Zwischen den Rillen
: Außen Pappkarton, innen Opulenz

■ Ein Genre am Ende? Stereolab, Tritop, Portishead vor dem TripHop-Tribunal

TripHop und Postrock waren, schon als sie geboren wurden, kaum mehr als geschickt lancierte Begriffe, die für Medien und Konsumenten griffig zusammenfaßten, was sich an den Schnittpunkten zwischen Song und Sound abspielte. Damals schienen die Grenzen zwischen elektronischer und herkömmlicher Musik-Erzeugung noch fließend und verhandelbar. Das sind sie immer noch, es stört nur niemanden mehr. Gilt auch vor diesem Hintergrund, daß Liveplatten, Side-Projekte, Doppelalben und Sammlungen verlorener Geistesblitze Zeichen des Niedergangs eines Genres sind? Drei anhängige Fälle:

Unsere ersten Angeklagten, Stereolab, versammeln auf „Aluminium Tunes“ 25 Tracks, die in den Jahren 1994 bis 1997 aufgenommen wurden, aber nur in Miniauflagen auf Kleinstlabels gepreßt, als altmodische Singles umsonst beigelegt oder auf Tourneen verkauft wurden.

Das Low-Fi-Geschrammel, von dem Stereolab vor Urzeiten einmal herkamen, sucht man nun vergebens. Statt dessen brummt zärtlich der Moog und dröhnt verträumt die Farfisa. Beides schafft eine herzerweichende Unverbindlichkeit, daß einem ganz harmonisch wird. Mit manchem Track besetzten Stereolab ein Plätzchen genau zwischen den High Llamas, deren Sean O'Hagan ihnen hier die Streicher arrangiert hat und bei zwei Stücken als Koautor verantwortlich zeichnet, und Air. Da scheint nicht viel Platz zu sein, aber Stereolab richten sich die kleine, staubige Ecke recht kuschelig ein.

Je pappkartoniger ihre CD- Verpackungen werden, desto großherziger und verschwenderischer wird die Musik. Würde man Stereolab unterstellen, ihr Schaffen sei beherrscht davon, die These zu beweisen, daß die Hülle längst erfolgreich den Inhalt ersetzt hat, stützt diese fast zweistündige Sammlung von Nebensächlichkeiten sie noch konsequenter als die regulären Platten. Aus dem einfachen Grund, weil sie sich so wunderschön anhört. Was kann man von einer Hülle schon mehr verlangen: Freispruch!

Angeklagt des verfrühten Splitter- und Spezialistentums sind Antye Greie-Fuchs und Jürgen Kühn. Kaum daß sie als Laub ihre erste Vollzeitveröffentlichung herausgebracht hatten, arbeiteten sie schon parallel zusammen mit dem alten Freund Marko Timlin als Tritop. Zu den Aufnahmen für „Rosenwinkel“ haben sich die drei Berliner in die Prignitz abgesetzt, einen „wenig besiedelten Landstrich in der Ex- DDR“, wie Greie-Fuchs es beschreibt.

Dort entstand so etwas wie eine entgegengesetzt gedachte Version des Laub-Entwurfs. Während Laub vom Text ausgehend ein Lied dekonstruieren, basteln sich Tritop von der musikalischen Idee her kommend einen Track zusammen. Die Rolle, die bei Laub die Sätze von Greie übernehmen, Zusammenhänge entscheidend zu stören, zu zerfetzen, um sie dann scheinbar neu zusammensetzen zu können, übernimmt hier das Schlagzeug von Timlin. Dieser Ansatz, von einem live eingespielten Rhythmus und nicht von einem programmierten Beat als Grundlage auszugehen, widerspricht allerdings den Gebräuchen des Genres. Im Gegenzug wird die Elektronik zum Gegenstand der Improvisation, wird Elektronika ein wenig auch zum Prog-Rock. Rein technisch ist das dadurch möglich, daß nicht, wie meist, nur eine Person für die Programmierung zuständig ist, sondern alle drei. Hören kann man das nicht unbedingt. Bleibt die Frage nach dem Sinn der Aktion, aber das ist nicht strafbar: Die Anklage wird fallengelassen.

Die schwersten Vorwürfe treffen Portishead, die den Auftakt ihrer 97er Tournee im Roseland Ballroom in New York, für den sie sich orchestrale Unterstützung geholt hatten, inzwischen als Film, Video und CD-ROM ausgewertet haben. Auf „Roseland NYC Live“ finden sich nur Songs von den beiden Studio-LPs der Band.

Es ist zugegebenermaßen ein hübscher Effekt, wenn Geoff Barrow einen Song mit Scratchen einstimmt und dann 30 Streicher und ein Hornensemble ihre warme Voluminösität beisteuern. Das hört sich zwar nur selten wirklich anders an als auf den Studioaufnahmen. In den schönsten Momenten von Portishead kontrastierte das Coolness-Imitat, das sich die Stimme von Beth Gibbons nannte, mit den knackenden und kratzenden Loops, die die Tonspur eines alten Films imitierten. Nun kreischt Gibbons wie eine Aushilfsrockröhre auf Whiskeyentzug, und die Loops hören sich neben den Streichern wie durchgebrannte Boxen an. Dann fängt das Publikum bei „Roads“ auch noch an, im Takt zu klatschen. Was bleibt, ist eine eher halbseidene Nachtbarbeschallungscombo, die sich wohl zuviel zugemutet hat: Schuldig!

Also: 2:1 gegen die Überhöhung und für die fröhliche Diversifizierung und das Auslutschen an den Rändern. Und: Ein Genre, das niemals eines war, läßt sich schlecht zu Grabe tragen. Selbst dann nicht, wenn sich Portishead weiter benehmen wie Deep Purple. Thomas Winkler

Stereolab: „Aluminium Tunes“ (Warp/RTD)

Tritop: „Rosenwinkel“ (INFRACom)

Portishead: „Roseland NYC Live“ (ElektroMotor)