Preußen, die im Regen stehen

Auf Berliner Verhältnisse schrumpfen: Heute hat im Gorki-Theater Kleists „Prinz von Homburg“ Premiere, eine Koproduktion mit dem Schauspiel Frankfurt. Der Regisseur Armin Petras zeigt dabei einen neuen Respekt für den Text

Ordentlich geregnet hat es im Frankfurter Schauspiel in den letzten Jahren oft. Einmal verhalf eine defekte Sprinkleranlage zum Unter-Wasser-Spektakel, dann stellte Florian Parbs für Peter Greenaways Holocaust-Stück „Gold. 92 Bars in a Crashed Car“ eine düstere Großraumdusche auf die Bühne. Auch Armin Petras nutzte mit seiner Bühnenbildnerin Katrin Brack die bewährte Kombination aus Wasser und Video, um Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“, eine Koproduktion mit dem Gorki-Theater Berlin, in aquatische Bilder zu übersetzen.

Über die ganze Breite lässt Petras die Bühne einregnen, während sich (alb)traumhafte Videovisionen abspielen – es sind vielleicht die seltsamen Gehirngespinste des somnambulen Prinzen, der über einer Liebesschwärmerei den Ernst des Krieges vergessen hat. Missverstehend zieht er ohne Auftrag in eine Schlacht. Der glorreiche Sieg wird nicht helfen: Der unabsichtliche Ungehorsam muss – zumindest zunächst – hart bestraft werden, schließlich ist man in Preußen, wo noch Zucht und Ordnung herrschen.

„Ich bin ja auch Preuße“, sagt Petras, der in Meschede geboren ist, einer Kleinstadt im Sauerland, das tatsächlich mal zu Preußen gehörte. Ihn interessieren diese „komischen Preußen“ und „diese Sehnsüchte, die so ganz anders sind als die Realität“. Viel hat er davon gefunden in Heinrich von Kleists letztem Drama vor dem Selbstmord und „das Lebensgefühl, im märkischen Sand zu hocken“, während anderswo das Leben spielt, kann er gut nachvollziehen. Denn Petras hat in Frankfurt an der Oder gelebt und gearbeitet und ist jetzt als Intendant des Gorki-Theaters in Berlin zuhause.

Aber auch das andere, das westliche Frankfurt hat sich eingeprägt. Hier hat Petras bis letztes Jahr das Theater Schmidtstraße geleitet, und die Kooperation zwischen dem Gorki-Theater und dem Schauspiel Frankfurt für den „Homburg“ ist nicht nur einer finanziellen Pragmatik geschuldet. Knapp 18 Kilometer ist Bad Homburg, Heimstatt der historischen Hessen-Homburgs und der Motorradmarke Horex, deren Logo dem neuen Gorki-Flügelmotiv wohl Pate stand, von Frankfurt am Main entfernt. Dort wurde Kleists Stück schon kurz nach der Uraufführung in Wien 1821 und lange vor der Berliner Erstaufführung gezeigt.

Politisch will Petras seinen „Homburg“ verstanden wissen, provozieren aber will er nicht. Auch nicht mit der Glatze, der Lederjacke und den Springerstiefeln, die er dem Prinzen in der Gestalt von Robert Kuchenbuch verpasst hat. Der steht mit einer einsamen Bierflasche am Bühnenrand und lauscht einer Schnulze aus dem Spätwerk der Böhsen Onkelz. Das mögliche Abdriften in eine Radikalität lässt Petras mitlaufen, ohne eine Verurteilung mitzuliefern. So bauen sich große Ambivalenzen hinter der Regenwand auf und in Frankfurt ist man doch etwas ratlos. Nicht, dass man sie nicht kennt, diese bösen Buben mit den kahlen Schädeln, aber ein prominenter Teil des Stadtbilds sind sie nicht. Und man spekuliert, dass man wohl in der wilden Hauptstadt Berlin mehr damit anzufangen weiß.

Heute steht die Zweitpremiere in Berlin an. Für das eigene Haus musste Petras umdenken: Nur ein Fünftel der Frankfurter Bühnengröße bietet das Gorki-Theater – da bleibt „das Martialische, das Große, Bildnerische“ der Frankfurter Inszenierung auf der Strecke. Stattdessen will er hier die „spielerischen Elemente betonen“. Im Regen werden die Schauspieler aber auch in Berlin stehen. Für Kleist muss man sich schon mal nass machen, schließlich hält ihn Armin Petras für einen der weltbesten Dramatiker. Gern möchte er in den nächsten Jahren „Penthesilea“ und „Die Familie Schroffenstein“ inszenieren, auf keinen Fall aber „Amphitryon“. Zu grausam und düster erscheint ihm dieses Stück, weil es aussagt, „dass es Liebe nicht gibt, sondern alles nur Einbildung ist“.

Vier Dramen und eine Novelle des in seiner Zeit verkannten Autors hat der Romantiker Petras inzwischen schon auf Deutschlands Bühnen gebracht. Drei davon in Frankfurt am Main. Den „Zerbrochenen Krug“ hat er 2002 in eine polternde Afghanistankriegsfarce verwandelt, und auch „Das Käthchen von Heilbronn“, das sich im Repertoire des Gorki-Theaters wieder findet, war lustvolle Stückzertrümmerung. Da muss es überraschen, dass sein „Prinz Friedrich von Homburg“ nun den Weg in die Werktreue einschlägt. Im Sprühregen arrangiert Petras seine Schauspieler zu Tableaus und lässt sie ihre Sätze vor allem frontal sprechen – ohne kollagierte Zwischentexte oder trashige Ausfälle. Stattdessen zeigt sich eine melancholische Simplizität. Nach all dem „Ver- und Zerspielen“, das ihm immer vorgeworfen worden sei, sei er nun auf der Suche nach neuen Formen und Dingen, die man weglassen kann: Einfacher, klarer soll sein Theater werden. Der „Homburg“ ist ein eindrucksvoller Anfang, auch wenn man die alten Spielereien schon jetzt ein bisschen vermisst. KRISTIN BECKER

Premiere am Gorki heute, 19.30 Uhr, nächste Aufführungen 31. Januar, 4./16./27. Februar