das auf die Brasilianer in Europas Ligen wartet, erklärt Christian Rapp, sei das sehr wichtig.

Es ist also auch im Interesse von Rogon, seine auserkorenen Stars von morgen in den Süden Brasiliens zu lenken. Man spricht die Manager der Vereine an, wenn man einem Spieler den Sprung nach Europa zutraut. Gegen Geld lassen sich auch vertragliche Bindungen lockern.

Die Renditeerwartung von Rogon entspricht dem elitären Blick der Agentur. „Wenn wir alle zwei Jahre einen Spieler wie Roberto Firminho von 1899 Hoffenheim vermitteln, dann sind wir zufrieden“, sagt Rapp. Von ESPN Brasil wurde der 22-Jährige gerade als größte Neuentdeckung im Ausland geehrt.

Manches ist aber auch deutlich einfacher als in Deutschland, erzählt Christian Rapp. Die Frage, ob ein Spieler Abitur oder nicht machen solle und inwieweit das seine Karriere beeinträchtige, habe sich ihm hier noch nicht gestellt. Überaus pragmatisch geht er mit dem Umstand um, dass die meisten der großen Talente hier wenig zu verlieren haben. Dass eine gewisse Intelligenz dem immer strategischer werdenden Fußballspiel durchaus zuträglich ist und der Bildungsgrad der europäischen Profis in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist, stellt er gar nicht in Abrede. „Das müssen die Spieler hier eben mit einer noch besseren Technik kompensieren“, erwidert er.

Vereine verdienen gut mit

Es ist ein Geschäft mit Scheuklappen vor all dem, was den Ertrag mindern könnte. Man verbleibt in der Binnenperspektive der Businessmänner. Die Frage, ob der Handel eines Deutschen mit brasilianischen Talenten auch Anfeindungen im Lande mit sich bringt, verwundert Rapp ein wenig. „Wieso?“ fragt er zurück, „Die Vereine verdienen hier doch mit am Spielerverkauf. Und die Brasilianer sind stolz, wenn jemand wie Neymar es zum Star in der alten Welt schafft.“

Die durch den Wirtschaftsaufschwung und den abgewerteten Euro zuletzt begünstigte Rückkehr brasilianischer Altstars wie Ronaldinho oder Renato Augusto in die heimische Liga schmeckt den deutschen Spielervermittlern gar nicht. Rapp klagt: „Sie nehmen den jungen Spielern mit Perspektive den Platz weg.“ Ginge es nach Rogon, würden die brasilianischen Profivereine als reine Ausbildungsstätten für den europäischen Bedarf arbeiten. „Es wird hier viel zu wenig aus den Möglichkeiten gemacht“, sagt Rapp. „Wenn die hier so konsequente Nachwuchsarbeit betreiben würden wie in Deutschland, könnten sie gleich mehrere Nationalteams bestücken.“