„Wir haben nur elf Verkehrsampeln“

TOURISMUS Im Lauf der Jahre hat das Wendland viele Menschen mit alternativen Lebensentwürfen angezogen. Die stellen nun Dinge wie die Kulturelle Landpartie oder die Sommerakademie auf die Beine. Ulrich Appels, Geschäftsführer der wendländischen Tourismus-GmbH, über das Besondere der Region Wendlands, sanften Tourismus – und Fußball gegen die Bereitschaftspolizei

■ 63, Dipl.-Betriebswirt (FH), ist seit nunmehr 21 Jahren Geschäftsführer der Elbtalaue Touristik GmbH, der einzigen im Wendland.

INTERVIEW AMADEUS ULRICH

taz: Herr Appels, was sind Ihre Assoziationen, wenn Sie an’s Wendland denken?

Ulrich Appels: 1978 war ich hier im Landkreis mit meiner Freundin. Das Wendland galt als Geheimtipp. Wir haben hier eine Fahrradtour gemacht am Ende meines Studiums. Ich habe damals zu meiner Freundin gesagt, hier zu leben und zu arbeiten, das wär’s. Das Wendland hat uns begeistert, 1991 sind wir hierher gezogen. Ruhe, eine dünne Besiedlung, die Möglichkeit, sich einen Lebenstraum zu erfüllen, dass wir uns ein altes Fachwerkhaus kaufen konnten wegen der niedrigen Immobilienpreise, dass wir Pferde halten und einen großen Garten haben können: Das ist für mich Wendland.

Lässt sich hier mit Tourismus Geld verdienen?

Der Tourismus ist ein wichtiges Standbein. Es gibt bei uns kaum Industrie. Die Entwicklung begann damals aufgrund des Naturparks Elbhöhen-Wendland. Man hatte aufgrund eines Gutachtens Ende der 80er ein Strategie-Konzept entwickelt. Damals war die Empfehlung, eine Marketing-GmbH zu gründen, die sich auf Tourismus spezialisiert. Arbeitsplätze im Wendland sind rar. Heute gibt der Tourismus über 1.000 Menschen Arbeit.

Aber denken die meisten nicht beim Wendland an den dortigen linksalternativen Widerstand, die Anti-Atomkraft-Bewegung?

Da muss man differenzieren. Ich würde ihn nicht als linksalternativ bezeichnen; es ist ein alternativer Widerstand, der sich über die Atomkraft Gedanken gemacht hat, gerade wegen Gorleben. Denken Sie an Fukushima, wir im Wendland waren der Zeit voraus. Es ist gut, dass man die Bewegung endlich ernst nimmt. Wenn ein Castor-Transport durch unser schönes Wendland rollt, wird oft die schreckliche Seite gezeigt, der Radau, wie unbeherrscht manche Demonstranten sind. Dabei war es stets ein sympathischer Widerstand, es gab Programme, Theater, Musik, Fußballspiele mit der Bereitschaftspolizei.

Also haben sich Widerstand und Tourismus begünstigt?

Ja und Nein. Durch den Widerstand haben viele Menschen einen besonderen Bezug zum Wendland bekommen. Andere wiederum sahen die Bilder in der Presse, dachten, oh Gott, vielleicht kann ich da gar keinen Urlaub machen, die prügeln sich ja nur! Wir haben aber auch viel Sympathie für die Region bekommen, das merken wir.

Wie?

Ich führe zusätzlich das Rundlings-Museum Wendlandhof Lüben. Da kommt man immer mit Gästen ins Gespräch, und die sprechen manchmal das Thema Gorleben an. Wir vermeiden aber gerne, das zu erwähnen. Es ist ein Problem, ohne Frage.

Inwieweit ist das Wendland von der alternativen Szene geprägt?

Sie ist das, was uns ausmacht. Als das damals in den 70ern anfing, sind hunderte kreative Menschen ins Wendland gezogen. Viele sind nachgekommen, aufgrund dieser durch die Grenzlage sehr ruhigen Region. Viele Ideen und Themen wurden damals schon eingebracht und werden es auch heute noch. Wir haben hier ein Ideenpotenzial, und tolle Leute, die tolle Dinge leisten. Das Wendland ist kreativ.

Im August startet die Sommerakademie. Worum handelt es sich hierbei?

Es geht um Kunst, Handwerk, Musik und Umwelt, natürlich auch um Widerstand. Das ist Querbeet und typisch für unsere Region. Es sind kreative Leute, die sich in dieser Sommerakademie treffen mit Themen und Programmen für Geist und Seele. Auch einen Korbflechtkurs oder eine Kanutour auf der Elbe kann man machen. Eine klasse Sache, die einen Monat stattfindet.

Sie haben da Ihre Finger nicht im Spiel?

Nein, wir weisen aber drauf hin. Leute, die sich zusammentun, bringen meist mehr zustande, als wenn wir das rein touristisch organisieren. Das ist wie mit der kulturellen Landpartie, die trägt sich alleine, ohne öffentliche Gelder.

Auf Ihrer Internetseite werben Sie für Themenradtouren. Worum geht es da?

Wir haben zwölf Radtouren entlang der Wege. Eine führt durch die Rundlingsdörfer, die das Wendland prägen. Etwa 100 davon gibt es hier in der Region. Es sind meist zehn bis 20 Häuser, die in einer Runde gebaut sind, in der Mitte ist der Dorfplatz. Diese Dörfer sind ein Hauptgrund, um das Wendland zu besuchen. Überdies gibt es eine Amphibien- und eine Bieber-Tour mit Informationen unterwegs. Und eine Grenzlandtour, eine Vogelkiekertour, sowie eine Tour von der Elbe in die 400 Hektar große Nemitzer Heide.

Was kann man sonst im Wendland machen?

Die Sommerakademie im Wendland gibt es vom 1. bis zum 31. August. Etwa 40 Aktive und Kreative des Landkreises machen die Akademie möglich und bieten vielerlei Gewerke und Künste.

■ Rund 200 Veranstaltungen können Interessierte jeden Alters besuchen. Darunter findet sich ein Sonntagsspaziergang um die Gorlebener Atomanlagen, Atelierbesuche, Vorträge, Zeichenkurse, das Wiese-Mähen mit einer Sense, das Singen indianischer Lieder oder das Kochen mit Unkraut.

■ Die Angebote sind zum Teil kostenpflichtig. Anmeldungen werden erbeten.

■ Mehr Infos: www.sommerakademie-wendland.deAMA

Man kann auf der Elbe mit einem Boot fahren. Wir haben hier schöne kleine Häfen, in Hitzacker etwa. Vorteilhaft ist, dass wir so wenig Einwohner haben. Das heißt, wir haben alle Platz, es gibt wenig Autoverkehr, man kann hier kreuz und quer mit dem Fahrrad fahren, für Reiter gibt es kaum Verbote: Sie reiten durch Wiesen, Wälder, an der Elbe. Viele wandern inzwischen auch.

Im Wendland gibt es zwei Schutzgebiete.

Stimmt, zum Beispiel das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue. Da gibt’s Führungen, sonstige Veranstaltungen. Verbote gibt’s kaum. Dem schließt sich der Naturpark Elbhöhen-Wendland an.

Wie sind Sie Geschäftsführer der Elbtalaue Touristik GmbH geworden?

Nach einer beruflichen Ausbildung im Hotelfach erfolgten Auslandspraktika in Lausanne und in Brüssel. Anschließend war ich an die Hotelfachschule in Heidelberg. Danach Studium der Touristikbetriebswirtschaft an der Fachhochschule Heilbronn. Nach dem Studium zog es mich für fünf Jahre als stellvertretender Kur-Direktor auf die Insel Wangerooge. Die Insel wurde mir jedoch zu klein, ich war zu jung, um dort sesshaft zu werden. Es folgte eine vierjährige Geschäftsführertätigkeit für die Tourismusorganisation des Landkreises Lörrach. Im Juli 1991 bin ich dann ins Wendland gekommen. Etwa zwei Jahre später haben wir unsere GmbH gegründet, ich wurde Geschäftsführer.

Sie machen diese Arbeit nun seit 21 Jahren. Was hält Sie bei der Stange?

An all den Orten, wo ich früher gearbeitet habe, war der Tourismus schon so durchgestylt. Im Wendland kann und konnte man noch gestalten. Wir hatten hier stets die Absicht, einen sanften Tourismus zu machen, Pionierarbeit zu leisten. Wir haben nur elf Verkehrsampeln, kennen keine Staus. Es ist eine hohe Lebensqualität, für die andere weit rausfahren müssen.