Praterland bleibt abgebrannt

„Tod eines Praktikanten“: 477,51 Euro kosten die Fototapeten, 298 die Hochzeitskleider, selbst die Tagesgage ist auf das Kostüm jeder Darstellerin gedruckt. Nur die Gage, die René Pollesch kriegt, steht nirgends. Ansonsten ist der neue Abend des performenden Performance-Hinterfragers dünn

VON ESTHER SLEVOGT

Auch das sind Probleme in der Hauptstadt! Monatelang war der Prater in der Kastanienallee, den sonst René Pollesch im Auftrag von Castorfs Volksbühne bespielt, wegen Umbau geschlossen. So kam es, dass der letzte Berliner Pollesch im Oktober am Rosa-Luxemburg-Platz herauskam – „L’affaire Martin! Occupe-Toi de Sophie! Par la Fenêtre, Caroline! Le mariage de Spengler. Christine en Avance“ war ein Pollesch-Relaunch der Extraklasse. War man der Tiraden seiner vom Warencharakter des Kapitalismus entindividualisierten Figuren schon etwas müde geworden, hatte Pollesch hier seinen rasenden Diskursen eine Prise Thomas Bernhard und einen kräftigen Schuss französische Gesellschaftskomödie beigemischt.

Es gab Figuren, sogar fast eine Geschichte – was der subversiven Intelligenz seiner Themen keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: Im konventionellen Gewand einer fast klassischen Theateraufführung wirkten Polleschs Überlegungen zur Frage, wieso sich das richtige Leben nicht darstellen lässt und wieso in der Darstellung irgendwie niemals die Wahrheit aufscheint, doppelt zwingend.

Hoffnung pur also, als man sich dem Prater nähert: auf einen renovierten Spielort und einen renovierten Pollesch. Aber dann nichts von alledem. Der Prater präsentiert sich unrenoviert wie eh und je, wegen Querelen mit dem Bezirk, wie man hört. Zusätzlich ist inzwischen auch noch die Gaststätte neben dem Theaterspielort abgebrannt. Und auch Pollesch hat eine Rolle rückwärts hingelegt und mit der Produktion „Tod eines Praktikanten“ den dünnsten Abend seit Polleschgedenken abgeliefert.

Drei Frauen (Inga Busch, Christine Groß, Nina Kronjäger) in wehenden Hochzeitsroben, die eigentlich das Designerduo Viktor & Rolf im Auftrag des Billigklamottenkonzerns H & M entworfen hat, befassen sich mit den alten Polleschfragen, wie man überhaupt etwas darstellen kann und was das Leben von seiner Darstellung unterscheidet. Zur Verdeutlichung der Problematik hat Bert Neumann Fassaden, Hotels und Läden auf der Kastanienallee fotografiert und fototapetenhaft lebensgroß aufgezogen. So flanieren die echten Schauspielerinnen in ihren surreal flatternden weißen Kleidern also auf einer falschen Kastanienallee entlang. Wundern sich, wieso man das fotografierte Obst eines Lebensmittelhändlers nicht essen kann, und scheitern immer wieder bei dem nicht sehr originellen Versuch, durch fotografierte Türen zu gehen.

Manchmal reißen die Fototapeten dabei ab. Manchmal werden sie auch von einer Windmaschine hinter den Kulissen fortgeweht. Dann klettern die Damen auf Leitern und richten das Bild wieder her, wobei Stöckelschuhe und Schleppe am Hochzeitskleid ausgesprochen hinderlich sind. Dramatische, postbarocke Filmmusiken simulieren entsprechend intensive Stimmungen. Die Windmaschine wirbelt künstliche Schneeflocken und später auch mal künstliche Geldscheine auf. Schließlich war Pollesch, der notorische Hinterfrager allen Performens, immer schon einer, der genau wusste, wie man maximale Wirkungen erzielt. Ob mit oder ohne Inhalt.

Die Sätze, die Pollesch den Damen in den Mund gelegt hat, sind mindestens so lang und unfallträchtig wie die Schleppen an ihren Kleidern. Deshalb muss auch eine Souffleuse ständig mitgehen. Das soll ehrlich und echt rüberkommen, wirkt aber in seiner Logik eher naiv. Genau wie die Beschwerde, dass Sigourney Weaver in ihrer Rolle als Autistin in „Snow Cake“ nie die Autistin, sondern immer nur die Millionärin ist, die sich auf dem Boden wälzt. Da war Aristoteles mit seiner Mimesistheorie schon weiter! Und weil für Pollesch und seine drei Diskurspüppchen im Hochzeitsgewand Gewissheiten am Ende weder im Leben noch in der Darstellung zu haben sind, erscheinen schließlich die Preise als einzig feste Größen, die noch so etwas wie existenziellen Halt bieten können.

Dementsprechend steht diesmal bei Pollesch auch überall der Preis drauf, auf dem Bühnenbild ebenso wie auf den Schauspielerinnen. EUR 477,51 kosten die Fototapeten. Die Hochzeitskleider sind für EUR 298 zu erwerben. Selbst die Tagesgage ist auf das Kleid der jeweiligen Darstellerin gedruckt. Bloß die Gage von Pollesch steht nirgends. Dabei müsste, was für Sigourney Weaver gilt, auch für ihn selber gelten. Wenn eine Schauspielerin keine Schauspielerin, sondern immer bloß die Millionärin ist (selbst wenn sie die Millionen mit dem Schauspielen verdiente), und darunter auch die Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung leidet – was ist dann mit diesem Regisseur, der zu den Großverdienern des Betriebs gehört, in mehreren Städten gleichzeitig sein Theaterprodukt verkauft, ohne scheinbar die Konsequenzen zur Disposition zu stellen, die das für Qualität und Glaubwürdigkeit seiner einzelnen Arbeit haben mag.