Ein Mann der alten Schule

„Bei manchen ist eine E-Gitarre natürlich eine Art Penisverlängerung. Schauen Sie sich Videos von Bon Jovi an.“

VON LUTZ DEBUS

Viele Farben, viele Formen, viele Firmen – viele Modelle der letzten 50 Jahre. Sie baumeln von der Decke, sie hängen an den Wänden und sie stehen in Ständern auf dem Boden. Wer zu Uli Kurtinat will, muss sich seinen Weg durch einen Dschungel von Gitarren bahnen. Kölns führender Instrumentendoktor hat seine Praxis im Stadtteil Ehrenfeld. Lässig lehnt sich der kahle Mann mit dem weißen Kinnbart an den Verkaufstresen, zwischen den Fingern eine Gitanes, vor sich einen rabenschwarzen Espresso.

Der Schritt von der Gitarrenbauerei zur Alchemie ist nicht weit, so scheint es in Kurtinats Werkstatt. Mit geheimnisvollem Blick zeigt der 54-jährige eine Schachtel gefüllt mit verschiedenen länglichen Metallstäbchen. Die Bünde, die quer zu den Saiten in das Griffbrett eingelassen werden, bestehen aus einer speziellen Silberlegierung. Je mehr Silber in den Bünden ist, um so weicher ist das Material. „Leichter einzubauen aber auch schneller abgenutzt“, erklärt der gelernte Gitarrenbauer. Er dagegen könne auch ganz harte Bünde einwandfrei verarbeiten. Alte Gitarrenbauerschule eben.

„Die Gitarren, die heutzutage die Fabrik verlassen, kann man guten Gewissens nicht so in den Handel geben.“ Die müssten vorher noch einmal in eine Werkstatt, am besten in seine. Die legendäre Fender-Stratocaster werde demnächst als Lizenzmodell in Indonesien gefertigt. „Hinducaster“, sagt Kurtinat abfällig. Und dann zeigt er schmunzelnd einen Katalog. Jene Stratocaster gebe es natürlich auch teurer. Schlappe 25.000 Dollar müsse man für eine Eric-Clapton-Signature-Gitarre berappen. Zwar nicht versehen mit der Unterschrift des Mr. Slowhand aber zumindest in limitierter Auflage von nur 100 Stück. Kratzer und andere Gebrauchsspuren werden am Fließband eingearbeitet, damit das Instrument auch legendär genug aussieht. Das erinnert Uli Kurtinat an einen Spruch seines Vaters: „Wenn Du einen Hund hast, dem Du die Füße platt kloppst und ihn dann als Ente verkaufst – das ist Marketing.“

Die mahnenden Worte des Vaters in Erinnerung verkauft Kurtinat keine jener limitierten Luxusgitarren. Andere, günstigere Gitarren, die wie stonewashed Jeans im Gebraucht-Look aus der Fabrik kommen, hat er aber schon im Angebot. Die Kratzer kann man nur sehen, nicht fühlen. Sie sind von einer dicken Schicht Klarlack bedeckt. „Das ist zur Zeit sehr gefragt. Die Leute wollen damit den Eindruck erwecken, dass sie früher dabei gewesen seien.“

Er selbst ist früher natürlich dabei gewesen. Seine Mutter strickte Uli Kurtinat Mitte der 1960er einen Pulli mit einem roten und einem blauen Streifen. So einen Pullover hatte sie auf dem Cover einer Rolling-Stones-Platte gesehen und dachte, dass sich der Junge darüber freuen würde. Der Gitarrist Brian Jones hatte das Kleidungsstück getragen. Doch Uli Kurtinat konnte Mutters Werk nicht anziehen. Schließlich war er Beatles-Fan und somit Stones-Hasser und hätte sich bei seinen Freunden der Lächerlichkeit preisgegeben. Damals.

Inzwischen hat er seinen Frieden mit den rollenden Steinen gemacht. Vor einigen Jahren kam ein unscheinbarer Mann in seinen Laden, kaufte eine nicht unbedeutende Anzahl von musealen E-Gitarren der gehobenen Preiskategorie. Der Unbekannte war Mitarbeiter der dienstältesten Rock‘n Roll-Band und besorgte für seinen Chef Keith Richards ein paar neue Schmuckstücke. Man freundete sich an. Jener Pierre de Beauport, der auf dem Richards-Titel „Thru And Thru“ im Hintergrund Gitarre spielen darf, lud den Musikalienhändler aus Ehrenfeld später nach Amsterdam ins Paradiso ein. In jenem altehrwürdigen Hippieschuppen wurde gerade die Live-CD „Stripped“ eingespielt. Kurtinat wurde in der intimen Atmosphäre der nur 700 Zuschauer dann doch zum Stones-Fan.

Im vergangenen Sommer war er dann im Müngelsdorfer Stadion backstage dabei. Während des Soundchecks sollte er des Herrn Jaggers Gitarre und Mikrofon testen. „Das war schon der Hammer. Mein Gitarrenspiel, meine Stimme über die Riesenboxen im ganzen Stadion zu hören. Und mich auf dem gigantischen Bildschirm zu sehen.“ Von den 87 Gitarren, die Keith Richards bei der Tour mitführt, benutzt der Stone an jedem Abend nur etwa 25, weiß Kurtinat. Das wertvollste Teil ist eine Gibson Les Paul aus dem Jahre 1959 im Wert von etwa 300.000 Dollar. „Die Rolling Stones sind großes Kino“, erklärt der Gitarrendoktor ehrfürchtig.

Aber auch andere Berühmtheiten kaufen im Laden „Ulis Musik“. Gitarristen von BAP, Maffay und Grönemeyer, Silbermond, Tokio Hotel und The BossHoss decken sich mit den Oldtimern aus Ehrenfeld ein. Einmal ging dem Gitarristen der Metallica beim „Rock am Ring“ seine Lieblingsgitarre kaputt. Der Kölner konnte helfen und schickte per Taxi ein Ersatzteil im Wert von zwei Euro in die Eifel. Um die Instrumentensammlung des inzwischen verstorbenen Who-Bassisten John Entwistle zu warten, wurde Kurtinat vor einigen Jahren sogar nach London eingeflogen. „Sein Haus war ein einziges Terrarium, voller Spinnen.“ Als einmal eine E-Gitarre der Band Him repariert werden musste, bekam der Roady der finsteren finnischen Band das Zahlenschloss des Instrumentenkoffers nicht geöffnet. Kurtinat versuchte es mit dem international anerkannten Kürzel für den Antichristen „666“ – und hatte Erfolg.

Natürlich kann der Gitarrenveredeler noch viele Geschichten über die Reichen und Hässlichen des Rockgeschäftes erzählen. Wichtiger als die an ihnen hängenden Menschen sind ihm aber die Instrumente. Sie haben ein Eigenleben, eine Seele, ist er überzeugt. „Nur wenn eine Gitarre längere Zeit von einem lieben Menschen gut gespielt wurde, klingt sie auch später gut.“ Und mit Keith Richards ist Kurtinat der Meinung, dass sich nicht die Gitarristen ihre Gitarren aussuchen sondern umgekehrt. Wenn er ein bestimmtes Glänzen in den Augen seiner Kunden sieht, weiß er, dass es eine seiner Gitarren wieder geschafft hat, jemanden rum zu kriegen.

Ein Seelenverkäufer ist er deshalb noch lange nicht, findet Kurtinat. Es gehe beim Gitarrenkauf um mehr als Technik. „Der wichtigste Gegenstand in meinem Laden ist der mannshohe Spiegel.“ Viele Kunden posieren davor mit ihren Traumgitarren. Nur einmal wollte sich ein Kunde nicht im Spiegel betrachten, erzählt Kurtinat. Ihm käme es nur auf den Sound drauf an, so der Besucher. Dann aber entdeckte er eine Gitarre mit eingearbeitetem Wappen des FC Sankt Pauli. Als gebürtiger Hamburger kaufte er das Instrument ohne es gespielt zu haben und verließ überglücklich den Laden.

Und natürlich gibt es nicht nur platonische Liebe zwischen den meist männlichen Käufern und ihren kurvenreichen Instrumenten. Kurtinat lacht: „Bei manchen ist eine E-Gitarre natürlich eine Art Penisverlängerung. Schauen Sie sich Videos von der Haarspray-Heavymetalband Bon Jovi an.“

Er selbst hat, obwohl nach eigenen Angaben 30 Jahre mit der selben Frau glücklich verheiratet, natürlich auch seine Schätzchen. Eine 12-saitige goldbraune Rickenbacker mit drei Tonabnehmern nennt er sein Eigen. Die Hälfte der Wirbel, auf denen die Saitenenden aufgerollt sind, liegen quer zum Griffbrett, die anderen parallel dazu. Aber es ist weniger die Seltenheit, die ihn an seinem „Schnucki“ begeistert. Es ist der Klang. „Ich mache einmal Schreng und werde wieder jung.“

Und dann sagt er einen Satz, der bei all den Gitarren um ihn herum doch ein wenig verblüfft. „Das schönste Instrument kann man bei mir nicht kaufen. Das ist die eigene Stimme.“ Wenn Menschen mehrstimmig zusammen singen – wie bei den Beatles, den Byrds, wie bei Crosby, Stills, Nash and Young –, dann ist er tief berührt. „Das haut mir regelmäßig die Tränen in die Augen.“