Dudelfunk für Nachteulen wird seriös

Nach Mitternacht sind die Radio-Hörer wohl hellhöriger geworden. Der Sender Radio NRW verabschiedet sich vom kurzen Nachrichtenbeitrag und setzt stattdessen auf 15 Minuten lange Infotexte – wohl um GEMA-Gebühren zu sparen

Nachts ist das Informationsbedürfnis der Menschen offenbar besonders hoch. Zumindest derjenigen, die in Nordrhein-Westfalen vor ihren Radios sitzen. Die Erkenntnis hat Radio NRW dazu gebracht, sich von der alten Tradition, fast einem Gründungsmythos, zu verabschieden – dem Eine-Minute-dreißig-Beitrag.

Man dürfe über alles reden, aber nicht über einsdreißig – mit diesem pfiffig-einprägsamen Spruch werden in den Radio-Stationen gerne neue Mitarbeiter begrüßt. Denn länger könne man keinen Hörer bei der Stange halten. Seit September aber laufen auf Radio NRW, dem Rahmenprogramm für die 45 NRW-Lokalradios, 15 Minuten lange Nachrichtenstrecken unter dem Titel „NRW, Deutschland und die Welt – der Tag im Überblick“. Radio NRW begründet diesen Paradigmenwechsel mit dem gestiegenen Informationsbedürfnis seiner Hörer, das durch neueste Forschungsergebnisse bestätigt werde. „Die Hörer verlangen immer stärker nach Erklärungen zu komplexen Vorgängen“, sagt Martin Kunze, stellvertretender Radio NRW-Programmdirektor.

Doch die Qualitätsoffensive spielt sich nachts ab. Die neuen langen Nachrichtenstücke laufen nach Mitternacht. Es profitieren also nur die Nachtschwärmer – und viele sind das nicht. „Nachts hört eh niemand zu“, sagt Uwe Hasebrink vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung der Universität Hamburg. Und in der Radio-Primetime zwischen sechs und neun Uhr morgens sind die 15-Minüter undenkbar. „Morgens werden die Nachrichten auch in Zukunft nicht länger als fünf Minuten sein“, sagt Kunze. Der Tag bleibt weiterhin kurz und knackig, die Nacht wird lang und ausführlich. Können sich die Menschen nach Mitternacht besser auf lange Beiträge konzentrieren? „Nachts hören die Menschen intensiver Radio“, sagt Kunze. Zudem sei die Nacht als Testlauf für eine auch auf den Tag angelegte Informations-Offensive genutzt worden.

„Die langen Nachrichtenbeiträge sind für uns Neuland, daher wollten wir sie nachts ausprobieren.“ Geht es also dem hohen Musikanteil, der im Tagesschnitt bei etwa 75 Prozent liegt, an den Kragen? Das wäre für die Verwertungsgesellschaft GEMA interessant, die über die Urheberrechte von Musikstücken wacht und von den Radiostationen rund sechs Prozent der Werbeeinnahmen einzieht. Seit neuestem wird der Satz aber geringer, wenn der Sender weniger Musik spielt. „Reine Infosender zahlen weniger“, sagt GEMA-Sprecherin Gaby Schilcher.

Nach Ansicht des Medienforschers Hasebrink klingt es durchaus plausibel, dass Radio NRW mit zum Teil vom Tage recycelten Nachrichten nachts GEMA-Gebühren sparen will. „Die Frage ist, wie man nachts, wenn es so gut wie keine Werbung gibt, die Kosten-Nutzen-Relation möglichst positiv gestalten kann – da muss man auf der Kostenseite sparen“, sagt er.

Bei Radio NRW weist man einen Zusammenhang der Info-Offensive mit den GEMA-Gebühren allerdings von sich. „Unseren Musik-Wort-Anteil wollen wir nicht verändern“, sagt Kunze.

Und bei der für den Privatfunk zuständigen Landesanstalt für Medien stoßen die Nacht-Infos von Radio NRW ohnehin auf ungeteilte Zustimmung. „Das ist bemerkenswert“, sagt Sprecher Peter Widlok. KATHARINA HEIMEIER