Clash of Cultures

Am Anfang war nur ein altes Auto: „Life on Mars“ schickt einen politisch korrekten Cop zurück in die wilden Siebziger (Sa., 20.15 Uhr, Kabel 1)

VON HARALD FRICKE

Der Tag entwickelt sich nicht gut für Inspektor Sam Tyler. Beim Versuch, einen Serienmörder in Manchester zu stellen, versagt seine Abteilung völlig. Wenig später geht Tylers Kollegin und Geliebte Maya bei einer Undercover-Aktion dem Verbrecher in die Falle. Und als Tyler schließlich zerknirscht vom Tatort zurückkehrt und ein wenig Luft schnappen will, wird er von einem Auto überfahren. Noch läuft „Life on Mars“ keine zehn Minuten, da liegt der Held der BBC-Serie bereits im Koma.

Was von nun an folgt, das ist eine irrwitzige Zeitreise, die in jeder der acht Episoden brillant, manchmal auch actionreich erzählt ist und trotzdem von einem höchst britischen Sinn für Ironie vorangetrieben wird. Denn das Schädel-Hirn-Trauma hat den akkuraten, politisch stets korrekten Polizeibeamten zurück in die frühen Siebzigerjahre gebeamt.

1973 entpuppt sich für Tyler als Hölle: Man trägt Schlaghosen und speckige Lederjacken statt schick geschnittener Massanzüge, Handys sind ein Fremdwort; und die Dienststelle, in der er sich plötzlich wiederfindet, wird von trinkfesten, prügelfreudigen Bullen bevölkert, die sich in ihrem Lebenswandel selbst kaum vom kriminellen Mob in Manchester unterscheiden. Am schlimmsten ist aber Tylers ständiger Zweifel daran, dass all das, was hier passiert, wirklich wahr ist – oder nur eine Vorspiegelung seiner beim Unfall aus der Spur gesprungenen Fantasie.

„Life on Mars“ wurde bereits 1998 für die BBC von einem Drehbuchteam konzipiert, das anfangs keine Story, sondern bloß die Vorstellung von einem alten Ford Cortina hatte. Außerdem wollte man unbedingt den titelgebenden Song von David Bowie, aber auch Musik von Uriah Heep oder Paul McCartney & The Wings dabeihaben. Erst viel später kamen noch Ideen wie Fußballhooligans, Arbeiterstreiks, sündige Sexclubs oder Kokain als neue Modedroge hinzu, die sich gut als Eckpfeiler für den Plot machen – die ganze Palette der sich in den Siebzigern allmählich liberalisierenden britischen Gesellschaft eben: Noch hoffte man damals auf eine sozialistische Regierung, noch konnten die Gewerkschaften die Massen in der für den Norden wichtigen Textilindustrie mobilisieren, noch war nicht alles Punk.

Die Detailverliebtheit und extrem genaue Milieukenntnis trägt wiederum viel dazu bei, dass „Life on Mars“ selbst in der deutschen Übersetzung funktioniert. Hier fallen zwar manche derbe Flucherei – von „poof“ bis „prick“ – oder so schöne Wortspiele wie das ratlos gefragte „mobile what?“, als Tyler nach einem Mobiltelefon verlangt, unter den Tisch. Aber die gewisse Steifheit im Ton wird von der schauspielerischen Leistung schnell wettgemacht: Jon Simm ist als Sam Tyler (im Foto r.) in jedem Moment glaubwürdig verwirrt, ohne dass ihn sein mentales Handikap groß daran hindern würde, im Paralleluniversum des Komas weiter vollen Einsatz zu geben bei der Verbrechensbekämpfung. Und Philip Glenister, den man aus „Calendar Girls“ oder „Kingdom of Heaven“ kennt, ist als Tylers Vorge-   setzter Gene Hunt (Foto l.) stets genügend Arschloch, um auch nach drei, vier Folgen unberechenbar zu bleiben.

Diese Dynamik ist überaus anziehend. Hier der hardboiled Cop aus der Steinzeit der Kriminologie und dort der sensible, auf Profiler-Lehrgängen und in Deeskalalationskursen geschulte Dienstleister in Sachen Recht und Ordnung. Dazwischen Fußballfans, die für ihren Verein töten, und Amokläufer, die Rache nehmen wollen am kapitalistischen Schweinesystem. Da hat sich seit Glamrock wenig verändert. Dass ein Inspektor sich aber als Kind über den Weg läuft und so verstehen lernt, woher sein Vaterkomplex rührt, ist dagegen eine Fügung, die Tyler zu einem glücklicheren Menschen machen wird. Einmal zumindest läuft nicht alles schief in seinem Leben. Oder ist das doch schon der Tod?