Discofunk für alle die Bedürftigen

Bloß nichts falsch schreiben: Lo-Fi-Fnk aus Stockholm und Shitdisco aus Glasgow brachten den New Rave in die Maria

Das mit dem Orkan haben sich die Macher des Intro Intim am Donnerstag schlau ausgedacht. Denn der nächtliche Weg durch den Ausnahmezustand bringt einen besonderen Nervenkitzel mit sich. Pressen sich deshalb so viele Menschen im Maria-Hinterzimmer Josef wie Ertrinkende aneinander?

Oder haben sie das Feuilleton gelesen und wissen deshalb, dass hier heute mit einer Band namens Shitdisco Protagonisten eines Trends zu besichtigen sind, der im vergangenen Jahr Großbritannien überschwemmt hat? New Rave wurde das Spektakel aus basslastiger, mit viel billiger Elektronik geclashter Rockmusik vom britischen Pop-Zentralorgan NME (dem wöchentlich erscheinenden New Musical Express) getauft. Und weil New Rave neben der Musik auch die Rückkehr des hedonistischen Partylebens der Acid-House-Ära verspricht, ist die neonfarbene Jugendbewegung nun mit Siebenmeilenstiefeln nach Europa unterwegs.

Abgesehen von der Masse der Besucher lässt an diesem Abend aber noch wenig auf eine größere Berliner New-Rave-Gemeinde schließen: Kein Smiley-Sweatshirt, keine bunten Leggings weit und breit, nur ein einsamer neongrüner Leuchtstab liegt unbenutzt neben der Zigarettenpackung einer Besucherin. Hauptsächlich junge Indie-People sind zu sehen, und das verwundert nicht, ist Elektro doch spätestens seit dem Durchbruch von Bands wie The Knife oder Hot Chip im vergangenen Jahr der neue Indie. Der wurde am Donnerstag auch geboten: mit der Vor-Vorband Pigeon Detectives aus Leeds, demnächst als Support der Kaiser Chiefs unterwegs und laut Kristallkugel des NME eines der nächsten großen Dinger 2007.

Dann Lo-Fi-Fnk: Das schwedische Elektro-Duo ist zwar die Vorband; im Maria aber wurden die beiden androgynen Posterboys fast so gefeiert, als seien sie die Stars des Abends. Um es doch schon mal vorwegzunehmen: Sie waren es auch. Mit ihrer Mischung aus cheapen, groß angelegten Synthie-Melodien, unwiderstehlich holprigen Stakkato-Beats und zartem Gesang klingen die beiden dünnen Mittzwanziger schon auf ihrem ersten Album „Boylife“ so süß wie das gesamte Zuckerangebot eines Jahrmarkts. Live unterstützt von einem Schlagzeuger mit riesiger Achtzigerjahre-Sonnenbrille, wirkt der an Daft Punk, Donna Summer und skandinavischer Indie-Feinfühligkeit geschulte Sound noch euphorisierender und tanzbarer – Lo-Fi-Fnk sind ein großer, glücklich machender Discofunk-Entwurf, gelungen übersetzt für all die Bedürftigen der spröden Nullerjahre.

Shitdisco, der offizielle Höhepunkt des Abends, haben mit Lo-Fi-Fnk auf den ersten Blick eine Menge gemeinsam: Das junge Quartett aus dem schottischen Glasgow ist wie die Kollegen aus Stockholm weit entfernt vom Prinzip musikalischer Meisterschaft, sondern setzt stattdessen lieber auf die Kraft inspirierten Dilettantentums. Wie Lo-Fi-Fnk schöpfen auch die Glasgower Art-School-Boys aus dem befreienden Do-it-yourself-Gedanken offensichtlich eine Menge Spaß; melodiöse Vielfalt entsteht bei Shitdisco daraus allerdings nicht. Die Schotten spielen einfach Bass, Bass, Bass – dazu dreht jemand am Sequencer Sirenensounds auf und ab und ein schwitzender Schlagzeuger haut drauf, als ginge es um sein Leben.

Das Publikum tanzt sich zu Songs mit so programmatischen Titeln wie „Reactor Party“ oder „OK“, die nichts anderes sind als eintönige, wenn auch energetische Partymucke in einen Rausch, der irgendwann tatsächlich an einen Rave erinnert. Nach einer Stunde und zwei Zugaben bleibt neben viel Achselschweiß die schöne Aussicht auf einen dummen, aber immerhin lustigen Trend des Jahres.

LORRAINE HAIST