"Ich will nicht, daß man über Berlin lacht"

■ Interview mit der neuen Senatsbaudirektorin Barbara Jakubeit: Die Vielfalt der Stadt ist eine große Chance. Damit mehr Urbanität in der City entsteht, muß der Wohnanteil größer werden. Wenn scho

Frau Jakubeit, das städtebauliche Leitbild für die Berliner Mitte, die kritische Rekonstruktion, ist von ihrem Vorgänger Hans Stimmann geprägt worden. Braucht Berlin noch eine Senatsbaudirektorin?

Barbara Jakubeit: Ich bin ganz sicher. Mit kritischer Rekonstruktion sind ja nicht alle Berliner Probleme zu lösen. Das Leitbild gilt hauptsächlich für Berlins Mitte, und gerade hier gilt es noch viel zu klären. Ansonsten ist Berlin eine Stadt der vielen Orte, und somit bedarf es auch unterschiedlicher Konzepte.

Die kritische Rekonstruktion, Traufhöhe, Blockbebauung, Straßenfluchten, ist das eine, die konkrete Architektur, die Nutzung das andere. Was empfinden Sie denn persönlich, wenn sie heute die Friedrichstraße entlang gehen?

Die Friedrichstraße ist eine sehr großstädtische Straße geworden. Ein imposanter Straßenraum. Von den Großblöcken – wie bei den Friedrichstadt-Passagen – hat man sich ja mittlerweile verabschiedet und achtet auf eine kleinteiligere Parzellierung, was ich grundsätzlich richtig finde. Andererseits hat Berlin eine kräftige Stadtstruktur, die auch große „Häuser“ verträgt.

Auch in den kleinteiliger bebauten Projekten in der Friedrichstraße ist die Nutzung immer diesselbe. Büros, Einzelhandelsfläche, ein paar Wohnungen, damit droht doch die Qualität der Friedrichstadt verloren zu gehen.

Das ist tatsächlich eine Frage der Nutzung, der Wohnungsanteil müßte größer sein.

Die Senatsbaudirektorin könnte darauf Einfluß nehmen.

Sicher. Wobei es heute vermutlich etwas einfacher ist, diese Forderungen durchzusetzen, weil Investoren selbst bereits über multifunktionale Konzepte – angesichts der Büroleerstände – nachdenken.

Gibt es einen Ort, wo sie sagen, da muß unbedingt etwas passieren, da will ich meinen Gestaltungsspielraum nutzen?

Es gibt viele. Aber ganz wichtig ist der Bereich um das ehemalige Stadtschloß. Da werde ich sicherlich Einfluß nehmen, daß etwas Tragfähiges, Beständiges entsteht. Und dies ist nicht allein damit zu erreichen, daß man sich für die eine oder andere Fassade entscheidet. Ob ein solcher Ort von den Menschen angenommen wird, hat auch mit den Inhalten zu tun.

Welche Nutzungen schweben ihnen vor?

Ich habe erste Gespräche geführt und habe mir berichten lassen, was im gemeinsamen Ausschuß festgelegt wurde. Da gibt es den erfreulichen Aspekt, daß entschieden wurde, einen Ort für die Bürger zu entwickeln. Es sollen Reataurants, Cafe's, ein Hotel, Bibliothek und ein Kongreßbereich mit Festsälen entstehen.

Das ist doch alles und nichts.

Eine richtig tragende, zündende Idee fehlt noch, ja. Ich glaube, da müssen wir noch viel nachdenken, um dauerhaft städtisches Leben an den Ort zu bringen. Es muß ein neuer Identifikationspunkt entstehen. Ein Rummelplatz nach Berliner Art wäre entschieden zu wenig.

Mit dieser Nutzung könnten Sie auch den Palast der Republik nach Sanierung wieder öffnen.

Es gibt an diesem Ort nicht nur das inhaltliche Problem, sondern auch das städtebauliche und das architektonische. Architektonisch stört mich der Palast nicht. Wenn man alle Gebäude abreißen wollte, die die architektonische Qualität des Palastes haben, dann müßte man viel wegnehmen, nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch der alten Bundesrepublik. Was mich stört, ist, daß dieses Gebäude städtebaulich völlig falsch sitzt, daß es den völlig falschen Stadtraum gegenüber dem Lustgarten schafft. Dieser Platz vor dem Palast ist zu groß und dadurch unräumlich und unmaßstäblich. Dazu kommt, daß die umliegenden historischen Gebäude wie der Berliner Dom oder das Zeughaus sich einmal um das Schloß gruppiert haben. Der Abbruch des Schlosses bewirkte nicht nur den Verlust des Gebäudes, sondern auch die Zerstörung einer hochwertigen historischen städtebaulichen Situation. Um sie wiederzuerlangen, müssen wir also den Baukörper des Schlosses erneut schaffen. Diese Entscheidung hat allerdings noch nichts mit den zu wählenden Nutzungen und der Architektursprache zu tun.

Was heißt das konkret?

Es ist zu prüfen, ob die gewünschten Nutzungen im Schloß „denkmal-gerecht“ untergebracht werden können oder ob dies nur mit einem neugestalteten Bauwerk funktioniert. Ich kann mir zum Beispiel noch nicht vorstellen, wie städtische Leben um die Schloßfassade ensteht. Ist das hohe Sockelgeschoß des Schlosses geeignet, von dort aus ein Straßencaf'e zu bedienen? Ist die Fassade offen genug? Ich denke, man sollte den Architekten von heute durchaus eine Chance geben, unter Beweis zu stellen, daß es auch zeitgemäße Konzepte für die bedeutende Bauaufgabe gibt.

Wird es einen neuen städtebaulichen Wettbewerb geben? Es gibt ja den Entwurf von Niebuhr.

Keinen städtebaulichen, einen Bauwettbewerb wird es geben. Es wird allerdings nicht einfach sein, die Aufgabe zu formulieren. Aber auch für die Architekten wird es schwierig sein, gegen das historische Vorbild in Konkurrenz zu treten. Ein in acht Wochen entstandener „Geniestreich“ im Rahmen eines Wettbewerbs gegen ein in 400 Jahren entstandenes Bauwerk. Das sollten die Kritiker moderner Architektur auch mal bedenken.

Soll man sich also die Zeit nehmen, um die Erwartungshaltungen zu formulieren?

Auf jeden Fall muß man sich Zeit nehmen, denn es ist nicht allein eine architektonische Frage zu lösen, es ist ein gesellschaftliches Problem.

Und wenn tatsächlich das Schloß gebaut werden soll?

Dann werde ich darauf pochen, daß nicht nur die Fassadenarchitektur gebaut wird. Ein Gebäude ist immer eine Einheit von Innen und Außen. Es geht also auch um die Körperhaftigkeit, zumindestens um die die historischen Fassaden begleitenden Raumfluchten. Man darf dann nicht hinter historischen Fassaden noch zusätzlich Geschosse quetschen, weil es sich sonst nicht rechnet.

Aber darauf würde es doch herauslaufen?

Nicht mit mir. Wenn tatsächlich unsere Architektengeneration diese „Schlacht“ um die Mitte Berlins „verliert“, dann werde ich darauf drängen, daß der historische Bau in seiner Qualtät wirklich ernst genommen wird.

Dann wird man sie als Schloßverhinderin beschimpfen.

Das glaube ich nicht. Ich will vor allem nicht, daß man hinterher über Berlin lacht. Deshalb werde ich in Kürze auf wissenschaftlicher Basis von einem Bauhistoriker zusammentragen lassen, was von dem Schloß tatsächlich noch vorhanden ist an Plänen, Photos, Spolien und so weiter. Ist ein Wiederaufbau auf dem nötigen Niveau tatsächlich machbar? Oder muß man ständig Erfindungen machen, so könnte es gewesen sein, oder so, oder vielleicht doch anders. Zudem würde ich gerne erfahren, ob die Mehrheit der Bevölkerung wirklich das Schloß will, vor allem die junge Generation.

Ist nicht der Wunsch nach dem Schloß, ist nicht die gute Stube des Pariser Platzes eine Antwort auf die geplanten Hochhäuser am Alexanderplatz oder die moderne Welt des Potsdamer Platzes? Hat man sich da nicht selbst ein Problem geschaffen?

Der Ruf nach dem Alten ist sicher eine Konsequenz, weil so viel Neues in Berlin derzeit gebaut wird. Neues Bauen in solchen Dimensionen bedarf immer etwas Zeit, um akzeptiert zu werden. Gerade die kritische Rekonstruktion der Stadt wird aber die Akzeptanz beschleunigen, weil so der bewährte europäische Stadtraum wieder geschaffen wird.

Andere versuchen es historisierend, wie zum Beispiel das Adlon am Pariser Platz.

Dies ist kein „historischer“ Neubau, er ist allenfalls historisierend. Historische Bauten leben von dem verschwenderischen Umgang mit Raum, das macht die Bauten im Innern wie im Äußeren so schön. Das Adlon wird aber nur ein Renditebau mit historisierendem Mäntelchen.

Müßte man da nicht für jeden Kontrapunkt dankbar sein. Beispielsweise für den gläsernen Entwurf von Behnisch für die Akademie der Künste?

So gesehen, ja. Das Problem Akademie der Künste ist recht schwierig. Behnisch hat den Wettbewerb gewonnen, da war der Bebauungsplan noch nicht unterzeichnet. Am Pariser Platz ging man einen Schritt über die kritische Rekonstruktion hinaus, um den Erinnerungswert an den Platz zu steigern. Daher wurde eine strenge Gestaltungssatzung verabschiedet. Damit muß die Akademie der Künste ein Problem haben, denn sie ist für die Freiheit der Kunst zuständig. Man kann sie schlecht zwingen, ein „historisches“ Haus neu zu bauen. Was mir allerdings gar nicht gefällt, ist, wie die Diskussion von Behnisch geführt wird: Wonach gläserne Architektur demokratisch ist und steinerne Architektur undemokratisch. Diesen Unfug kann ich nicht mehr hören. Geisteshaltungen hängen doch nicht vom Material ab. Im übrigen entstehen Bebauungspläne auch in demokratischen Prozessen.

Die Akademie wird das einzige öffentliche Gebäude am Pariser Platz sein.

Ja, ich hoffe sehr, daß dort möglichst viele Veranstaltungen stattfinden und so urbanes Leben entsteht. Ein anderer Aspekt scheint mir aber ebenfalls wichtig zu sein. Neben dem Brandeburger Tor ist die Ruine der Akademie das einzige historische Gebäude, das am Pariser Platz steht. Seine Innenräume stehen unter Denkmalschutz. Der steinerne Bau muß also erhalten werden. Da er nicht vorne am Platz steht, liegt es nahe, ihn als historische Spur sichtbar zu machen und dies geht nur mit einer transparenten Fassade. Der steinerne historische Bau in einer gläsernen Vitrine. Dieses rechtfertigt eventuell eine andere Interpretation der Gestaltungssatzung, die sich ja auf reine Neubauten bezieht.

Werden Sie für diesen Dialog von alt und neu plädieren?

Ja, ich werde so schnell wie möglich einen Termin mit Behnisch machen, denn in einem offenen, unvoreingenommenen Gespräch kann man sich am besten annähern. Die gläserne Haut am Pariser Platz muß sich allerdings mit der Struktur des alten Gebäudes auseinandersetzen, auf sie eingehen, um die Einheit der Platzwand nicht aufzugeben. So wie die anderen Architekten am Platz, dieses Thema jeweils auf ihre Weise in Stein interpretieren, so muß dies Behnisch auch tun. Erste Überlegungen, die in die richtige Richtung weisen, liegen schon vor. Da aber nur auf diesem Grundstück eine Kriegsruine steht, hat es sogar eine gewisse Konsequenz, die Interpretation in Glas vorzunehmen, denn so entsteht nicht nur eine Erinnerung an den alten Platz, sondern hier wird auch visuell auf die Geschichte des Ortes hingewiesen. Das Gebäude erzählt so von seiner Geschichte.

Ein anderes Thema. In der City-West wird derzeit viel über den Bau von Hochhäusern geredet. Besteht für Sie da nicht die Gefahr, daß der städtebauliche Charakter, etwa des Kurfürstendamms, gefährdet wird?

Das darf natürlich nicht passieren. Ich glaube auch, daß man am Ku-damm, der am Kranzler beginnt, keine Hochhäuser bauen sollte. Das gilt nicht für den Bereich Richtung Europa-Center. Der Victoria-Bau muß den Abschluß zum Ku-damm bilden.

Nun besteht ja die Gefahr, daß dort ungeplant Hochhäuser gebaut werden. Soll es da noch einmal einen städtebaulichen Wettbewerb geben?

Auf jeden Fall. Es ist ganz wichtig, daß an diesem Ort auch ein Strukturplan entwickelt wird, damit, wenn sich eines Tages der Bedarf nach neuen Nutzungen einstellt, nicht um jedes Hochhaus gestritten werden muß. Nur mit einem strukturellen Leitbild kann sich dieser Bereich in eine positive Richtung entwickeln.

Berlin ist ja nicht die die Stadt der vielen Orte. Berlin ist auch die Stadt der vielen Lebensentwürfe. Innensenator Schönbohm aber will die Berlin hauptstadtreif machen, die Schmuddelecken sollen verschwinden.

Diese Vielfalt Berlins ist eine große Chance. Deshalb darf man nicht versuchen, die Bezirke zu nivellieren. Allerdings erhält man Strukturen und Orte nicht durch Stillstand. Jeder dieser unterschiedlichen Orte bedarf auch den Schritt nach vorn. Interview: Rolf Lautenschläger/ Uwe Rada