„Die Hälfte der Gemälde ist unauffällig“

MUSEEN Die Kunsthistorikerin Claudia Andratschke erforscht seit 2008 am Landesmuseum Hannover die Herkunft der Bildbestände, die in der Zeit von 1933 bis 1945 erworben wurden. Eine Zwischenbilanz

■ 36, hat Kunstgeschichte und Rechtswissenschaft studiert und ist seit 2008 am Landesmuseum Hannover zuständig für Provenienzforschung.

taz: Frau Andratschke, in welchem Zustand haben Sie die Gemälde-Archive am Landesmuseum Hannover 2008 übernommen?

Claudia Andratschke: Die waren von der wissenschaftlichen Bearbeitung her in einem sehr guten Zustand. Wir haben es in Hannover mit vergleichsweise sehr gut erhaltenen Quellen in den Archiven zu tun. Um die Herkunft von Kunstwerken festzustellen, sind die Museen auch auf die Mitarbeit von Kunsthändlern angewiesen. Wie kommen Sie in dieser Hinsicht voran?

In Hannover ist viel durch die Bombenangriffe verloren gegangen. Man findet Korrespondenzen, in denen steht: „Ich habe meine ganze Kartei verloren.“ Oder: „Ich muss die ganzen Adressen wieder zusammensuchen.“ Da kann man sicher gehen, dass die nicht irgendetwas vertuscht haben oder lügen.

Arbeiten Sie mit den anderen Museen in Norddeutschland zusammen?

Bisher hatte sich da kein Bedarf ergeben, da wir zunächst unsere eigenen Bestände erforscht haben. Aber jetzt verfügen das Wilhelm-Busch-Museum Hannover und das Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig über neue Ergebnisse den lokalen und regionalen Kunstmarkt betreffend. Bestimmte Händler im nordwest-deutschen Raum tauchen dabei immer wieder auf. Wir könnten uns austauschen, ob ein Händler ein Werk noch woanders angeboten hat oder ob ein Haus mehr über ein Werk oder einen Händler weiß.

Was erschwert Ihre Arbeit?

Alles, was mit Identitätsklärung zu tun hat: Was ist das für eine Person, die sich hinter einem Kürzel oder einer Initiale verbirgt? Erschwerend ist auch, wenn man es mit Ankäufen von Kunsthändlern, Auktionshäusern oder Galerien zu tun hat, die heute noch tätig sind. Hier erhalte ich oft nur Auskunft bis zu einem Punkt und nicht weiter.

Das Landesmuseum musste das Gemälde „Die Wunderheilung des zornigen Sohnes“ (etwa 1760) von Giovanni Battista Tiepolo zurückgeben. 2002 wurde es als Diebesgut erkannt, aber bis zur Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer zog sich der Fall mit Gerichtsprozessen über acht Jahre hin. Hätte dies mit einer Herkunftsforschung nach heutigem Maßstab verhindert werden können?

Wenn ich mich bis dahin vorgearbeitet hätte, würde ich diese Gemälde als lückenhaft in seiner Herkunft gekennzeichnet haben. Der Fall zeigt, dass auch Werke, die erstmal nichts mit NS-Raubkunst zu tun haben, aufgearbeitet werden müssen. Provenienzforschung hatte zur Zeit dieses Ankaufs in den 80er Jahren nicht die Relevanz wie heute.

Ist die Zeit der problematischen Ankäufe also vorbei?

Nein, das würde ich nicht sagen.

Was ist inzwischen öffentlich zugänglich?

Im Fall von Hannover sind es die Angebots- und Ankaufsakten des Landesmuseums. Es gibt einen großen Bestand an Auktions- und Galeriekatalogen in den Bibliotheken der einzelnen Häuser, die noch erschlossen werden können.

Wie hoch ist der Anteil der von Ihnen überprüften Gemälde am Landesmuseum Hannover, der eine unklare Herkunft aufweist?

Nach einer ersten Bestandsaufnahme sind etwa die Hälfte der Gemälde, die von 1933 bis 1945 erworben wurden, als unauffällig ausgesondert worden. Von den intensiver untersuchten sind etwa zehn Prozent übrig geblieben, bei denen unklar ist, was genau vor dem Ankauf oder der Stiftung mit diesem Gemälde war. Ob es NS-verfolgungsbedingt entzogen oder zwangsverkauft wurde. Die Ergebnisse meiner Nachforschungen für den Zeitraum 1933 bis 1945 werden auf der Homepage des Landesmuseums veröffentlicht.

Was kommt als nächstes?

Ich habe begonnen, mir die Erwerbungen nach 1945 anzuschauen, die teilweise auf den ersten Blick schon auffällige Provenienzen oder ganz eklatante Lücken in der Herkunft aufweisen. Mein persönliches Anliegen ist es außerdem, die Werke mit unklarer Herkunft auch bei Führungen zu thematisieren. Man könnte einfach ein paar Werke aus dem Depot holen, sie rückseitig auf eine Staffelei stellen und erzählen, was man über sie weiß. INTERVIEW: BEATE BARREIN