Krieg den Hütten, Krieg den Palästen

Im sachsen-anhaltinischen Weißenfels setzt sich der Verfall aus DDR-Zeiten fort. Ein Aktionsbündnis in der Stadt macht falschen Fördermitteleinsatz und eine ignorante Stadtverwaltung dafür verantwortlich. Denn die baut lieber Reihenhäuser und Garagen

AUS WEISSENFELS MICHAEL BARTSCH

Die wenigen Touristen, die sich heute in die frühere Herzogsresidenz Weißenfels verlaufen, fühlen sich beim Anblick der Innenstadt wieder an DDR-Zeiten erinnert. Was die Wende Städten wie Bautzen oder Görlitz gerade noch ersparte, ist hier nach 1990 erst vollendet worden. Flächenabrisse haben wüste Brachen hinterlassen. Die Häuser, die noch übrig sind, stehen fast zur Hälfte leer. Die Zahl der Einwohner ist seit der Wende um ein Viertel auf knapp 30.000 gesunken. Und die sind unzufrieden mit dem Aussehen ihrer Stadt. Deren Sanierung sehen nach einer Umfrage der Hochschule Anhalt in Dessau 87 Prozent der Weißenfelser als vorrangige Aufgabe an.

Der Buchhändler Hartwig Arps und der Kunsthistoriker Otto Klein führen durch das Viertel zwischen dem Sterbehaus des frühromantischen Dichters Novalis und dem Markt. Beide gehören dem „Aktionsbündnis für die Erhaltung der Weißenfelser Altstadt“ an und sind Mitglieder der vierköpfigen Stadtratsfraktion „Bürger für Weißenfels“. Die besteht aus Enttäuschten anderer Parteien und erreichte bei der Kommunalwahl 2004 aus dem Stand 12 Prozent der Stimmen.

Arps hat seine Seume-Buchhandlung auf der Jüdenstraße, dem einzig verbliebenen Einkaufsboulevard der Altstadt. Besonders schmerzen ihn und die 45 Mitglieder des Aktionsbündnisses der Zustand der Gebäude gegenüber dem überregional bekannten Novalis-Haus, deren barocker Ursprung kaum noch erkennbar ist. Sie sollten Garagen für Reihenhäuser mitten im Stadtzentrum weichen. Auch mit diesen Stilbrüchen setzt die Stadt fort, was die DDR bereits angefangen hatte. Zwischen die historischen Bauten nahe dem Geburtshaus des Komponisten Heinrich Schütz setzten SED-Baumeister eine Platte.

250 Häuser wurden nach 1990 saniert, 50 abgerissen, für weitere 250 Halbruinen finden sich weder öffentliche Gelder noch Investoren. In vergleichbaren Nachbarstädten wie Naumburg, Merseburg oder Zeitz sei man weit sensibler mit historischer Bausubstanz umgegangen, meint das Aktionsbündnis. Oberbürgermeister Manfred Rauner (CDU) reklamiert dagegen eine besonders ungünstige Ausgangsposition von Weißenfels. Die marode Innenstadt sei zugleich ein Verkehrsengpass gewesen. „Erst der Verkehr, dann die Innenstadt“, so lauten die Prioritäten Rauners. Zwei Kreisel und ein Tunnel sorgen jetzt für Entlastung. Außerdem fände die Stadt trotz Ideenwettbewerbs und einer Leerstandsbörse keine Investoren und Mieter für die Problemhäuser der Innenstadt.

Das Altstadt-Bündnis hält dem entgegen, dass die in den Neunzigerjahren noch reichlich fließenden Fördermittel zumeist in die Plattenbauten der Wohnungsbaugesellschaft WBG an der Peripherie geflossen sind. OB Rauner kontert mit einer Zahl von 54 Millionen Euro für die Innenstadt, die allerdings ganz überwiegend für den Straßenbau verwendet wurden. Außerdem vermisst das Altstadt-Bündnis jedes weiter blickende Stadtentwicklungskonzept. „Hier gerät Planung zur Beliebigkeit“, schimpft Otto Klein. Hartwig Arps verweist darauf, dass es auch anders geht. Er und seine tatkräftige Familie haben insgesamt 35 Objekte in der Altstadt günstig erworben, die Fördermittel maximal abgegriffen und viel in Eigenleistung saniert. So wurde zwar aus einem Kino ein Eis-Café und aus einem ehemaligen Bürgerhaus ein Fitness-Center. „Aber immerhin ist alles vermietet“, so Arps stolz.

Bei der Stadt aber blockierten Ignoranz sowie persönliche Interessen und Verflechtungen jede Besserung. Rüdiger Hoffmann, Vorsitzender des Aktionsbündnisses, hat Schriftsteller wie Hermann Kant oder Günter Grass zur Intervention bewegt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer titulierte die Altstadt-Verteidiger deshalb als „Querulanten“. Sensibler gab sich sein parteiloser Kultusminister Jan Hendrik Olbertz. Im Deutschlandfunk sprach er von „ernsthaften Versäumnissen“ und einem „Versagen der Verantwortungsträger vor Ort“. Eine Kommission von Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee hat nun einen Kompromiss vorgeschlagen. Zumindest die Fassaden im Novalis-Quartier sollten als Vorbauten erhalten werden. Der Stadtrat lehnt aber solche Potemkin’schen Dörfer ab. So besteht sein Beschluss zum weiteren Flächenabriss fort. Das sei „leider unvermeidbar“, sagt OB Rauner. Stadtarchitektin Diana Wagner, seit drei Jahren spürbar um Rettung der Altbaureste bemüht, klammert sich an ein einsames Vorzeigeprojekt. Sechs Millionen Euro wird die Wiederherstellung des Fürstenhauses kosten. „Damit die Weißenfelser auch einmal eine gelungene Sanierung sehen“, sagt sie.