■ Warum ist die PDS in Ostdeutschland so stark? Weil der Westen glaubt: Wer in der DDR lebte, muß schuldig sein
: Die Logik der Diskriminierung

Warum ist die PDS so stark, wie sie erscheint? Weil die anderen so viel über die PDS reden? Weil sie selbst so gute Basisarbeit leistet? Zweifel an diesen Argumenten sind angebracht.

Die PDS ist so stark, weil die demokratische Mehrheit im Westen die Bürger der alten DDR bis heute nicht als gleichberechtigt angenommen hat. Die DDR wurde im Westen abgehakt, Politik wurde durch Geld ersetzt. Die mittlerweile 1.000 Milliarden aus dem Westen haben einen einmaligen, ökonomischen Neuanfang auf den Weg gebracht. Aber ansonsten sollen die Brüder und Schwestern im Osten dankbar sein und nicht weiter stören. 15,6 Millionen Bürger fallen gegen die über 65 Millionen in den alten Bundesländern ohnehin kaum ins Gewicht.

Auf dem politischen Parkett werden die Ostländer wie Parias behandelt. In den Parteien sind die wenigen, die auf Bundesebene zu Einfluß gekommen sind, Kummertanten, Alibiministerinnen oder Störenfriede geblieben.

Die PDS ist auch deshalb so stark, weil die politische Mehrheit im Westen sich nicht vorstellen kann, daß die bis 1989 in der DDR Gebliebenen in der überwiegenden Mehrheit, ihren Staat, ihre sozialistische Diktatur, ihre SED zwar nicht geliebt, gleichwohl aber toleriert und mit persönlichem Einsatz erhalten haben – fast bis zum letzten Tag.

Eine politische Opposition als Systemopposition, die die SED auch machtpolitisch herausgefordert hätte, hat es in der DDR nie gegeben. Die Wende war ein Glücksfall pragmatischer Vernunft in Ost und West. Aber an den Grundeinstellungen der Mehrheit der DDR-Bürger, ihrer politischen Ideenwelt, ihren Vorstellungen von Oben und Unten, von Gut und Böse hat sich bisher nur bei der jungen Generation Entscheidendes geändert. Das kann auch gar nicht anders sein. Warum sollte sich die Mehrheit der DDR-Bürger von ihrer Lebensgeschichte, ihren Lebensinhalten, ihren in 40 Jahren geprägten Einstellungsmustern verabschieden, wenn der alte Westen nicht bereit ist, diese DDR-Vergangenheit als Teil unserer ganzen Volksgeschichte der letzten 70 Jahre zu akzeptieren?

Und noch etwas macht die PDS stark. Die alten Funktionseliten, jenseits der Zentralkomitees und jenseits des Parteitheaters der SED, haben die DDR oft mit hohem persönlichen Einsatz und Risiko, hoher bürokratischer und machttaktischer Kompetenz durch ihre Dauermangelkrisen gesteuert. Diese Kreise sind bis auf wenige Ausnahmen auch heute die Funktionseliten in den neuen Bundesländern. Sie waren zu DDR-Zeiten in SED und CDU organisiert und haben untereinander pragmatisch kooperiert, heute tun sie das als Mitglieder der PDS- und der Ost-CDU. Geändert hat sich für viele 1989 nur die Geschäftsordnung.

PDS und Ost-CDU sind in den neuen Ländern so einflußreich, weil sie die unbestrittenen und die legitimen Nachfolger der DDR- Diktatur sind. Eine Diktatur kann man nicht mit Milliardentransfers aus den Herzen, dem Denken und Fühlen ihrer Macher, ihrer Mitläufer und auch ihrer Opfer verbannen. Darauf zu bauen, daß sich die politischen Eliten in PDS und Ost- CDU selbst demokratisieren, ihre Lebensgeschichten verleugnen, ist lebensfremd.

Welche politischen Angebote aus der in 40 Jahren mühsam demokratisch-zivil gewordenen Bundesrepublik an die Ex-DDR-Bürger hat es gegeben, damit sie sich in Würde von ihren alten Beherrschern hätten lösen können? Damit sie beginnen konnten, sich eine neue, demokratische Struktur politischer Repräsentanz aufzubauen? Die Gauckbehörde mit den bis heute eher willkürlichen Auswirkungen ihrer Spruchpraxis und einige, rechtsstaatlich betrachtet, fragwürdige Prozesse gegen Krenz, Wolf und Co.

Fragwürdig sind diese Prozesse vor allem deshalb, weil politisch bis heute nicht definiert worden ist, wer aus der alten DDR, weshalb und warum noch mit juristischen Konsequenzen fürs Mittun in der DDR zu rechnen hatte und hat. Der Justiz allein die Definitionsmacht in diesen Fragen zu überlassen, hat in der Praxis dazu geführt, daß sich alle Ex-DDR-Bürger vom Westen unter Anklage gestellt fühlen. Der unausgesprochene Vorwurf, in der DDR gelebt zu haben, hemmt und hindert viele in den neuen Ländern, am demokratischen Neuanfang mitzuwirken. Er bindet sie an PDS und Ost-CDU.

Es sei hier nur angedeutet, wie Adenauer, CDU und SPD gemeinsam mit ehemaligen Nazi- Verfolgten um 1950 mit dem gleichen, ungleich dramatischeren Problem umgegangen sind. Sie erstritten bis 1955 faktisch eine Generalamnestie für die große Mehrheit des Volkes und grenzten den politischen Handlungsspielraum der neuen Parteien durch das SRP- und KPD-Verbot auf das demokratische Spektrum eindeutig ein.

Schlußstrich unter Vergangenheitsvorwürfe für fast alle, demokratische Handlungsalternativen für alle im politischen Leben und eine politische Definition, wer von den Millionen PGs, was und wie in der neuen Bundesrepublik werden konnte – das gehörte zum erfolgreichen Gründungskonsens der Bundesrepublik.

Es gilt, das ganze Volk durch das Hereinnehmen aller DDR- Bürger in den demokratischen Konsens zu versöhnen. Wer heute dagegen glaubt, er könne sich der Pflicht durch Geld und politische Ignoranz entziehen, der setzt, anders als Adenauer, Fritz Erler und Thomas Dehler das taten, auf biologische Lösung des Problems. Der nimmt in Kauf, daß die PDS und die Ost-CDU noch mindestens eine Generation lang von den DDR-Funktionseliten beherrscht werden. Der nimmt auch in Kauf, daß die PDS als Generationsprojekt in den neuen Bundesländern auf allen Ebenen an der Macht beteiligt werden wird.

Allein die SPD ist in den neuen Ländern der Aufgabe der Wiedervereinigung als völligem politischen Neuanfang auch in ihrem Inneren ausgesetzt. Die Mehrheit ihrer Mitglieder hat erst nach der Wende, ohne eigene politische Erfahrungen in der DDR, in die Politik gefunden. Ost- und Westdeutsche müssen sich hier oft dramatischen Auseinandersetzungen zu gemeinsamem Handeln zusammenraufen. So kann die SPD zunehmend in die Rolle der Partei der Wiedervereinigung hineinwachsen. Das um so mehr, als die Bündnisgrünen in den Neuen Ländern jenseits von Hans Jochen Tschiche in Sachsen-Anhalt und in Berlin politisch keine Rollen spielen.

Die PDS würde in einem solchen Prozeß überflüssig. Udo Knapp