Ein Netzwerk zum Abschalten

Bei der jährlich in Berlin stattfindenden Transmediale treffen sich Theorie, Forschung und bildende Kunst. Neue Entwicklungen der elektronischen Lebenswelt werden jedoch kaum mehr reflektiert, nicht einmal wahrgenommen. Ist die Plattform der Medienwissenschaft zur Retro-Mediale geworden?

von STEFAN HEIDENREICH

Zum zwanzigsten Mal findet in Berlin das Festival statt, das 1988 als VideoFilmFest gegründet wurde und heute Transmediale heißt. Sein Jubiläum begeht es mit drei Protagonisten, deren erste Erfolge in die eigene Gründungszeit zurückreichen. Vorgestern sprach Stelarc, gestern Arthur Kroker, heute Friedrich Kittler. Nichts gegen die drei Vortragenden. Jeder von ihnen hat die Welt um Wissen und Taten bereichert.

Die Einladung an drei verdiente Männer der Mediengeschichte, die Hauptreden zu halten, wirft ein Licht auf die Orientierungslosigkeit des Programms. Jahr um Jahr wird eine neue Marketingfloskel als Thema ausgegeben. 2007 ruft es uns „Unfinish!“ aus der Akademie der Künste entgegen. Im letzten Jahr hieß es „reality addicts“, davor „Basics“, „FlyUtopia“ oder „GoPublic“. Ein Sammelsurium von Plattheiten, austauschbar wie Neujahrsansprachen von Bundeskanzlern.

2005 wurde das Festival zum kulturellen Leuchtturm ausgerufen und erfreut sich seither einer substanziellen Förderung der Bundeskulturstiftung. Große Energieschübe gehen davon nicht aus, wirklich gut gelungen scheint einzig die feste Verankerung im Subventionsbetrieb. Nicht dass nicht hin und wieder ein großartiger Vortrag zu hören oder ein gelungenes Kunstwerk zu sehen wäre, aber im Großen und Ganzen schleppt sich die Veranstaltung uninspiriert von Jahr zu Jahr. Den Grund der Probleme vor Ort zu suchen, greift zu kurz. Denn das Festival ist in zwei Fallen getappt, für die weder Organisatoren noch Künstler, noch Vortragende eine Schuld trifft. Die eine Falle betrifft die Medienkunst, die andere die Medientheorie.

Die Falle der Medienkunst liegt darin, kulturelle Produktivität in unproduktive Bahnen zu lenken. Die Falle der Medientheorie besteht darin, zu Gegenwart und Zukunft der Medien nichts oder noch das Falsche zu sagen.

Zuerst die Theorie: Simulation, Virtualität, Hyperrealität lauteten die Leitbegriffe der 90er-Jahre, als französische Philosophie sich glücklich mit dem neuen Begriff Medium vereinigte. Fixiert auf Rechenleistungen, Maschinenästhetik und die Überbietung der Sinne, nahm kaum jemand wahr, was sich als folgenreichste Entwicklung des Jahrzehnts erweisen sollte: Das World Wide Web wuchs im blinden Fleck der Medientheorie. An Wissen haben die Medienwissenschaften seither wohl einiges ausgegraben, aber wenig, was sich in Handeln übersetzen ließe. Das mag für Universitätskarrieren ausreichen, aber im Rest der Welt hilft es nicht weit.

Eine Zukunft stiftende Zusammenarbeit zwischen Kultur- und Computerwissenschaften ist ausgeblieben. Diesen Umstand illustriert die Tatsache, dass die erfolgreichen Unternehmen im Netz kaum aus Deutschland oder Europa stammen. Einzig die Kommunikation zwischen Betriebswirtschaft und Informatik ist so gut gelungen, dass daraus eine SAP werden konnte. Auch wenn der Erfolg am Kapitalmarkt nur von eingeschränkter Aussagekraft ist, so kann man doch zur Lage festhalten: Wer an der Zukunft der Kultur in Netzen und Datenströmen mitarbeiten will, hat von heimischer Medientheorie nicht viel zu hoffen.

Nun zur Falle der Medienkunst. Sie liegt im Begriff und im Betrieb der Kunst. Wer Kunst macht, liefert sich einem seltsamen Gratifikationsmodell aus. Wohlgelitten sind Werke, die irritieren, verstören, sich dem gewöhnlichen Blick verweigern, Technologien und Formate reflektieren und brechen. Dabei sind viele schöne, obskure und großartige Arbeiten entstanden. Nur leider kaum etwas, das auf die Entwicklung der medialen Kultur im Großen und Ganzen einen sonderlichen Einfluss gehabt hätte.

Anstatt die Arbeit am Medium zu etwas zu nutzen, an dem sich viele Leute beteiligen und das vielen Beteiligten nützt, richtet sich Kunst, zumal wenn sie wie Medien- und Netzkunst keinen Markt findet, am Ende an andere Adressaten: an staatliche Institutionen und Behörden oder an Stiftungen, die den Betrieb subventionieren. Dagegen greifen Medienkunst und Medientheorie die Entwicklungen der digitalen Kultur im Normalfall verspätet auf. Kaum je gelingt es, einen Schritt vorauszuahnen, geschweige denn mitzugestalten. Das kalifornische Modell einer Kooperation von Computerkultur, Universitäten und Investoren hat sich demgegenüber als ungleich kreativer und kulturell wirkungsvoller herausgestellt.

Den Machern der Transmediale scheint die konzeptuelle Schwäche nicht ganz verborgen geblieben zu sein. Für dieses Jahr wurde der Name der Veranstaltung wieder einmal leicht abgewandelt. Es heißt nun nicht mehr „international media art festival“, sondern „festival for art and digital culture“. Ach, wenn kosmetischen Eingriffen dieser Art nur Taten folgen würden. Ein halbes Jahrzehnt nachdem Weblogs zum Mainstream geworden sind, stellt ein Panel fest, dass die Blogosphäre nun auch die Kunst erreicht habe.

Warum lädt man nicht jemanden ein, der populäre digitale Kultur miterfindet? Und seien es die in Berlin lebenden Gründer von StudiVZ, einer erfolgreichen Imitation des amerikanischen „Facebook“. Warum gibt die Website der Transmediale nicht den Hauch eines Hinweises drauf, was im Netz auf Youtube, Flickr, bei Digg oder bei Technorati über das Festival berichtet wird? Warum riskiert man nicht einen Blick nach vorne?

Der Wechsel der Leitung könnte eine gute Gelegenheit sein, das Festival mit einer programmatischen Neuausrichtung wieder zu beleben. So unterschiedliche Konferenzen wie das jährliche Treffen des Chaos Computer Clubs, die Barcamp-Unconferences, der Digital Lifestyle Day in München oder Reboot in Kopenhagen zeigen, was sich zur Gegenwart und Zukunft der digitalen Kultur sagen lässt. So fand sich beim Digital Lifestyle Day vor zwei Wochen eine überraschende gemeinsame Ansicht: Die Mehrzahl der Beteiligten geht davon aus, dass das Netz zerfallen wird, in Module, gerätespezifische Oberflächen und situationsbezogene Anwendungen. Hoffentlich dauert es nicht wieder Jahre, bis dieser Aspekt der digitalen Kultur im Rückspiegel von Medienkunst und -theorie die Transmediale erreicht.