Das Amt auf Abwegen

FORTSCHRITT Kämpfe mit Politik und Unternehmen: In vier Jahrzehnten hat sich das Umweltbundesamt gegen große Widerstände erfolgreich für die Natur eingesetzt. Kritiker sehen Behörde heute aber als geschwächt an

VON MORITZ SCHRÖDER

KÖLN taz | Die Schlange hat vier Stockwerke und ist 460 Meter lang. Sie bildet den Hauptsitz des Umweltbundesamts (UBA) in Dessau-Roßlau und soll ein ökologisches Vorzeigetier sein. Alles ist bunt, rund, luftig. Design und Bauweise schonen Energie. So muss das eben sein im Reich der wichtigsten deutschen Umweltbehörde. Die Schlange ist aber auch ein gutes Symbol für das UBA, das am Dienstag 40 Jahre alt wird. Denn langjährige Wegbegleiter der Behörde glauben: Das einst furchteinflößende Reptil ist träge geworden.

Zu Bonner Zeiten sahen viele in der Politik den Umweltschutz eher als Notwendigkeit denn als Pflicht. Doch die Umwelt schrie mit großen Gesten um Hilfe: schwarzgrauer Himmel über der Ruhr, unkontrollierte Müllkippen, Abgasnebel in den Städten. 1976 flimmerten dann die Bilder des verseuchten italienischen Seveso über die Bildschirme, wo hochgiftiges Dioxin aus einer Chemiefabrik Menschen und Umwelt vergiftete.

Am 22. Juli 1974 gründete die Bundesregierung mit dem UBA die erste zentrale Stelle, in der wissenschaftliche Lösungen für die ökologischen Probleme gefunden werden sollten und die die Politik in Umweltfragen beraten sollte – damals noch unter Aufsicht des Innenministeriums. Was die Politik nicht beabsichtigt hatte: Das neue Amt gab vielen kritischen Wissenschaftlern aus der Umweltbewegung eine Heimat. Und die betonten ihre wissenschaftliche Freiheit manchmal stärker, als es der Regierung lieb war.

Einer davon war über viele Jahre Axel Friedrich, der 1980 zum UBA kam und als Koryphäe im Verkehrsbereich gilt. Er legte sich in seinem Einsatz, zum Beispiel für bleifreies Benzin, immer wieder mit der Autoindustrie an – und mit seinen Vorgesetzten. „Zeitweise wurden mir keine Dienstreisen genehmigt. Oder mir wurde mit Versetzung gedroht“, sagte er der taz.

Im Umweltbundesamt will man dazu heute keine Stellung nehmen. Dass hinter Sanktionen Systematik steckte, glauben Insider nicht, zumal Friedrich einer der kritischsten Köpfe war.

Doch dass damals tatsächlich hart gerungen wurde, zeigt eine Aussage des früheren Staatssekretärs im Bundesumweltministerium, Erhard Jauck. „In einer internen Besprechung habe ich mal von geistigen Freigängern gesprochen“, sagte er gegenüber der taz. Es sei eine „schwierige Zusammenarbeit“ gewesen mit einzelnen Mitarbeitern – wie eben Axel Friedrich. Schwarze Listen habe es keine gegeben – „aber einige Leute hatte man im Kopf“.

Trotz aller internen Kämpfe hat das Umweltbundesamt viel erreicht. Einige Wegmarken: 1978 wird das Umweltzeichen „Blauer Engel“ für ökologisch vorteilhafte Produkte eingeführt. 1988 kommt, maßgeblich durch das Amt initiiert, das Verbot von bleihaltigem Benzin. 1996 tritt das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in Kraft – die Mutter der Müllverwertung.

Doch nach 40 Jahren fragen sich viele, wo das UBA heute steht. Vor allem seit dem Jahr 2005. Damals wechselte der Hauptsitz von Berlin nach Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Der Umzug war von der Politik schon lange geplant und Teil des Stärkungsprogramms für die Bundesländer im Osten.

Rund 900 der insgesamt 1.500 Mitarbeiter sitzen nun am neuen Standort. Mit der Bahn sind es knapp zwei Stunden Fahrtzeit von der alten Zentrale am Berliner Bismarckplatz bis zum neuen Standort nahe dem Dessauer Hauptbahnhof. Der moderne Neubau inmitten der Bauhaus-Stadt wurde von den Mitarbeitern gut angenommen. Kritiker sprechen von „Pampa“.

Inge Paulini, die seit Anfang der 1990er Jahre bis 2009 teils in Leitungsfunktionen beim UBA gearbeitet hat, sagt zum Standort: „Nach dem Umzug nach Dessau hat sich der Aufwand für die Kontaktpflege mit Politik, wissenschaftlichen Institutionen, NGOs und anderen in Berlin deutlich erhöht.“

Zudem wollten viele frühere Mitarbeiter schlicht nicht umziehen oder nutzten die Gelegenheit, um auf besser bezahlte Stellen in der freien Wirtschaft oder in andere Bundesbehörden zu wechseln. „Nach dem Umzug habe ich in meiner Abteilung Verkehr in zwei Jahren die Hälfte meiner Leute verloren. Innerhalb nur eines Jahres hatte ich keinen einzigen Fachgebietsleiter mehr“, sagt Axel Friedrich.

Im Jahr 2008 hat er das UBA verlassen, auch wegen der Enttäuschungen, die er dort erlebt hat. „Das Umweltbundesamt muss sich fragen, wie es die Rolle des Mahners und Anschiebers weiter beibehalten will.“ Nach 40 Jahren könnte die Schlange aus seiner Sicht eine Häutung gebrauchen.