Ganz in Rot mit einem Nelkenstrauß

Mehrere zehntausend Menschen beteiligen sich an der Gedenkdemonstration für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die älteren Teilnehmer erfreuen sich an dem Ritual, die jüngeren mobilisieren gegen den G-8-Gipfel

Rote Fahnen, rote Nelken, rote Transparente – nur die blauen FDJ-Fahnen passen farblich nicht ins Bild. Die Transparente reichen von Stalinporträts bis zu Mobilisierungsaufrufen gegen den G-8-Gipfel. Zehntausende gedenken mit dieser Demonstration von Friedrichshain nach Friedrichsfelde und mit Kränzen an der dortigen Gedenkstätte der am 15. Januar 1919 ermordeten Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die Veranstalter sprechen von rund 60.000 Teilnehmern. Zu DDR-Zeiten war die Veranstaltung noch ein staatlich verordnetes Ritual. Heute beteiligen sich jedes Jahr viele verschiedene linke Gruppen an der Demo. Sie nutzten sie vor allem zur Mobilisierung gegen den kommenden G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm.

„Ich fand es ganz gut, dass der Termin in der DDR damals Pflicht war“, sagt Gonzo, der seine dreijährige Tochter an der Hand hält. Er engagiert sich im Aktionsbündnis für Venezuela und kommt jedes Jahr zur Liebknecht-Luxemburg-Demo. „Es sind noch zu wenige Leute, die heute auf die Straße gehen“, erklärt er und zeigt dabei auf ein paar Anwohner, die im dritten Stock an ihrem Fenster stehen. „Warum kommen die nicht alle runter und laufen mit?“ Vor sich her schiebt er den Kinderwagen seiner Tochter, in dem stapelweise verschiedene gesammelte Flugblätter und Zeitungen liegen, die auf der Demo gleich kistenweise verteilt werden.

Tarek ist aus Duisburg angereist, um Flugblätter für die Marxistische Leninistische Kommunistische Partei Türkei/Nordkurdistan zu verteilen. „Eine kämpferische Stimmung und kraftvolle antiimperialistische Parolen“, antwortet der 18-Jährige wie aus der Pistole geschossen auf die Frage, welche Erwartungen er an die Gedenkveranstaltung hat. Immerhin repräsentiere die Demonstration die gesamte deutsche Linke. Dann verschwindet er wieder in der Menge.

Einen ungewöhnlichen Gedenkkranz trägt Tim aus Potsdam. Die mit Grabgesteck umrandete Styroportafel ist mit„SV Babelsberg Ultras“ unterzeichnet. Tim (24) und Björn (26) sind Fußballfans. „Aber keine normalen Fans, sondern linke, antifaschistische Ultras. Wir machen im Stadion die richtige Stimmung“, erklärt Björn. „Wir sind keine Kommunisten – aber die Einstellung und das, was Liebknecht politisch getan hat, finden wir richtig“, sagt Tim. Immerhin sei das Stadion des SV Babelsberg nicht nach irgendeinem finanzstarken Sponsor benannt, sondern nach Karl Liebknecht. Der Besuch der Demo ist für die beiden Ultras Pflicht. „Aber natürlich ist die Veranstaltung auch irgendwie eine Freakshow“, sagt Björn und lächelt.

Vor dem Friedhofsgelände haben in der Zwischenzeit Händler und Politgruppen ihr Stände aufgebaut. Bratwurst- und Glühweinbuden stehen dicht an dicht mit Antifa- und PDS-Tischen. Die Blumenverkäufer auf dem Weg in Richtung Lichtenberg kommen kaum damit nach, die vorbeiziehenden Menschen mit Nelken zu versorgen. Bereits am Morgen hatten sich der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sowie der Ehrenvorsitzende der PDS, Hans Modrow, an der Gedenkstätte eingefunden.

„Seit 1946 komme ich jedes Jahr zur Gedenkfeier hier am Friedhof“, schwärmt die 82-jährige Erika Baum. Sie steht vor dem Eingang und beobachtet zufrieden, wie sich die Menschenmassen langsam durch die großen Eisentore schieben. Dass sich unter den Demonstrationsteilnehmern auch viele Jugendliche befinden, freut sie. Sie habe viel Kontakt zu jungen Menschen, die sich antifaschistisch engagieren. „Die lassen uns alte Leute da immer noch mitmachen“, strahlt sie. Dann dreht sie sich um und schaut der Menge in Rot weiter zu. Johannes Radke