Mein Kollege Edward Snowden

NEUES FU-EHRENMITGLIED

Diese Ehrung ist kein Zeichen von Abneigung oder Undankbarkeit

Seit dieser Woche ist Edward Snowden Ehrenmitglied der Freien Universität Berlin. Mitte Juni hatte der Akademische Senat auf Antrag der Studierenden beschlossen, so den Einsatz des NSA-Whistleblowers für „Transparenz, Gerechtigkeit und Freiheit“ zu würdigen, jetzt hat dieser die Mitgliedschaft akzeptiert.

Ich kann dem Personenkult, den manche um Snowden veranstalten, wenig abgewinnen und glaube, dass seine Enthüllungen für Internet und Geheimdienste folgenlos bleiben werden. Trotzdem begrüße ich die Entscheidung meiner Universität. Snowden hat für etwas, von dem er zu Recht überzeugt war, sein komfortables Leben gegen eines auf der Flucht eingetauscht. Das verdient Anerkennung.

Es ist nur konsequent, dass diese Anerkennung in Form einer universitären Ehrenmitgliedschaft erfolgt: Transparenz, Gerechtigkeit und Freiheit sind nicht nur wichtige gesellschaftliche Werte, sondern auch Voraussetzung einer funktionierenden Wissenschaft. Snowdens Ehrung ist Anlass zur Besinnung auf diese Werte, die im Alltag der finanziell und personell knapp ausgestatteten deutschen Unis leicht in Vergessenheit geraten.

Nicht alle sehen das so. „Die FU war ein Geschenk der Amerikaner“, schreibt B.Z.-Kolumnist Gunnar Schupelius – dass sie nun einen „großen Feind Amerikas“ als Ehrenmitglied aufnehme, sei ein „Nadelstich, der den Amerikanern wehtun muss“, und einem Freund tue man nicht weh. Ohnehin sei die „Weitergabe von geheimen Daten … keine wissenschaftliche Leistung“. Es könne für die Ehrung also nur einen Grund geben: „Abneigung gegenüber Amerika.“

Wenn man so will, war die FU wirklich ein Geschenk: Sie wurde 1948 unter dem amerikanischen Militärgouverneur gegründet, als Gegengewicht zur von der sowjetischen Militäradministration unter anderem durch Verschleppung und Hinrichtung Lehrender und Studierender auf Linie gezwungenen Berliner (später Humboldt-)Universität.

Dass diese Freie Universität einen Mann ehrt, dessen Regierung vor der Verschleppung und Hinrichtung ihrer Gegner auch nicht immer zurückschreckt, ist kein Zeichen von Abneigung oder Undankbarkeit. Es zeigt nur, dass sie das „Freie“ in ihrem Namen nicht (mehr) einfach nur als Synonym für „die USA“ oder „den Westen“ versteht, sondern wortwörtlich. So, wie es sich für eine wissenschaftliche Institution gehört. ANATOL STEFANOWITSCH

■ Der Autor lehrt Englische Philologie und bloggt auf sprachlog.de