Soundtracks einer Revolution

PROTESTKULTUR Der marokkanische Musiker Majid Bekkas wirft angesichts der Ereignisse in Tunis und Kairo einen optimistischen Blick auf den Einfluss der Popszene in seinem Land

„Junge Musiker erkämpfen ein Stück mehr Freiheit für alle Marokkaner“, sagt Majid Bekkas

VON FRANZ X.A. ZIPPERER

Marokko hat über 30 Millionen Einwohner, mehr als die Hälfte sind jünger als 25 Jahre. Seit 1999 regiert König Mohammed VI., gern „M 6“ genannt. Obwohl die wirtschaftlichen Probleme in Marokko groß sind, was auch mit einer Bevölkerungsexplosion zusammenhängt, ist es anders als in Tunesien oder Ägypten bisher weitgehend ruhig geblieben.

Der marokkanische Musiker Majid Bekkas ist ein Multiinstrumentalist. Er spielt klassische Gitarre und die dreisaitige Basslaute Guembri, pflegt Kontakte zur europäischen Jazzszene und organisiert in der marokkanischen Hauptstadt Rabat das Festival „Jazz au Chellah“. Der 53-Jährige lebt in Salé, nahe der Hauptstadt. Mit Blick auf die Ereignisse in Tunesien und Ägypten bleibt er gelassen. „Verglichen mit den Nachbarstaaten ist Marokko weitaus demokratischer organisiert. Es gibt ein Parlament, über 30 Parteien und eine funktionierende Opposition, die ohne Angst agiert. In den letzten zehn Jahren hat sich viel getan. Der amtierenden Regierung gehören ehemalige Oppositionelle, die lange Zeit im Gefängnis saßen, als Minister an. In Marokko wird legal demonstriert, auch in den Medien sind kritische Töne zu vernehmen. Außerdem werden die Frauenrechte weitaus liberaler gehandhabt als sonst im Maghreb oder bisher in Ägypten.“

Vermutlich ist die allgemeine Lage im Land auch der Grund, warum die marokkanische HipHop-Szene, im Gegensatz zu dem tunesischen Rapper El Général oder dem Ägypter Halil, nicht in den Untergrund ausweichen muss. In Tunesien und Ägypten wurden die Aufstände –weitgehend getragen von der Jugend und dem Mittelstand – nicht nur von immer neuen Wellen der Empörung begleitet, sondern auch von Popmusik. Diesbezüglich leisteten arabisch reimende Rapper in Tunesien und Ägypten Pionierarbeit. „Marokkanische Rapper treten legal auf“, erklärt Majid Bekkas, „zu diesen Künstlern gehören etwa Don Bigg oder H-Kayne aus Casablanca und die Gruppe Fnair. Ihre Texte sind realitätsnah und behandeln Alltagsprobleme junger Marokkaner. Etwa die grassierende Arbeitslosigkeit und andere ökonomische Probleme, die unser Land zweifellos hat. Doch rufen sie die jungen Menschen auch dazu auf, ihr Land weiter aufzubauen und voranzubringen.“

Nicht nur für die Rapper, sondern für die gesamte Musikszene des Landes ist das Festival „Boulevard des Jeunes Musiciens“ in Casablanca eine bedeutende Plattform, zumal es dort auch Konzerte aller möglicher Stilrichtungen gibt. Dass die sich über Genregrenzen ausdifferenzierende Musikszene bedeutsam für die Entwicklung des Landes ist, bestätigt auch der in Norwegen lebende und aus Casablanca stammende Musiker Michy Mano. „Die jungen Musiker erkämpfen ein Stück mehr Freiheit für alle Marokkaner. Das System hat sich dadurch gewandelt. Die Künstler können ihre Anliegen deutlich lauter vortragen, als dies in der Vergangenheit möglich war. In früheren Zeiten mussten Musiker mit Repressalien rechnen, sobald sie sich politisch einmischten. Unsere Regierung ist in den vergangenen zehn Jahren toleranter geworden.“

Majid Bekkas ergänzt dazu: „Popmusik, und damit meine ich nicht nur Rap, hat sich hat heute als Protestkultur den gleichen politischen Stellenwert erarbeitet, den in den ausgehenden 60er Jahren die Band Nass El Ghiwane hatte. Auch wegen ihrer politisch wirksamen Texte bezeichnete man sie als die marokkanischen Rolling Stones.“ Marokkos junge Musiker sehen nicht das geringste Problem darin, all diese genannten Genres mit lokalen Musiktraditionen zu verbinden. „Marokko ist das Land der tausend Rhythmen“, bestätigt Majid Bekkas, „geografisch ist Marokko eben vieles, nämlich arabisch, afrikanisch, berberisch und an Spanien angrenzend. All diese Klänge und Einflüsse haben ihren Eingang in die marokkanische Kultur gefunden. Da macht auch Popmusik oder Jazz keine Ausnahme.“

Bereitschaft zum Dialog

Abschließend hat Majid Bekass für die Politik noch einen Ratschlag parat. „Musik ist eine internationale Sprache. Und dabei glaube ich, dass Musiker eine besondere Bereitschaft haben, die unseren Politikern oft abgeht, nämlich die zum Dialog. Wenn du in einer international besetzten Gruppe spielst, werden Religion oder Nationalität nebensächlich, dann geht es mehr um den Respekt. Genau so funktionieren meine musikalischen Kooperationen, ganz egal, ob dabei deutsche, spanische, argentinische, malinesische oder französische Wurzeln im Spiel sind.“