Japans Abkehr von pazifistischer Tradition

Tokio bekommt erstmals seit 1945 wieder ein Verteidigungsministerium. Japanischer Regierungschef besucht Europa

BERLIN taz ■ Japan besitzt erstmals seit 1945 wieder ein Verteidigungsministerium. Gestern wurde die Umbenennung des bisherigen Amtes für Verteidigung in Tokio vollzogen. Der bisherige Amtschef, Fumio Kyuma, darf als Minister Haushaltsanträge direkt an das Finanzministerium stellen. Künftig soll die Beteiligung an internationalen Einsätzen zur Friedenssicherung zu den primären Aufgaben der Streitkräfte gehören. Mussten derartige Truppenentsendungen bislang als „außerordentliche Einsätze“ vom Parlament abgesegnet werden, bedürfen sie nun nicht mehr der Zustimmung der Abgeordneten. „Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Lage der nationalen Sicherheit in Japan dramatisch verändert“, begründet Japans Ministerpräsident Shinzo Abe die zunehmende Abkehr des Landes von seiner pazifistischen Tradition.

Diese wurde den Japanern nach Ende des Zweiten Weltkrieges von den US-amerikanischen Besatzern in Form von Artikel 9 in die Verfassung geschrieben. Japan entsage „für immer“ der Androhung und dem Einsatz militärischer Mittel zur Lösung internationaler Konflikte, heißt es darin. Ein Sicherheitsvertrag verpflichtet Washington im Gegenzug, dem Partnerstaat im Angriffsfall zu helfen.

Befürworter eines Verteidigungsministeriums verweisen darauf, dass sich praktisch so viel gar nicht ändere. Japans Soldaten blieben weiterhin Selbstverteidigungskräfte, der nun in den Ministerrang Erhobene habe auch bisher schon am Kabinettstisch gesessen. Außerdem sei das japanische Militärbudget erst um 0,3 Prozent gekürzt worden. Kritiker befürchten jedoch die weitere Militarisierung Ostasiens. Schon heute zählt der japanische Militärhaushalt mit einem Volumen von 41 Milliarden Dollar zu den größten der Welt. Der Kürzung des Gesamtbudgets steht eine 30-prozentige Ausgabensteigerung für ein Raketenabwehrsystem gegenüber, das Japan mit seiner Schutzmacht USA aufbaut. Für die ehemalige Besatzungsmacht ist Japan ein wichtiger Verbündeter im pazifischen Raum – 60 Jahre nach Kriegsende sind dort noch immer über 40.000 US-Soldaten stationiert. Auch aus Sorge um die wachsende Macht Chinas bauen die USA und Japan ihre militärische Kooperation aus.

Japans Abschied vom Pazifismus wird nicht erst seit dem Amtsantritt Shinzo Abes vor einem Vierteljahr vollzogen. Abe setzt damit die nationalistische Agenda seines Vorgängers Junichiro Koizumi fort, der im vergangenen Jahr das Gesetz zur Aufwertung des Verteidigungsamtes auf den Weg gebracht hatte. Trotz heftiger Debatten in der japanischen Öffentlichkeit schickte Koizumi 600 Soldaten zum Wiederaufbau in den Irak. Auch eine Verfassungsreform, mit der die japanischen Selbstverteidigungskräfte in Streitkräfte umbenannt werden sollten, gehörte zu den Anliegen der Koizumi-Regierung.

Koizumis Nachfolger Abe hat die Umsetzung einer derartigen Reform zu einem seiner Ziele erklärt. Geschickt taktierte er dabei auch mit der Antwort auf die nukleare Bedrohung durch Nordkorea nach dessen Atomwaffentest am 9. Oktober 2006. Die öffentliche Diskussion um eine atomare Bewaffnung Japans beendete Abe schnell. Er nutzt jedoch den Verweis auf den „Verzicht“ auf Nuklearwaffen bei gleichzeitiger Betonung der Bedrohungslage, um für Zustimmung zu konventioneller Aufrüstung zu werben.

Derzeit besucht Abe Europa, um für eine stärkere – auch militärische – Zusammenarbeit zu werben. Heute trifft er in Berlin zu Gesprächen mit Kanzlerin Merkel zusammen. Japan müsse sich „nicht so feige verhalten wie in der Vergangenheit“, ließ Abe vor seiner Abreise verlautbaren. Der Regierungschef will die Europäer vor allem für eine stärkere Partnerschaft Japans mit der Nato erwärmen. ANETT KELLER