■ Statt sich in Atomausstieg und Doppelpaß zu verbeißen, sollten sich die Bündnisgrünen den gesellschaftlichen Kernthemen zuwenden
: Was tun?

Ein kurzer rechter Haken hat die Grünen getroffen. Unter der Gürtellinie, wie viele unter Verweis auf die CDU-Kampagne wider die doppelte Staatsbürgerschaft meinen. Auf der Straße getragen von einer Stimmung, den Ausländern mal die Grenzen zu zeigen, war die in der Tat von recht vulgärer Art. Erfolgreich wie sie war, steht zu befürchten, daß sie Schule macht, dies erzürnt festzustellen ist das eine. Doch wissen die Grünen damit, wie ihnen geschah?

Über der Bruchlandung in Hessen ist nicht zu vergessen, daß es der einst aufstrebenden Ökopartei schon geraume Zeit an Aufwind fehlt. Nicht nur ist der Charme des Neuen dahin und das Personal älter geworden. Auch die Themen, mit denen die Partei in den 80er Jahren groß wurde – Ökologie, Frauen und Frieden –, lassen sie nicht mehr ohne weiteres vor dem Wind segeln. Teils nisten diese Anliegen längst in der Gesellschaft und sind im öffentlichen Bewußtsein zum selbstverständlichen Bestandteil gesellschaftlicher Modernisierung geworden. Teils haben sie eine Umwertung erfahren. So zählt heute die Verweigerung gegenüber dem Militärischen weniger als das Vermögen, mindestens in Europa zivile Verhältnisse zu gewährleisten und es von ethnischen Säuberungen und Massakern an Zivilisten frei zu halten, die allen Konventionen über die Unantastbarkeit der Rechte und der Würde des Menschen Hohn sprechen. Diese Sicht haben die Grünen sich letztlich zu eigen gemacht, wie die von ihnen getragenen Beschlüsse zum Kosovo zeigen.

Die Finanz-, Sozial- und Haushaltsexperten können sich beherzte Vorstöße zugute halten, den großen Problemen der Zeit, der Arbeitslosigkeit und dem brüchigen Generationenvertrag, auf neuen und auch unkonventionellen Wegen zu begegnen. Doch hat die grüne Mentalität ihnen nicht erlaubt, über die Ökosteuer hinaus eine prägnante Modernisierungsstrategie zu entwerfen, die soziale Verantwortung und individuelle Entfaltung auf einen überzeugenden Nenner bringt. Zu behaglich hat es sich das Parteimilieu in seinem Neubau aus den Achtzigern eingerichtet. Das konnte verdrängt werden, solange die Grünen gegenüber einer traditionalistisch gewickelten SPD noch immer als innovative Adresse galten. Dieses Etikett hat ihnen Schröder mit seinem Auftritt als Kanzlerkandidat im März vergangenen Jahres genommen, und der Magdeburger Parteitag hat wenig später ein deutliches Zeichen der Retraditionalisierung der bündnisgrünen Partei oben draufgesetzt.

Das Ergebnis der Bundestagswahl war danach. Joschka Fischer – machen wir uns nichts vor – hat die Seinen, denen Magdeburg noch in den Kleidern hing, so eben in die Koalition gerettet. Möglich geworden aber war Rot-Grün durch den Sieg Schröders. „Wir machen nicht alles anders, aber besser“ – was auch immer man an Substanz darin erblicken mag – traf einen Nerv der Wähler. Eine Mehrheit favorisierte eine große Koalition, wie wir aus Umfragen wissen, konnte aber auch mit einer rot-grünen Koalition leben, wie die Akzeptanz nach der Regierungsbildung bis ins neue Jahr hinein belegt. Eine sozial abgefederte Modernisierung ließ sich als Erwartung an die neue Mehrheit aus dem Ergebnis der Bundestagswahl herauslesen. Der politische Stillstand sollte durch eine moderate Reformpolitik abgelöst werden.

Gut präpariert, gewannen die Grünen während der Koalitionsverhandlungen an politischem Standing. Doch eine Regierung ist keine Vereinigung bibeltreuer Katecheten, und mit der Unterzeichnung einer Koalitionsvereinbarung hört Politik nicht auf, sondern beginnt erst richtig. Neue Politik braucht auch neue Methoden. Vorhaben wie die Reform des Staatsbürgerrechtes oder der Ausstieg aus der Kernenergie verfügen nicht über bedingungslose Mehrheiten in der Gesellschaft. Sie treffen allenfalls auf zögerliche Bereitschaft. Um so mehr ist der gesellschaftliche und politische Dialog zu suchen. Das hat nichts mit opportunistischer Anpassung an Stimmungen oder Meinungsmache zu tun, sondern mit Politik, der es um Zustimmung zu tun ist und nicht einfach um Ausübung von Exekutivmacht. Es gilt für den Ausstieg aus der Kernenergie ebenso wie für die Finanzpolitik und erst recht für die Neuformulierung des Generationenvertrages. Ein geradezu staatssozialistisches Verständnis vom Schalten und Walten der Exekutivorgane offenbart das Vorhaben, die Steuerreform noch mit den Stimmen der abgewählten rot-grünen Hessen im März durch den Bundesrat zu boxen. So kann man durch das Mittel den Zweck diskreditieren.

Es heißt auch nicht, klein beizugeben, wenn man sich im öffentlichen Ringen um ein integrationsfreundliches Staatsbürgerrecht zunächst auf das Wesentliche konzentriert. Das Elementare dieses Jahrhundertgesetzes ist die Verankerung des jus soli, das hier geborenen Kindern von Zuwanderern die deutsche Staatsbürgerschaft sichert. Es ist auch nicht falsch, hierfür eine möglichst breite parlamentarische Mehrheit zu suchen. Die doppelte Staatsbürgerschaft, die jetzt zum Fetisch für Gesinnungsethiker geworden ist, gehört im Vergleich dazu in der Sache eher zum Kleingedruckten. Sie ist eine pragmatische Ergänzung, die vor allem der zweiten Generation ersparen soll, den Respekt gegenüber der Welt ihrer Eltern aufkündigen zu müssen. Sie würde auch jenen Pendelexistenzen Rechnung tragen, die an Zahl eher gering, für die Annäherung etwa der Türkei an Europa jedoch nicht ganz belanglos sind. Diese Regelung aber ist getrost den praktischen Erfahrungen einer aktiven Integrationspolitik zu überantworten. Fügt sie sich konstruktiv, trifft man sie. Wirkt sie desintegrativ, läßt man sie fallen. Dabei ist Verständigung unerläßlich: Es geht um Integration, nicht um Assimilation.

Im Hinblick auf die Zukunft sind die Grünen leider nicht mehr erste Adresse. Anders ist das Ausbleiben der Jungwähler nicht zu erklären, die noch zu Beginn des Jahrzehnts als geborene Anhänger unserer Alternativpartei gelten konnten. Wo sind sie geblieben, fragen sich die Auguren, obschon die Wahlforscher das beantworten können: allenthalben, neuerdings auch wieder bei der CDU. Interessanter ist vielleicht, was sie bewegt.

Für die CDU ansprechbar sind die elitär-dynamischen, die für konservative Modernisierungsstrategien empfänglich sind, so sich ihre Interessen nicht auf die Karriere beschränken. In den traditionellen Arbeitermilieus der SPD finden sich viele Modernisierungsverlierer. Existenzsicherung steht für sie obenan. Von gesellschaftlicher Marginalisierung bedroht, sind sie empfänglich für nationalistische Diskriminierung, also auch von rechts her zu mobilisieren. Für die Grünen wie auch für die FDP bleibt das weite Feld der akademisch oder technisch gebildeten Mittelschichten. Für den Nachwuchs dieser Kreise ist die Zukunft das Thema, welche Chancen sich zur freien Gestaltung des Lebens bieten. Die Nagelprobe gerade auch des Integrationsvermögens könnte in der Schul- und Bildungspolitik liegen. Während die FDP der sozialen Verantwortung und der Chancengleichheit die kalte Schulter zeigt, haben die Grünen noch zuwenig verstanden, Individualität und Kreativität in einer hedonistisch eingestellten Generation zu kultivieren. Diejenige der beiden Parteien, die auf neue Weise versteht, soziale und liberale Traditionslinien zu einer modernen Reformpolitik zu verknüpfen, wird obsiegen und sich mit rund 10 Prozent der Wähler im Rücken Geltung verschaffen können. Noch haben die Grünen die Nase vorn. Doch gelingt ihnen nicht die Runderneuerung ihrer Politik, wird es ihnen wenig helfen, ein paar neue, junge Gesichter in den Vordergrund zu schieben.

Wie immer nach Wahlniederlagen wird der wohlfeile Ruf nach grünem Profil erschallen. Doch grünes Profil zeigt nicht, wer unbeirrt auf Minderheitenpositionen schwört, sondern wer durch Politik und Kommunikation Reformmehrheiten zu bilden versteht.

Und noch eines zählt: Compassion, wie es auf englisch heißt und wie es mit politischer Leidenschaft nur unzureichend wiedergegeben ist. Nicht die Technokraten der Macht vermögen die Menschen zu fesseln, sondern die Künstler der Politik, die leidenschaftlich um die öffentlichen Angelegenheiten streiten. Das sollten die Grünen über der Erfüllung ihrer diversen Personalquoten nicht vergessen. Daniel Cohn-Bendit