Urban Gardening ist keine Politik

URBANITÄT Initiativen für Partizipation und soziale Innovation in der Stadt präsentiert die Ausstellung „We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt“ im Kunstraum Kreuzberg

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Am Donnerstag wurde im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien die Ausstellung „We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt“ eröffnet. Darin stellt der Kunstraum in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Projekte von Aktivisten, Architekten, Künstlern und Planer aus Madrid, Turin, Lissabon, Toulouse und Berlin für eine bessere, gerechtere, lebenswertere Stadt vor.

Bis zum 17. August wird es Workshops, Vorträge und Veranstaltungen zum Thema bürgerschaftlicher Eigeninitiative in der Stadtentwicklung geben. Und dabei geht es natürlich um die zurzeit beliebten Diskurse und Schlagworte wie Wissenstransfer, Transparenz, Partizipation und soziale Innovation, aber auch um Interventionen und Beteiligungsstrategien, um Selbstorganisation und Selbstermächtigung, um Synergie- und Feedbackkanäle, um Mikro-Mäzenatentum und das Commons-Prinzip, Open Data, Open Source, Co-Creation und natürlich um Diversität und Nachhaltigkeit.

„Wie geht man mit der Krise um?“ ist die zentrale Frage der Ausstellung, dazu gibt es viele Zettel und Schrifttafeln und wenig Exponate. Man kann an der Torino Toolbox drehen, ein karges Flaschenregal mit Holundersirup verspricht „Stadt macht satt“, und man kann beim Rütliwear-Workshop selbst T-Shirts bedrucken. In schwarzer Druckschrift auf weißer Stellwand wird gefragt: „Woher kommt Veränderung?“ Der Imperativ „Selbst handeln für sich entdecken!!“ wird durchaus ernst genommen, schon den Ausstellungskatalog muss man sich selbst zusammenbasteln, die Ausstellung besteht eigentlich aus den farbigen Zetteln, auf denen die Projekte vorgestellt werden. Beim ersten Rundgang bleiben trotzdem einige Fragen offen: Trägt ein Coworkingspace wie das Betahaus am Moritzplatz wirklich zu mehr Transparenz, Partizipation und sozialer Innovation bei?

„Nachhaltiger“ wirken da Projekte wie „Todo por la Praxis“ aus Madrid, wo mit Hilfe von Architekten, Anwälten und Künstlern eine Investitionsruine zum öffentlichen Versammlungsort wurde.

Aber die Ausstellung will ja als „arbeitende Ausstellung“ gesehen werden, vieles soll man sich selbst in Vorträgen und Workshops in den nächsten Wochen erarbeiten, zum Beispiel gärtnern, kochen, kompostieren, netzwerken, siebdrucken, Kaputtes flicken und verschönern, eine Wandzeitung machen, mit alten Fahrradschläuchen basteln. Denn wir alle können „We-Traders“ werden. Es wird immer weiter diskutiert.

Die Urban-Gardening-Skeptikerin und Localism-Kritikerin fragt sich natürlich trotzdem, was kleine Gruppen gegen große Immobilienentwickler ausrichten können, außer das eigene Umfeld temporär ein bisschen zu verschönern.

Tritt man vor die Tür des Künstlerhaus Bethanien auf den Mariannenplatz, so tun sich in weniger als 1.000 Meter Luftlinie entfernt in sämtlichen Himmelsrichtungen ganz andere Probleme auf. Geradeaus liegt die Gegend um die Ohlauer Straße, sie ist seit Donnerstagmittag wieder passierbar, die etwa 1.000 Polizisten ziehen sich langsam aus Kreuzberg zurück, die Flüchtlinge haben allerdings immer noch kein Bleiberecht. Es bleibt die große Frage, wie wir mit den Menschen umgehen, die in unseren Städten Zuflucht suchen. Und wie es dazu kommen kann, dass eine Partei, die aus einer Alternativbewegung hervorgegangen ist, ihren Bezirk neun Tage lang unter Polizeibesatzung stellt.

Im nahen Görlitzer Park versucht man seit einiger Zeit schon die Interessen der verschiedenen Stadtbewohner unter einen Hut zu kriegen, was in der Frage gipfeln kann, ob Afrikaner genauso wie Biodeutsche das Recht aufs Rumlungern im Park haben.

Richtung Osten am Schlesischen Tor kann man schön beobachten, wie ein Kiez durch gleichzeitige Gentrifizierung und Verslumung gebeutelt wird. Die Ballermannisierung ist fast abgeschlossen, trotzdem werden Eigentumswohnungen stark nachgefragt, und direkt neben der alternativen Amüsiermeile hausen Wohnungslose und Romafamilien auf der Cuvrybrache in Berlins erstem „Favela“ ohne Wasser und sanitäre Anlagen.

Beim Mieter-Protestcamp am Kottbusser Tor zeigt sich hingegen, dass Nachbarschaftsprojekte, die politische Forderungen stellen, durchaus etwas ändern können. Die großen Probleme der Städte müssen eher durch eine andere Mieten- und Finanzpolitik, durch eine humane Asylpolitik, durch ein anderes System, statt durch Urban Gardening und Siebdruck gelöst werden. Denn wie sagte die Politikwissenschaftlerin Jodi Dean so treffend: „Goldman Sachs doesn’t care if you raise chickens.“

■ Bis 17. August. Mehr unter http://kunstraumkreuzberg.de/programm