Plädoyer für die Sucher

Der Ökonom William Easterly glaubt nicht an die Konzepte von Weltbank oder WTO. Ein Masterplan gegen die Armut in der Welt könne keinen Erfolg haben. Für konkrete Probleme müssten konkrete Lösungen entwickelt werden

VON ROGER PELTZER

Der Ökonom Jeffrey Sachs verkündet gern und mit Emphase: Mit einem großen „Förderschub“ ließe sich die Armut auf der Welt in absehbarer Zeit halbieren und bald sogar abschaffen. Daran glaubt William Easterly nicht. Seine Kritik an wohlmeinenden Kampagnen und milliardenschweren Programmen für die Armen ist scharfzüngig, kenntnisreich und unbedingt notwendig.

Dennoch ist sein neues Buch kein Plädoyer für die Abschaffung der Entwicklungszusammenarbeit. Der Autor kennt die Welt der Armen und auch der Reichen zu gut, um Schwarz-Weiß-Antworten zu geben. Schließlich hat er über 16 Jahre lang in der Weltbank auf drei Kontinenten Erfahrung gesammelt und seitdem weltweite Entwicklungsprozesse wissenschaftlich an der New York University begleitet.

Das dem „Förderschub“ zugrunde liegende Argument, das ein bestimmter Entwicklungsstand eine Armutsfalle begründe, aus der die Länder aus eigener Kraft nicht herausfinden könnten, lässt sich für Easterly empirisch nicht halten. Es erkläre auch nicht ansatzweise, wie es dazu komme, dass das rohstoffreiche Sambia – nach dem Zweiten Weltkrieg im internationalen Vergleich ein recht wohlhabendes Land – heute zu den ärmsten Ländern gehört, während das rohstoffarme und zuvor bitterarme Südkorea einen dramatischen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat.

Easterly hat eine tiefe Abneigung gegen die Allmacht der „Planer“ und führt dafür gute Gründe an. Wenn das Projekt der „Millennium-Entwicklungsziele“ alleine 20 Ziele und 100 verschiedene Maßnahmen beinhaltet, dann muss ein solch ambitionierter Plan in der Realität scheitern, da Dutzende, wenn nicht Hunderte von Instanzen und Trägern in ein solch ambitioniertes Programm eingebunden sein müssen. Zu Recht schreibt er, dass dies so wäre, als ob man auf der Jagd ziellos in alle Richtungen feuerte.

Den Planern stellt Easterly die „Sucher“ gegenüber, die keinen Masterplan für alle Probleme der Welt haben, sondern für einzelne Probleme konkrete Lösungen entwickeln, diese testen und umsetzen. Sehr schön ist Easterlys Beispiel: das Moskitonetz. Dessen Verbreitung ist entscheidend für die Bekämpfung von Malaria, an der in Afrika immer noch deutlich mehr Menschen als an Aids sterben.

Während eine groß angelegte UN-Kampagne mit der kostenlosen Verteilung solcher Netze in Sambia de facto gescheitert ist – 70 Prozent wurden nicht genutzt –, hatte eine kleine NGO in Malawi mehr Erfolg. Sie ließ Moskitonetze von Hebammen in Krankenhäusern verkaufen. 50 Cent mussten die Patienten zahlten, 9 Cent davon verdienten die Krankenschwestern. An private Firmen wurden die Netze dagegen für 5 US-Dollar verkauft und so das Programm subventioniert. Da in dieses System Anreize eingebaut sind, und die Leute nur etwas kaufen, von dessen Nutzen sie überzeugt sind, hat das Programm mit geringem Aufwand großen Erfolg und soll jetzt auf andere Länder übertragen werden.

Das Buch von Easterly enthält eine Fülle solcher Beispiele, die Mut machen. Zudem weist es darauf hin, dass Entwicklungszusammenarbeit in Afrika durchaus auch flächendeckende Erfolge vorweisen kann. So ging die Kindersterblichkeit in vielen Ländern zurück. In der Regel hängen Entwicklungserfolge aber von den Regierungen ab. Das zeigen so unterschiedliche Beispiele wie Botswana, Chile, Südkorea, China oder Indien. Deren Entwicklungswege analysiert Easterly ebenso wie die sogenannter Failing States. Beim Thema Good Governance neigt der Autor allerdings zu den pauschalisierenden Urteilen und Schlussfolgerungen, die er an anderer Stelle meidet.

Tatsächlich sind auch bei diesem Thema die Verhältnisse oftmals nicht so, dass man die Guten ohne weiteres von den Schlechten trennen kann. So ist die neue Regierung in Kenia im letzten Jahr zu Recht wegen anhaltender Korruption international gerügt worden.

Viele Geber haben die Entwicklungszusammenarbeit auf Eis gelegt. Für Kenia war das nicht unbedingt schlecht: Die Regierung hat sich auf ihre eigenen Kräfte besonnen, das Steueraufkommen um etwa 50 Prozent erhöht und daraus den kostenlosen Grundschulbesuch, eine bessere Verpflegung in staatlichen Krankenhäusern und Infrastrukturinvestitionen finanziert. Die Erfolge sind für große Teile der Bevölkerung messbar. Und in Kenia wird die Debatte lebhafter, ob man sich nicht gänzlich von internationaler Hilfe abkoppeln sollte.

Enttäuschend ist, dass Easterly sich überhaupt nicht mit den Anstrengungen der Sucher auseinandersetzt, die die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in konkreten Einzelfällen so ändern wollen, dass Entwicklungen gegen Armut gefördert und nicht gebremst werden. Dazu gehören die Vereinbarungen, bestimmte Medikamente in Afrika vom preistreibenden Patentschutz auszunehmen, oder auch die Entschuldung vieler Staaten. Auch die EU-Zuckermarktreform trägt schon jetzt dazu bei, in den ärmsten Ländern des südlichen Afrika Einkommen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Easterly äußert sich auch nicht zu den verstärkt eingesetzten Programm- und Budgethilfen, die dabei helfen sollen, Entwicklung stärker aus den betroffenen Ländern heraus und nicht über Technokraten in Washington, Paris oder Berlin zu steuern. In all diesen Feldern ist gerade das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in viel stärkerem Maße nüchtern suchend und innovativ tätig, als dem öffentlichen Druck geschuldete Ministertermine mit den Sternchen des Showbusiness vermuten lassen.

Fazit: Alle in der Entwicklungszusammenarbeit Engagierten sollten diese noch stärker als ein offenes System des gegenseitigen Lernens, der „Feedback-Schleifen“, der kontrollierten Experimente begreifen. Dabei wird eine gründliche Lektüre des Buches von William Easterly helfen. Auch sollte man vorgefertigten einfachen Antworten, pauschalen Modellen und Erklärungsmustern ebenso wie großen Plänen mit einem gehörigen Maß an Skepsis begegnen. Stattdessen braucht es im Sinne von Easterly mehr Geduld und mehr politischen Willen, um erfolgreiche Sucher in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit zu identifizieren und zu unterstützen.

William Easterly: „Wir retten die Welt zu Tode. Für ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut“. Übersetzt von Petra Pyka, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006, 388 Seiten, 24,90 Euro