Kopfballtore künftig per Helm?

Finnische Wissenschaftler verlangen bessere Schutzmaßnahmen für Sportler: Eine Langzeituntersuchung zu den Verletzungsgefahren warnt besonders Karatekämpfer und Judokas  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Laufen die Stars der Fußball-Bundesliga in zehn Jahren mit Helm, Brustpanzer, Mund- und Knieschutz auf den Platz? Oder werden neue Regeln das körperlose Spiel fördern und den Rauhbeinen die rote Karte zeigen? Beides – ein verbessertes Regelwerk und eine passive Schutzausrüstung – schlagen finnische Wissenschaftler und Ärzte vor, die in einer aufwendigen Langzeituntersuchung das Verletzungsrisiko von Athleten und Spielern in sechs Sportarten beobachtet haben: Fußball, Eishockey, Basketball, Volleyball, Judo und Karate.

Zwischen 1987 und 1991 hat das finnische Team des Instituts für Biomedizin der Universität Helsinki fleißig Daten gesammelt, die jetzt im British Medical Journal veröffentlicht wurden. Der Aufwand war riesig: Sämtliche finnischen Sportler der sechs obigen Disziplinen aus allen Ligen, auch die Jugendlichen, wurden erfaßt, die Nummer ihres Krankenversicherungsscheines notiert, jede von einem Arzt behandelte Verletzung registriert. Nur die kleineren, selbsttherapierten Blessuren fielen durch das Raster. Insgesamt wurden 621.691 „Personenjahre“ an finnischem Sport beobachtet und nicht weniger als 54.186 Verletzungen ausgewertet. Wichtigste Ergebnisse: Karate und Judo hatten mit 142 bzw. 117 Verletzungen pro 1.000 Personenjahre Sport die höchste Verletzungsrate, Volleyball mit 60 die niedrigste. Eishockey (94), Fußball (89) und Basketball (88) lagen fast gleichauf im Mittelfeld.

Judokas und Karatekämpfer sollten öfter mal das Training schwänzen, denn dort passieren 70 Prozent der Verletzungen in ihren Sportarten. Im Fußball oder Eishockey kracht es im Training zwar nicht so oft, aber immerhin 45 bzw. 40 Prozent der Spieler verletzten sich nicht während der Wettkämpfe selbst, sondern bei der Vorbereitung.

Die Untersuchung zeigt, daß Jugendliche im Sport fairer und weniger aggressiv zur Sache gehen als Erwachsene. Bei den Fußballern liegt die Verletzungsrate bei den unter 15jährigen jedenfalls nur bei 25 pro 1.000 Personenjahre. Zehnmal so hoch ist sie mit 254 in der Altersklasse der 20- bis 24jährigen. Statistisch ist dies – mit deutlichem Vorsprung – die am heftigsten gebeutelte Altersklasse. Mit zunehmendem Alter wird es dann wieder gemütlicher. Trotz zunehmender Unbeweglichkeit und manchem Schwimmring um den Bauch sinkt die Ausfallquote bei den Alten Herren der über 34jährigen auf 64 ab.

Erfreulicherweise wurde in dem langen Beobachtungszeitraum kein einziger Todesfall registriert. Die schwerste Verletzung war der Halswirbelbruch eines Eishockeyspielers mit kompletter Lähmung aller vier Extremitäten. In immerhin 102 Fällen kam es zur Sportinvalidität mit Dauerbehinderung. Schwere Knieverletzungen waren die häufigste Ursache für Invalidität.

Die gängigsten Verletzungen waren Zerrungen und Stauchungen, die zum Beispiel im finnischen Fußball 56 Prozent ausmachten. Im Eishockey waren „dentale Verletzungen“ mit sieben Prozent auffällig hoch. Den Spielern werden schlicht die Zähne aus- bzw. eingeschlagen.

Übereinstimmend sind bei sämtlichen sechs Sportarten die „unteren Gliedmaßen“ das gefährdetste Terrain. Nicht nur im Fußball kriegen die Beine das meiste ab. Schenkel-, Knie-, Knöchel-, Zehen- und Fußverletzungen sind auch im Volleyball und Basketball mit 57 bzw. 56 Prozent Spitze. Ansonsten hat jede Sportart ihr eigenes Verletzungsprofil. Basketballer zeigen zum Beispiel eine naturgemäß hohe Anfälligkeit der Fußknöchel und Fingergelenke. Karatekämpfer haben auffällig viele Kopfverletzungen, Eishockeyspieler die mit Abstand höchste Zahl an Quetschungen und blutenden Wunden.

In ihren Empfehlungen zur Verhinderung weiteren Gemetzels in den Sportarenen predigt das finnische Wissenschaftlerteam die technische Aufrüstung. Die guten Erfahrungen mit Helm und Gesichtsmasken im Eishockey werden zum Modellfall erhoben. Entsprechende Schutzkleidung, die ganz auf die jeweilige Sportart abgestimmt ist, könne die Verletzungsgefahr auch in anderen Sportarten erheblich verringern, heißt es. Künftig also Knöchelschoner für die Bundesliga? Knieschutz? Kopfballtore per Helm?

Interventionen zum Schutz der Spieler erwartet das Untersuchungsteam zudem von Schiedsrichtern und Verbänden. Um Verletzungen zu vermeiden, sollten die Regeln geändert werden, müßten die Referees härter durchgreifen. Im Eishockey, in Finnland Volkssport, sollten Bodychecks von hinten oder gegen die Bande verboten werden. Typischerweise haben gerade daran die Zuschauer oft das meiste Vergnügen.

Daß rauhe Sitten und schwere Verletzungen zum Sport gehören, daß sie das Zuschauerinteresse sogar noch steigern, beweist seit Jahren die Formel 1. Deren Bilanz wird in der finnischen Studie als Extrembeispiel für Sportverletzungen genannt: 69 Todesfälle in 44 Jahren – und ein ungebremster Zuschauerboom.