Dichter leuchten

Der britische Künstler Cerith Wyn Evans mag Umwege als Mittel der Erkenntnis. In seiner Ausstellung im Münchner Lenbachhaus unterhalten sich opulente Kronleuchter über Genderfragen und Poesie

Wie sein Vorbild Kenneth Anger arbeitet auch Cerith Wyn Evansmit suggestiven Bildernund magischen Aufladungen

von ESTHER BUSS

Den Kunstbau des Lenbachhauses betritt man über eine abwärts führende Rampe, die den freien Blick auf den gesamten Raum ermöglicht. Bei der Ausstellung von Cerith Wyn Evans wird man von dieser leicht erhöhten Position aus an das Gefühl erinnert, das sich bei der Aussicht auf die blinkenden Lichter einer entfernten Stadt einstellt. Man weiß, da gibt es Leben, und man fühlt sich gleichzeitig damit verbunden, aber auch davon abgetrennt.

Hier mutet das Spiel der Lichter jedoch stürmischer, weniger melancholisch an. Denn man findet sich plötzlich in einer dramatischen Unterhaltung wieder, die den geisterhaften Charakter einer Anrufung hat. Fünfzehn Kronleuchter aus unterschiedlichen stilistischen Epochen senden Lichtsignale in den Raum. Es lässt sich nicht ausmachen, ob sie einem festgelegten Script, einer Choreografie folgen oder einer zufälligen Improvisation. Die überaus prachtvollen Exemplare mit den glamourösen Namen Barovier & Toso, Galliano Ferro, Venini Quadratti und Tom Dixon „sprechen“ Textpassagen aus der Philosophie, der Literatur, der Naturwissenschaft, die in Morsecode übertragen wurden. Man kann sie in der Geschwindigkeit ihrer Übersetzung in „Originalfassung“ lesen – auf kleinen Flachbildschirmen, die an der Wand installiert sind. Ihr funktionales High-Tech-Design steht dabei im extremen Gegensatz zu der altweltlichen Opulenz und verschwenderischen Schönheit der Leuchter.

Cerith Wyn Evans kommt aus Wales und lebt seit vielen Jahren in London. Er macht fotografische Serien, skulpturale und installative Arbeiten, verbindet Text und Licht. Bekannt wurde er hauptsächlich durch ebendiese „sprechenden“ Chandeliers. Dass er in seinen Arbeiten mit Vorliebe die Mittel des Kinos und Theaters einsetzt – es gibt Abfolgen von Bildern, Auf- und Abblenden, eine Dramaturgie, Rollen und Text und Zuschauer –, kommt nicht von ungefähr. Evans hat selbst einmal Filme gemacht, experimentelle, sehr theatrale Kurzfilme. In den späten Siebzigerjahren bewegte er sich in der Londoner Undergroundszene, im Umfeld von Regisseuren wie Derek Jarman und John Mybury. Die eigenen Filme waren dagegen stark von den bizarren, okkulten Visionen Kenneth Angers beeinflusst. Evans arbeitet ebenfalls mit suggestiven Bildern und magischen Aufladungen, setzt diese aber seit Anfang der Neunzigerjahre in formal reduzierte Anordnungen, die den Betrachter auf Distanz halten.

Seine künstlerische Herangehensweise hat einen auffallend dandyesken Zug. Er liebt den Umweg, den Spaziergang, das Flanieren und das Sammeln. Der Künstler selbst findet dafür eine etwas offensivere Beschreibung: „Ich bin eine Elster, ein Plünderer verschiedenster Dinge. Ich stürme rein, klaue etwas und laufe davon, in die Arme von etwas anderem, und ich bin selbst nie ganz sicher, wohin mich das führt.“ Bei den zahlreichen Streifzügen durch unterschiedliche Zeiten und Textwelten greift Evans hier und dort ein Fragment heraus und nimmt es in seine persönliche Sammlung auf, wo es zu etwas Anderem wird – ähnlich wie bei einer Collage. Es finden sich zahlreiche Bezüge zu dieser Technik, die in der Moderne von Kubisten, Dadaisten und Surrealisten entwickelt und später von Brion Gysin und William Burroughs zur „Cut-up“- Methode weitergesponnen wurde – beides Autoren, auf die sich Evans wiederholt bezieht. So wird beispielsweise ein Gespräch zwischen Terry Wilson und Brion Gysin über paranormale Phänomene gemorst, ebenso „Flicker“, ein Artikel von Ian Sommerville über die „Dreamachine“, die er gemeinsam mit Gysin erfunden hat (ein Apparat zur Erzeugung künstlicher visueller Sinneswahrnehmungen), weiter finden sich Texte von J.G. Ballard, John Cage, der Queer- und Gendertheoretikerinnen Judith Butler und Eve Kosofsky Sedgwick etc.

All diese heterogenen Äußerungen werden in eine andere Sprache übersetzt – eine veraltete Geheimsprache, die heute keiner mehr lesen kann. Die Lichtquellen arbeiten wie fremdbestimmte Maschinen, ihre Signale sind mal lang, mal kurz, der Rhythmus wechselt, ist manchmal von Pausen bestimmt, von sanften Auf- und Abblenden, dann wieder folgt ein aufgeregtes, nervöses Flackern. Auch wenn ein Bild dabei herauskommt und der Text dahinter verschwindet, fungieren die Leuchter gewissermaßen als Sprecher, die den Text – beziehungsweise den Autor – in irgendeiner Form noch immer in sich tragen. Die Zuordnung von Kronleuchter und Text/Autor erscheint dabei willkürlich. Es gibt keinen Grund, warum ausgerechnet der laternenartige Leuchter den Dichter James Merrill zitieren sollte. Dennoch beobachtet man sich bei dem etwas unsinnigen und mühseligen Versuch, die Übertragung von Text auf Lichtsignal nachzuvollziehen und „Wesenszüge“ zu finden, die dem Stil und Inhalt der Texte entsprechen.

Die scheinbare Logik und konzeptuelle Schärfe dieses Übersetzungsprozesses täuscht. Was man da als kristallklares Bild vor sich zu sehen glaubt, bleibt letztlich rätselhaft und unnachvollziehbar. So verlässt man trotz des bestechend brillanten Schauspiels die Ausstellung mit dem Gefühl großer Verwirrung. Diese Erfahrung könnte wiederum eine „Übersetzung“ einer Gedichtzeile von James Merrill sein: „All is translation and every bit of us is lost in it“.

bis 25. Februar