■ Mögliche Orte
: Spielplatzfriedhof

Spielplätze sind eine praktische Angelegenheit. Jedenfalls für all jene Menschen, die sich irgendwann entschließen, Nachwuchs in die Welt zu setzen, um daran paarweise oder allein ihre bis dato locker baumelnde Lebenslinie ordentlich festzuzurren. Zwar müssen es die Kinder später oft genug ausbaden, daß dieser Schritt übereilt, mit dem oder der völlig Falschen oder von für das Erziehungswesen generell ungeeigneten Menschen vollzogen wurde.

Doch davon soll nur am Rande die Rede sein. Schließlich handelt dieser Text von glücklichen „jungen Muttis oder Vatis“ (Bezirksamt Prenzlauer Berg, Jug. II). Von solchen, die ihre Kinder mit Eimerchen und Schaufel in den Sand setzen, sich dann in Hörweite in die Sonne legen, um rauchend, lesend oder dösend für ein paar Augenblicke zu sich zurückzukehren. Wird die Einsamkeit zu groß und ist das Kind noch immer ruhig, kann der Blick über die versammelte Schar der anderen Aufsichtspersonen gleiten. Und wer will, kann darüber sinnieren, ob dieses oder jenes sympathische Gesicht eine Buddelplatzfreundschaft wert sei. Spätestens dann aber wird man von einem schrillen Schrei in die familiäre Realität zurückgeholt. Das Kind hat oder wurde geprügelt, gebissen oder hat den Mund voller Sand. Die Windel ist zugekackt. Oder David und Sahra, die demnächst schulpflichtigen Zwillinge von Mandy und Mirko, haben den Eimer geklaut.

Bis zu 25 Stunden verbringen Berliner Eltern im Sommer auf den Spielplätzen unserer Stadt. Schon allein deshalb sollte bei der Auswahl nicht nur die Frage der Wohnungs- oder Kitanähe von Bedeutung sein. Denn so traurig es auch oft für die Betroffenen ist, für viele wird der Spielplatz zum Stammkneipen- oder Café-Ersatz. Da ist es verständlich, daß ein sozial wie metal adäquates Umfeld so manche Eltern für einen langen Anfahrtsweg entschädigt.

Aus der früheren DDR sind Fälle überliefert, wo alternativ fühlende Mütter, die durch die rigide Wohnungspolitik der SED in die Neubauviertel am Stadtrand gedrängt wurden, Wochenende für Wochenende zum Spielen auf den Kollwitzplatz fuhren. Zum einen, weil die Ausstattung der Spielplatzanlage weit über dem östlichen Durchschnitt lag, zum andren, weil dort schwarzes Leder, wehende Windelkleider und gelbe Reclambändchen in besonders hoher Konzentration anzutreffen waren.

Ein Trend, der bis heute — wenn auch bei leicht veränderter Kodierung – anhält. An sonnigen Nachmittagen werden dort Hunderte von kleinen Hennes & Mauritzes deponiert, während ihre Erzeuger sich bemühen, bei herumstreunenden Touristen den Mythos vom Szenekiez Prenzlauer zu zementieren.

So gesehen war es eine kluge Entscheidung des zuständigen Bezirksamtes nur ein paar Straßen weiter, aber gut versteckt für weniger exhibitionistisch orientierte Kleinfamilien eine Dependance einzurichten.

Am 24. März letzten Jahres wurde auf dem Gelände des 1970 stillgelegten Friedhofes der Freireligiösen Gemeinde in der Pappelallee ein kleiner Spielplatz eingeweiht, der Eltern und Kinder gleichermaßen beglückt. Da ist zum einen die hervorragende Ausstattung: zwei große, für kollektives, aber sicheres Allseitenschaukeln konzipierte Schaukeln, eine hölzerne Bewässerungsanlage (zur Zeit außer Betrieb), ein sauberer und vor Hunden geschützter Sandkasten und dazu ein Klangspiel, dem Menschen ab 20 kg Lebendgewicht durch eifriges Hüpfen feine Töne entlocken können. All das und die großen, schattenspendenden Ahorn- und Kastanienbäume, die hohen schalldämmenden Ziegelsteinmauern und der wilde Wein, der an den Nachbarhäusern emporklettert, lassen Arkadien erahnen und halten den Rambo im Kinde klein. Auch die Eltern sind hier etwas stiller als anderswo. Vielleicht liegt das an den 35 noch erhaltenen Begräbnisstellen der Ungläubigen und ihrem Wahlspruch, der mahnend über dem Eingang zum Spielplatz steht: SCHAFFT HIER DAS LEBEN GUT UND SCHÖN/ KEIN JENSEITS IST, KEIN AUFERSTEH'N

Ein schönes Artikelende, doch erwähnt werden sollte noch, daß der zukunftweisende Mut des hiesigen Naturschutz– und Grünflächenamtes, den Friedhof in die Spielpaltzanlage einzubeziehen, 1995 mit dem „Gustav-Meyer-Preis“ belohnt und gewürdigt wurde. André Meier

Spielplatz auf dem Friedhof der Freikirchlichen Gemeinde; Pappelallee 15–17; Lychener Straße 120–122