Sie machte Gulasch, er blieb für immer

HAUSBESUCH „Da kriegst du mich nicht rein“, sagte sie. Er kaufte das Hausboot trotzdem. Bei Francis und Sabine

VON MARLENE GOETZ
(TEXT) UND KARSTEN THIELKER (FOTOS)

Berlin, Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, im Hafenbecken des Westhafens, ein Besuch auf dem Hausboot von Francis (54) und Sabine (57) Mandra.

Draußen: Ein kleiner Weg hinter einem Supermarkt-Parkplatz führt zu dem versteckten Ankerplatz. Das Hausboot der Mandras liegt am äußersten Ende: groß, rechteckig und weiß („Muss jetzt nach sieben Jahren wieder gestrichen werden“). Obwohl die Autos über die Brücke des Stadtrings rechts vorbeirasen, wirkt das Hafenbecken wie eine ruhige und friedliche Bucht in Mitte der Hauptstadt. Ein flaches Dach („Wir überlegen noch, was daraus wird“), eine kleine Terrasse mit Stuhl und Tisch. Die Aussicht: der Kanal und Bäume. Zur Straße hin ist das Boot beschriftet mit einer Werbung für den Fahrradladen von Francis.

Drin: Ein Flur, auf der rechten Seite das Bad, auf der linken das Schlafzimmer. Es ist nicht viel kleiner als eine Wohnung, nur die Decke ist niedriger. Ein großer Raum nimmt etwa die Hälfte der Wohnfläche ein: mit Einbauküche, Essecke und einem geräumigen Wohnzimmer. Eine riesige rote Couch, dunkelblauer Teppichboden, Flatscreen und Gitarre. Amcor, der fünfzig Kilo schwere Hund der Familie, ruht sich auf dem Küchenboden aus („Als wir ihn vor zehn Jahren gekriegt haben, war er so groß wie sein Kopf“).

Wer macht was? Francis gehört seit dreizehn Jahren ein Fahrradgeschäft im Wedding. Er bietet Reparaturen, An- und Verkauf sowie Verleih an. „Zwar keine Leidenschaft, aber seit der Kindheit waren Fahrräder ein Hobby.“ Nun hat er zwei, teilweise drei Angestellte und einen Praktikanten. „Es boomt: Jetzt haben wir mit Elektrofahrrädern angefangen.“ Seine Frau Sabine ist Altenpflegerin im Wohnheim, aber sie ist seit fast einem Jahr krankgeschrieben. „Der Beruf macht mir schon Spaß, aber ich denke nicht, dass ich wieder arbeiten werde“, sagt sie mit leichtem Berliner Dialekt. Letzten September wurde bei ihr Brustkrebs entdeckt, „und eine neue Hüfte brauche ich auch“.

Wer denkt was? Sabines Krebserkrankung hat vieles verändert. „Anfangs hat mich der Gedanke allein zu sein sehr beschäftigt“, sagt Francis. Beide haben mittlerweile gelernt, damit umzugehen, die Sorgen bleiben, „tagein, tagaus“. Sie wollen weiterleben, „wie immer, man redet auch nicht so viel darüber, sonst macht es einen kaputt“. Sabine ist zum Glück „nicht so eine Wehleidige“, wie sie sagt, denn Francis hat mit dem Fahrradladen und der Instandhaltung vom Boot einiges zu tun.

Francis: Geboren 1960 im Nordosten von Frankreich bei Épinal, als Ältester von sechs Jungs („keine Schwester, es hat auch nach sechs Versuchen nicht geklappt“). Der Vater war Schlosser („immer am Arbeiten“) und vermittelte ihm die „Liebe zum Metall: Schrauben und Schweißen, alles was dreckig macht“. 1978, direkt nach dem Abi, wurde er zum Wehrdienst zwölf Monate nach Berlin geschickt. Vom Dorf in die Großstadt: „Es war wie Urlaub, jeden Abend ausgehen, viele Mädchen … Die Möglichkeiten waren unendlich.“ Seine Aufgaben als Soldat bestanden aus „Panzer putzen und sonst nur kleine Kriegsspiele.“ Anstatt für sein Ingenieurstudium nach Frankreich zurückzukehren, verliebte er sich und blieb in Berlin. Er wurde Schlosser, seine Frau studierte, und 1986 bekamen sie einen Sohn, Olivier-Kemal. Zwei Jahre später kam die Scheidung, dann die Wende. Der Beruf hat danach „keinen Spaß mehr gemacht, die Schlosser aus dem Osten verlangten viel weniger“. Ein paar Jahre versuchte er sich als „Lebenskünstler“, spielte Gitarre, Country-Konzerte in Berliner Clubs und Kneipen. Bis 1996 war der Kontakt zur Exfrau gut. „Dann plötzlich nichts mehr. Das hat wehgetan“, sagt Francis, der bis heute nicht weiß, wo sein Sohn ist. Nach zehn Jahren Bohème machte er 2000 eine Umschulung zum Fahrradeinzelhändler und eröffnete ein Jahr später ein erstes kleineres Fahrradgeschäft.

Sabine: Geboren 1956 im Wedding und mit zwei Brüdern „sehr behütet“ aufgewachsen („Berlin war damals abgekapselt, auch von Gewalt“). Sie machte eine Ausbildung in der Altenpflege und bekam mit 19 ihre erste Tochter, Jasmin. Trotz der Trennung nach zwei Jahren kümmerte sich der Vater auch ums Kind. Anders war es mit dem Vater ihrer Jüngsten, Jennifer, die 1985 zur Welt kam. Sabine arbeitete fast ununterbrochen, ob in der Altenpflege, im Kiosk oder im jüdischen Krankenhaus. Ihre Töchter wuchsen mit Francis auf, nannten ihn „Papa“, auch Olivier-Kemal wohnte eine Zeit bei ihnen. „Als er ging, war es für Jenny eine Katastrophe“, erinnert sich Sabine. Inzwischen hat sie schon fünf Enkelkinder: „Der Jüngste ist drei Monate alt.“

Das erste Date: Beide waren in der selben Clique, es wurde „viel gefeiert“. „Weil mein damaliger Freund bei Francis gearbeitet hat, habe ich für seinen Sohn manchmal Tagesmutter gespielt“, erzählt Sabine. Als sie den Freund „rausschmiss“, erfuhr sie von Francis’ Trennung. Sie trafen sich auf der Straße, er fragte: „Was kochst du morgen?“ Sabine machte Gulasch, Francis brachte Blumen und Wein. „Er ist nie wieder gegangen.“

Die Hochzeit: Im Standesamt am 22. Mai 1992. „Ich brauchte vier Jahre Zeit: Eine Scheidung reicht“, erklärt Francis. Sie mieteten einen großen Saal in Berlin für die Gäste aus beiden Ländern, später kamen alle mit nach Hause. „Wir haben eine Woche lang gefeiert!“ Das Fotoalbum wird rausgeholt: Er trug schon den Schnurrbart, sie lange dunkle Locken unter einer Krone, ein weißes Kleid und rote Rosen. Die Flitterwochen verbrachten sie in Rheinsberg, im Wohnwagen: „Hauptsache weg von Berlin.“

Warum wohnen Sie auf einem Boot? Francis angelte mit seinem Praktikanten, dessen Freund auf einem Hausboot lebte. Er sah das Boot nebenan: „Es war völlig vermüllt, aber als Metaller habe ich erkannt, dass die Struktur noch heil war.“ Aber seine Frau lehnte ab: „Da kriegst du mich nicht rein“, sagte Sabine. Er redete ihr zu, erklärte seine Pläne, denn er sehnte sich nach Ruhe. Sobald sie sich darauf einließ, kaufte er 2006 das Schiff mit seinen Ersparnissen. Sechs Monate arbeitete er jede freie Stunde an der Renovierung und machte „aus der Müllhalde einen Palast“, wie Sabine findet. Ihr Mann fühlt sich dort so wohl, dass er „gar nicht mehr in den Urlaub will“. Seit zwei Jahren hat auch sie ihren Ruhepol: eine Wohnung in Tegel, in der Nähe der Töchter und Enkel.

Der Alltag: Unter der Woche wohnt Sabine in ihrer Wohnung. Sie stehen beide früh auf, Francis geht eine Stunde mit dem Hund raus, ist dann im Fahrradladen. Sie besucht ihn vormittags, vor ihrer Bestrahlung und danach. „Wir verabschieden uns ganz süß, mit Küsschen und Umarmungen“, sagt Sabine. Ihr Mann radelt mit Amcor zum Boot, später bringt er ihn zurück ins Geschäft, als Schutz gegen Einbrecher („An ihm kommt keiner vorbei“). Abends telefonieren sie, das Wochenende verbringen sie gemeinsam.

Wie finden Sie Merkel? Der Franzose überlegt lange, für ihn „leistet sie gute Arbeit für Deutschland, aber Politik geht mir eigentlich am … vorbei“. Sabine sieht es anders: „Völlig fehl am Platz, die Frau! Sie hätte nie gewählt werden sollen.“ Francis: „Wurde sie auch nicht, die Partei hat sie benannt.“

Wann sind Sie glücklich? „Am Wochenende, wenn wir zusammen sind und das Wetter schön ist“, sagt er. „Ja“, findet auch Sabine: „Eigentlich sind wir glücklich seit über zwanzig Jahren.“ Ihr Geheimnis? „Viel Freiraum lassen und viel Vertrauen ineinander.“

■ Nächstes Mal besuchen wir Familie Weigand in Freiburg. Sie wollen auch besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de