Judenhass nimmt zu

Nordrhein-Westfalen wird immer häufiger Schauplatz von antisemitischen Straftaten. Politiker fordern politische Aufklärung. Wissenschaftler: sozialer Abstieg verstärkt rechte Gesinnung

VON HOLGER PAULER

Antisemitische Straftaten in Nordrhein-Westfalen nehmen massiv zu. Dies teilte die Landesregierung gestern auf eine kleine Anfrage des Landtags-Vizepräsidenten Edgar Moron mit. Demnach seien im abgelaufenen Jahr 270 Straftaten registriert worden – 243 hatten einen rechtsextremistischen Hintergrund, 16 wurden von „nichtdeutschen Tätern“ begangen. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 wurden 212 antisemitische Straftaten gemeldet.

An Schulen wurden insgesamt 40 antisemitische Straftaten registriert. Sozialdemokrat Moron forderte, dass alle politischen Verantwortlichen dafür zu sorgen hätten, dass alle Kinder unabhängig von Religion, Herkunft oder Nationalität „angstfrei in eine Schule gehen können“. NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) betonte, dass die Schulen durch die Lehrpläne verpflichtet seien, das Thema Rechtsextremismus im Unterricht zu behandeln. Er forderte die Schulleitungen zudem auf, stärker mit der Polizei zusammen zu arbeiten.

„Die Entwicklung ist besorgniserregend, kommt aber nicht überraschend“, sagte Monika Düker, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. Antisemitismus reiche bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Sie warne außerdem davor, der Polizei und dem Verfassungsschutz allein den Kampf gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu überlassen. „Wir müssen die Menschen aufklären“, so Düker. Der Vorsitzende des Landesverbands der jüdischen Gemeinden Nordrhein, Esra Cohn, unterstützte die Grünen-Politikerin.

In der Vergangenheit hatte es immer wieder Kritik an der Landesregierung gegeben. Der DGB-Landesvorsitzende Guntram Schneider hatte die im Landeshaushalt vorgesehene Streichung bei der politischen Bildungsarbeit als „gesellschaftspolitisch gefährlich“ bezeichnet. SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger kritisierte Kürzungen bei den Begegnungsprogrammen für Schüler. „Respekt schafft man vor allem durch Kontakte“, sagte er der taz.

In Teilen der Bevölkerung sei eine Sensibilisierung zu erkennen, sagte Jürgen Mansel vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld . „Die Leute zeigen antisemitische Delikte eher an als früher.“ Andererseits sei das Potenzial für rechtspopulistische Propaganda von 20 Prozent im Jahr 2002 auf 26 Prozent in 2005 gestiegen.

„Krisenhafte gesellschaftliche Entwicklungen schlagen sich bei vielen Menschen in Desintegrationserfahrungen und -ängsten nieder, die den Nährboden für eine ‚Ideologie der Ungleichwertigkeit‘ bilden und zur Abwertung von bestimmten Gruppen beitragen“, so Mansel. Die Menschen fühlten sich benachteiligt und richteten ihren Unmut gegen Gruppen, die mit Vorurteilen behaftet sind. „Fremde, Homosexuelle oder Juden müssen darunter leiden“, sagte er. Das Stereotyp vom Juden, der Andere ausbeutet sei immer noch aktuell.