Die Farbe der Sehnsucht

SYMBOLE Nächste Woche wollen Künstler für verfolgte Kollegen im Iran streiken. Sie benutzen dafür Grün, das Zeichen der Demokratiebewegung. Warum denn Grün? Eine Farbenkunde

■ Die Autorin, 43, ist Redakteurin der ARD-Sendung „Monitor“ und kommentiert in den „Tagesthemen“. Sie hat einen iranischen und einen deutschen Pass.

VON ISABEL SCHAYANI

Am Anfang war das Grün, möchte man meinen, und schon stockt die Geschichte. Es gibt mehr als eine Erklärung, wie die Demokratiebewegung im Iran, die sogenannte Jonbeshe Sabz, grün wurde. Zwei Stimmen zu Beginn, eine von außen, eine von innen, beide typisch: Der Kölner Regisseur Ali Samadi, dessen Dokumentarfilm „The Green Wave“ jetzt in deutsche Kinos kommt, sagt: „Grün hat die Menschen im Iran vereint, ganz gleich welcher Religion sie angehören oder welcher Partei.“ Afshin dagegen, ein iranischer Student, hat demonstriert, auf ein anderes System gehofft, flog von der Uni und wurde festgenommen. In der Haft wurde er misshandelt. „Ich mag Grün nicht mehr,“ sagt Afshin nüchtern. Er lebt jetzt als Flüchtling in Deutschland.

Der weitergereichte Schal

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum diese Bewegung grün ist, stößt man auf Fakten, die eines fiktionalen Charmes nicht entbehren. Einer Version nach loste das iranische Staatsfernsehen kurz vor der Wahl im Mai 2009 die Termine der Wahlsendungen für die vier Präsidentschaftskandidaten aus. Dazu wurden vier Plastikbälle unterschiedlicher Farbe in einen Drehkorb geworfen. Der Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad erhielt die rote Kugel, sein Gegenspieler Mir Hossein Mussawi die Grüne.

Die Geschichte ist wahr. Aber Mussawis Anhänger trugen schon zuvor bei seinen Wahlkampfauftritten grüne Bänder. Das sei ein strategischer Zug gewesen, sagt Ruhollah Shahsawar, einer der Wahlkämpfer Mussawis. Die Idee sei zwei Monate vor der Wahl entstanden. „Wir suchten nach einem Kennzeichen und einigten uns auf Grün, weil es die wärmste Farbe ist.“

Anfang Mai trat Mussawi dann in Teheran auf. Zusammen mit Expräsident Chatami stand er auf der Bühne, als ein junger Anhänger Chatami einen grünen Schal um den Hals legte. Der gab ihn an Mussawi weiter. Von da an lebte das Symbol.

Vor der Wahl und kurz danach war Grün die Farbe der Anhänger von Mussawi, der eine Reform innerhalb des islamischen Systems anstrebte. Mit dieser Farbenlehre hatte sich das Mussawi-Lager eine Symbolik zu eigen gemacht, die alle Kriterien für eine erfolgreiche Kampagne erfüllte: Sie sprach Religion, Nation und Emotion der Iraner an. Als sich der friedliche Ruf „Wo ist meine Stimme?“ immer mehr zu ungebremsten „Allahu-Akbar“-Chören wandelte, da wurde Grün Symbol all jener, die das Regime offen kritisierten, ob sie Mussawi als ihren Führer sahen oder nicht. Das Gesicht der Bewegung wurde das der Studentin Neda Agha-Soltan, die vermutlich auf der Straße von Milizen erschossen wurde. Ihr Klang ein Lied namens „Yare Dabestani Man“, in dem mit der poetischen Präzision, die dem Persischen eigen ist, eine kleine, gemeine Geschichte eines brutalen Lehrers besungen wird.

Der Koran verspricht in Sure 55 den grünen Paradiesgarten, selbst die Kissen dort seien Ton in Ton grün

Die grüne Religion. Grün ist eine islamische Farbe, die Lieblingsfarbe des Propheten Mohammed. Der Koran verspricht in Sure 55 den grünen Paradiesgarten, selbst die Kissen dort seien Ton in Ton grün. Neben der Kalligrafie ist die Farbe das häufigste ästhetische Merkmal des Islam, nicht zu übersehen auf Fahnen, Websites oder dem Einband vieler Koranausgaben. In schiitischen Augen leuchtet sie besonders, denn trägt der Gläubige einen grünen Turban, legt er Zeugnis davon ab, ein direkter Nachfahre Mohammeds zu sein. So wie Mir Hussein Mussawi einer sein soll.

Ein sehr junger Mann ist hin- und hergerissen, ob er hier namentlich erwähnt werden will. Um ihn und seine Familie zu schützen, nennen wir ihn Shahab. Shahab war auch auf der Straße. Um sein Leben zu retten, floh er ins Ausland. Damals wie heute füttert er das Netz mit Nachrichten aus den Gefängnissen – Shahab ist Netzaktivist.

Nicht nur Religion

Die grüne Botschaft war für Shahab zunächst eindeutig: „Mit dieser Farbe zeigten die Anhänger Mussawis, dass sie die wahren Muslime sind und nicht wie Feinde der Religion behandelt werden dürfen. Chamenei kann unseren friedlichen Islam nicht kapern und darf uns nicht angreifen.“ Das war eine Botschaft an die Herrschenden vor den Wahlen und den Übergriffen. „Dann war Grün die Farbe der Sehnsucht nach Demokratie“, sagt Shahab. „Und jeder auf der Welt, der uns im Iran unterstützen wollte, hielt sie hoch.“

Die grüne Nation. Ali Porsan könnte Shahabs Vater sein. Der Exiliraner lebt schon lange in Deutschland. Er widerspricht für persische Verhältnisse sehr deutlich der Lesart, die die Farbe nur auf die Religion bezieht. „Das ist viel zu einseitig! Mussawis Grün bedeutet Leben, Gewaltlosigkeit und dann erst Religion.“ Porsan hat in Köln nach den Ereignissen im Iran das Demokratienetzwerk United for Iran gegründet. Seine grüne Hoffnung kann man nicht überhören. „Grün ist der iranische Blickwinkel, nicht der eines Muslims. Die Bewegung will einen friedlichen Wandel, deshalb hat sie nicht ‚Tod Amerika!‘ oder wem auch immer gerufen.“

■  Der Anlass: Die iranischen Filmemacher Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof wurden zu sechs Jahren Haft sowie zwanzig Jahren Berufs-, Reise- und Interviewverbot verurteilt – weil sie die Absicht hatten, einen Film zu drehen. So etwas hat es nie zuvor gegeben.

■  Der Aufruf: Neben vielen anderen fordert der iranische Regisseur Rafi Pitts die sofortige Rücknahme dieses Urteils. In einem offenen Brief hat er dazu aufgerufen, am kommenden Freitag, dem 32. Jahrestag der iranischen Revolution, von 12.30 bis 14.30 Uhr europäischer Zeit für zwei Stunden die Arbeit niederzulegen. Er geht davon aus, dass auch einzelne Kulturschaffende im Iran streiken.

■  Die Aktionen: In Deutschland werden sich in der kommenden Woche Kulturinstitutionen, die taz und andere Medien in unterschiedlicher Form an dem Protest beteiligen – auch auf der Berlinale.

■  Mehr Informationen: Weiteres zu den Aktionen und der Situation im Iran: taz.de/iran

Grün sei einer der drei Streifen in der iranischen Flagge, sagt Porsan. Grün strahle das große iranische Neujahrsfest am 21. März – vom Grün in den altiranischen Religionen gar nicht zu reden. Und wenn Mehran Barati, einer der klügsten Stimmen der iranischen Opposition, wohlüberlegt auf deutsch formuliert, „intellektuelle säkulare Iraner stellen heute bei Grün einen Bezug zur Französischen Revolution von 1789 her“, dann erahnt man die emotionale Dynamik der Ereignisse. Damals in Frankreich habe sich ein Bürger kurz vor dem Sturm auf die Bastille ein grünes Eichenblatt an den Hut gesteckt.

Nicht nur die Exiliraner Ali Porsan, Mehran Barati und Shahab sind der Beweis, dass die grüne Symbolik ein Spektrum von positiven Visionen in sich vereint, auf das Worte nur eifersüchtig sein können. Die Farbe leuchtet in vielen Tönen in iranischen Köpfen. Aber die Sehnsucht ist nur eine: die nach Gewaltlosigkeit und Veränderung.

Im Jahr 2009 hat der Farbenkampf funktioniert: Präsident Ahmadinedschad ließ auf seinen Wahlseiten Grünes blau färben. Nur seine Schlägertrupps konnte er so schnell nicht umfärben. Sie trugen Grün, als sie die Angst in ihre Mitbürger hineinprügelten, bis diese endlich still waren. Es ist ein grünes Schweigen.