Die halbe Revanche ist gemacht

CHAMPIONS LEAGUE Die Münchner zeigten in Mailand rasanten Tempofußball. Der Erfolg verschafft ihnen gute Perspektiven für die kommenden Wochen. Nur die Viererkette hinten ist noch etwas durcheinander

AUS MAILAND MARCUS BARK

Jay Jay Okocha gewann in seiner Vereinskarriere zwar keinen Titel, aber er bewirkte einiges. Mit Tricks und Toren verzauberte der Nigerianer die Bundesliga in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt (1992 bis 1996). Bei einer Kombination aus Tricks und Tor versetzte er 1993 den Fernsehkommentator Jörg Dahlmann in eine Ekstase, die bis heute andauert. Ähnlich verzückt muss auch Mario Gomez gewesen sein. Der Stürmer des FC Bayern plauderte am späten Mittwochabend darüber, wie ihn Okochas Kunststücke erst zum Fußball gebracht hätten. Bis er ihn mit „sieben, acht Jahren“ im Fernsehen gesehen habe, sei der Sport für ihn „langweilig“ gewesen. „Er war mein erstes Vorbild“, sagte Gomez, und da er sich vor dem Achtelfinalhinspiel bei Inter Mailand noch einmal Tricks und Tore des heute 37 Jahre alten Nigerianers „reingezogen“ habe, widmete er den Jubel nach dem Tor in letzter Minute Okocha: „Ich dachte, komm, einmal für Jay Jay.“

Eine der Tüten mit der Aufschrift „I love Inter“, die ein paar Münchner als Geschenk aus dem Stadion schleppten, könnten sie deshalb durchaus an Okocha schicken. Die Aufschrift müsste aber noch ein bisschen ergänzt werden. Die Münchner lieben Inter nur, wenn es im Giuseppe-Meazza-Stadion gegen die Schwarz-Blauen geht. Sie gewannen dort nun das dritte Europapokalspiel gegen Inter. Sollte der 1:0-Sieg im Rückspiel am 15. März verteidigt werden, wäre die versprochene kleine Revanche für die 0:2-Niederlage im Endspiel der Champions League 2010 komplett.

Der Erfolg beim Titelverteidiger verschafft den Bayern gute Perspektiven für die kommenden Wochen, in denen auch noch der Kampf um den zweiten Tabellenplatz in der Bundesliga (oder mehr?) und das DFB-Pokalhalbfinale gegen Schalke 04 anstehen. „Wenig feiern, viel konzentrieren“, empfahl daher der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge, noch bevor es zum Bankett ging, auf dem sich die Spieler an die Marschroute hielten.

Die Münchner spielten am Mittwoch bei Inter rasanten Tempofußball, was in erster Linie Arjen Robben zu verdanken war. Er ist die zentrale Figur des Bayern-Spiels – und er ist in Topform. Wichtig war aber auch, Wesley Sneijder in den Griff zu bekommen, was ein Verdienst der defensiven Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger und Luiz Gustavo war. Die beiden bilden die „Doppel-Sechs“ der Zukunft, daran dürfte Trainer Louis van Gaal nicht mehr rütteln.

Der FC Bayern, dritter Schlüssel zum Erfolg, ist ohne Gegentor geblieben. Das war ein Verdienst von Thomas Kraft. „Ich habe ein ordentliches Spiel gemacht“, sagte der 22 Jahre alte Torwart, bei dem sich stets die Frage aufdrängt, ob er wirklich so cool ist, wie er wirkt. „Ich weiß gar nicht, was ihr habt“, wunderte sich Thomas Müller über die Journalisten: „Wenn der Schiri anpfeift, ist es egal, ob du in Sandhausen oder Mailand spielst.“ Kraft bestätigte das mit einem trockenen: „Jo.“ Ob er der Bayern-Torwart der Zukunft wird, darüber gibt es noch keine verlässlichen Angaben. „Wir werden über eine Vertragsverlängerung sprechen. Aber derzeit interessiert mich das nicht“, sagte Kraft.

Er ist wohl wirklich ziemlich cool, und bei allen positiven Aspekten, die der Sieg bei Inter aufdeckte: Hinter dieser Viererkette muss ein Torwart auch einfach cool bleiben. Philipp Lahm, der als einziges der vier wie auch immer zusammen gemixten Elemente aus dieser Kette hohen internationalen Ansprüchen genügt, sagte zu Recht: „Wir haben viel besser verteidigt als im Finale in Madrid.“ Aber er sagte auch: „Wir haben zwar wieder einen Tick defensiver gespielt, aber phasenweise ging es immer noch zu sehr hin und her.“ Das ist eine niedliche Umschreibung für einiges Durcheinander, das die Innenverteidiger Anatoli Timoschtschuk und besonders Holger Badstuber in der ersten halben Stunde anrichteten.

Die nächste Prüfung auf die neu beschworene Stabilität, mit der es bei genauerem Hinsehen nicht ganz so weit her war, folgt am Samstag. Dann kommt Borussia Dortmund zum Topspiel der Bundesliga nach München. Präsident Uli Hoeneß brüllte in der Bild-Zeitung, dass er einen Sieg „mit zwei Toren Unterschied“ gegen den Tabellenführer erwarte. „Ein 1:0 würde mir auch reichen“, sagte Thomas Müller. Tüten mit „I love BVB“ können die Bayern prophylaktisch schon einmal bestellen. Die Borussia gewann zuletzt 1991 in München.