Angst vor dem Absaufen

■ Die Olympiateilnahme der deutschen Wasserballer steht auf der Kippe

Arglose Passanten, die an der Schwimmhalle in Berlin-Hohenschönhausen vorbeikommen, glauben vermutlich, drinnen fände die Weltmeisterschaft im Trillerpfeifen statt. Allein, es handelt sich um Wasserball. Gepfiffen wird jedoch mächtig beim Olympia-Qualifikationsturnier. Und das nicht ohne Grund. Im Sekundentakt verschwinden Spieler, von geheimnisvollen Kräften getrieben, respektive gezogen, unter der Wasseroberfläche, während andere unschuldig die Arme gen Hallendach recken. Wird gar der Center angespielt, geht es zu wie im Haifischbecken zur Fütterungszeit. Dem Schiedsrichter kommt das verdächtig vor – Pfiff! – sehr verdächtig – Pfiff! Pfiff! (Hinausstellung) – oder ungemein verdächtig – Pfiff! Pfiff! Pfiff! (nachdrückliche Hinausstellung). Manchmal pfeift er aber nicht, wenn Spieler abrupt von der Bildfläche verschwinden, denn auch im Wasserball gibt es Schwalben, die man in diesem Falle vielleicht besser Enten oder Haubentaucher nennen sollte. In solchen Situationen schlägt die Empörung hohe Wellen.

Man sieht, den Schiedsrichtern kommt im Wasserball eine große Bedeutung zu, so auch bei der gestrigen 6:7-Niederlage des deutschen Teams gegen den hohen Favoriten Jugoslawien. Wie beim Eishockey fallen die meisten Tore im Überzahlspiel, und es ist ziemlich entscheidend, ob die Referees das gemeinsame Tauchen von angreifendem Center und zugreifendem Bewacher mit Ballverlust oder einer Hinausstellung ahnden. Im letzten Viertel des Matches fiel diese Entscheidung meist zuungunsten der deutschen Mannschaft aus. „Der Sieg geht in Ordnung“, gab Bundestrainer Nicolae Firoiu zwar zu, aber dennoch hätten „einige Situationen“ seiner Meinung nach anders entschieden werden können. Die Jugoslawen hätten jedoch aufgrund ihrer erwiesenen Klasse bei den Schiedsrichtern einen Stein im Brett. „Wenn die Nummer 5 Center spielt, kann der liebe Gott kommen, und er kriegt dennoch was“, sagt Firoiu. Die Nummer 5, das ist Igor Milanovic, der 1984 und 1988 olympisches Gold gewann.

Bis zur Halbzeit hatte das deutsche Team noch mit 3:1 geführt und bis zum Ende des dritten Viertels ein 4:4 gehalten. Zu Beginn schmetterten die Jugoslawen den Ball emsig an Pfosten und Latte, am Ende trafen sie zwar auch nicht wie gewohnt, aber es reichte zu einer beruhigenden 7:5-Führung. Der Anschlußtreffer kam 16 Sekunden vor Ende viel zu spät. Längst bedachten die zahlreichen jugoslawischen Fans die deutschen Spieler mit spöttischen „Auf Wiedersehen!“-Rufen.

Dieses Wiedersehen sehnt kaum jemand so herbei wie der Bundestrainer – sofern es beim olympischen Turnier in Atlanta stattfindet. Doch der Weg dorthin hat sich als holprig erwiesen. Nach den Niederlagen gegen Griechenland, Australien und Jugoslawien muß das letzte Zwischenrundenspiel heute gegen Kuba ebenso gewonnen werden wie das Match gegen den Dritten der anderen Gruppe am Samstag. „Ich hätte es mir nicht so schwer vorgestellt“, sagt Nicolae Firoiu.

Sollte die Qualifikation für Olympia jedoch gelingen, ist alles wieder offen, zumindest wenn man dem jugoslawischen Trainer Nikola Stamenic glaubt. Der ist zwar überzeugt, daß sein Team stark genug ist, um Gold zu holen, glaubt aber ansonsten, daß in keinem Mannschaftssport außer Fußball die Konkurrenz so groß ist wie im Wasserball: „Im Basketball gibt es ein Team, das nicht zu schlagen ist, im Handball sind es vier oder fünf Favoriten, bei uns aber können 14 oder 15 gewinnen.“ Zu diesen zählt Stamenic auch die deutsche Mannschaft, die sich „auf einer Steigung“ befinde.

Nicolae Firoiu war zufrieden mit der Partie, konstatierte sogar einen geplatzten Knoten und bleibt trotz des unbefriedigenden Verlaufs in diesem Turnier optimistisch: „Daß wir nicht nach Atlanta fahren, kann ich einfach nicht glauben.“ Sollten sich die deutschen Spieler tatsächlich durchsetzen, werden sie etliche ihrer heutigen Gegner im übrigen nicht wiedersehen. Jugoslawien spielte in Berlin ohne seine Besten, die in Italien als Profis aktiv sind. Und diese sieben Wassercracks sind, zumindest nach Auffassung von Nicola Stamenic, zufällig die besten Spieler der Welt. Matti Lieske