Großes Intendanten-Roulette

In den nächsten Jahren werden viele Chefposten an Berlins Bühnen neu besetzt. Die erste Runde dreht der Kultursenator an der Deutschen Oper und am Deutschen Theater    ■ Von Ralph Bollmann

Wer sich öffentlich aufdrängt, hat schon verloren. Das Gesetz gilt im Intendanten-Monopoly genauso wie in der Politszene, und Gérard Mortier kennt die Regel gut. Vor zwei Wochen verkündete der Chef der Salzburger Festspiele dem verblüfften Kuratorium an der Salzach, er wolle seinen Vertrag nicht über das Jahr 2001 hinaus verlängern – und schob gleich hinterher, er habe seine Entscheidung „nicht im Hinblick auf eine neue Position getroffen“.

Keine Frage, an welchen Posten der profilierte Opernmanager bei seinem fadenscheinigen Dementi gedacht hat: Schließlich sucht Berlins Kultursenator Peter Radunski gerade einen neuen Intendanten für die Deutsche Oper, das größte Sorgenkind unter den drei hauptstädtischen Musiktheatern. In eben jenem Jahr 2001 geht dort die 20jährige Ära des Prinzipals Götz Friedrich endgültig zu Ende.

Der Charlottenburger Operntanker ist nur ein besonders großer, wenn auch nicht der eleganteste unter den vielen Kulturdampfern, deren Kommandobrücke derzeit neu zu besetzen ist: Fast alle Theater, Opernhäuser und Orchester der Stadt erhalten in den kommenden drei Jahren neue Chefs. Wie im Fall Mortier wird daher jede Personalie der Branche in Berlin aufmerksam registriert. Jeder Manager, Regisseur oder Dirigent, der sich noch nicht langfristig gebunden hat, findet sich im großen Intendanten-Roulette wieder.

Für Kultursenator Radunski ist das Stühlerücken eine ebenso große wie heikle Aufgabe. Noch im April will er den neuen Chef der Deutschen Oper präsentieren, im Sommer dann den Nachfolger Thomas Langhoffs am Deutschen Theater. „Es gibt nur wenige Intendanten, die nicht an der Deutschen Oper interessiert sind“, sagt der CDU-Politiker stolz. Denn trotz der hauptstädtischen Finanznot sind die Posten noch immer attraktiv: 225 Millionen Mark gibt der Stadtstaat jedes Jahr allein für die drei Opernbühnen aus, 124 Millionen für die fünf Schauspielhäuser. Weniger überzeugend ist, was die Berliner Intendantengarde der neunziger Jahre daraus gemacht hat. Wie die ganze Stadt verfiel auch der Kulturbetrieb im Jahrzehnt zwischen Vereinigungstaumel und Umzugseuphorie in eine tiefe Depression.

Ohne ein Gesamtkonzept für die Bühnen, glaubt deshalb die Berliner Opposition, werde ein Neubeginn auch mit frischen Köpfen nicht gelingen. „Wir brauchen eine Findungskommission für alle vakanten Posten“, sagt die bündnisgrüne Kulturexpertin Alice Ströver, „das Problem ist, daß sich der Senator selbst für einen Kunstexperten hält.“

Von einer Krise will der Senator nichts wissen. Immer tiefer versinkt Radunski in seinem schwarzen Ledersessel, wenn er mit der Miene des Connaisseurs die Berliner Opernerfolge des vergangenen Jahres aufzählt. Von den Erregungen des Feuilletons zeigt sich der einstige Wahlkampfmanager der Bundes-CDU, dessen untersetzter Körperbau den Genußmenschen verrät, gänzlich unbeeindruckt. „Die drei Berliner Opernhäuser sind so erfolgreich wie andere“, sagt Radunski quietschvergnügt, „wir sollten aufhören, uns eine Krise einreden zu lassen.“

Ein Gesamtpaket will Radunski also gar nicht schnüren: „Wir besetzen die Positionen, die frei werden.“ Und das sei bei den Opern derzeit die Friedrich-Nachfolge an der Deutschen Oper. Zuletzt machte das Haus nur negative Schlagzeilen: Der Etat ist um 20 Millionen Mark überzogen, im Streit um Sparmaßnahmen streikte voriges Jahr das Orchester, mit dem jungen Musikchef Christian Thielemann ist Friedrich zerstritten, die Inszenierungen des Hausherren gelten bei Publikum und Kritik als reichlich angestaubt.

Trotzdem setzt der Kultursenator auf Kontinuität. Der neue Intendant, sagt er, müsse „mit Thielemann kooperieren können“. Daß es da ein Problem gibt, weiß auch Radunski: Weil neuerdings alle Welt davon redet, daß die Deutsche Oper ihr „modernes“ Profil schärfen müsse, wird Thielemann jetzt zu einem Schnellkurs in der Musik des 20. Jahrhunderts verpflichtet. „Thielemann weiß, daß der Auftrag das moderne Musiktheater ist“, formuliert der Senator höflich. Auch hat Thielemann bereits wissen lassen, er könne mit einem Intendanten Mortier nicht zusammenarbeiten.

„Wir sprechen mit einem halben Dutzend Kandidaten“ – mehr will Radunski erst Ende des Monats verraten. Neben Mortier zählt zu den Favoriten gewiß auch der Leipziger Opernchef Udo Zimmermann: Er hat gezeigt, daß er auch mit knappen Finanzen mediales Aufsehen erregen kann.

Auch nach Stuttgart dürfte Radunski schielen. Dort haben Intendant Klaus Zehelein und Stellvertreterin Pamela Rosenberg, die bereits für den Chefposten an der Wiener Volksoper im Gespräch war, in den zurückliegenden zehn Jahren Repertoire, Regie und Publikum radikal verjüngt. Dagegen wird dem früheren Hamburger Opernchef Peter Ruzicka und dem Intendanten des Münchner Staatstheaters am Gärtnerplatz, Klaus Schultz, nicht die nötige Ausstrahlung für einen Aufbruch an der Bismarckstraße zugetraut. Den Makel der zweitbesten Lösung dürfte von vornherein jedem Intendanten anhaften, den der Kultursenator für das Deutsche Theater engagiert. Schließlich war Frank Baumbauer, der das Hamburger Schauspielhaus mit Kultregisseuren wie Christoph Marthaler und Franz Wittenbrink von Erfolg zu Erfolg führte, der große Favorit, als Radunski im Januar den Hausherrn Thomas Langhoff feuerte. „Ich wußte damals schon, daß Baumbauer nach München geht“, sagt Radunski heute.

Radunski will eine „künstlerische Zäsur“, und er redet davon, daß es profilierte Theatermacher nur in der jungen und in der älteren, nicht in der mittleren Generation gebe. Da ein Älterer den Neubeginn kaum glaubhaft verkörpern kann, scheinen die Zeichen auf einen jungen Wilden zu deuten.

Der Kampf um das letzte große bürgerliche Stadt- und Staatstheater Berlins scheint mit Langhoffs Abgang fast schon entschieden, auch deshalb waren die Reaktionen so heftig. Doch das wilde Genre scheint hinreichend bedient, wenn neben Frank Castorfs Ostalgie-Ästhetik an der Volksbühne auch Thomas Ostermeiers Britpop an der Schaubühne und Claus Peymanns Selbstinszenierungen am Berliner Ensemble auf die Hauptstadt niedergehen.

Peymann will sich die Konkurrenz vorsorglich vom Hals halten und empfahl als neuen DT-Intendanten den abservierten Chef der Münchner Kammerspiele, Dieter Dorn. Der mußte wie Langhoff das Feld für Baumbauer räumen – mit dem einzigen Unterschied, daß die Münchner den Wunschkandidaten auch wirklich bekamen.

Ein Haus vom Rang des Deutschen Theaters läßt sich mit einem einzigen Regiestil wohl ohnehin nicht mehr bespielen. „Man soll nicht so tun“, sagt Radunski, „als gebe es eine einzige Art von Ästhetik.“ Der Senator scheint also weiter auf der Suche nach dem Baumbauer-Typus zu sein, nach einem Impresario, der auf allen Hochzeiten zu tanzen versteht.

Mitspielen muß dann nur noch das Publikum. „Der entscheidende Punkt“, umschreibt Radunski das Problem, „liegt außerhalb des künstlerischen Bereichs.“ Denn das kulturbeflissene Publikum in Berlin ist klein. In Wien füllen sich die Theater fast von selbst, in München transportieren schwere Limousinen allabendlich ein Publikum vom Starnberger See zur Staatsoper, das bereitwillig bis zu 400 Mark pro Karte bezahlt. „Auch in Berlin werden die Besucherströme wachsen“, sagt der Senator, der vor lauter Behaglichkeit fast ganz in seinem Sessel verschwunden ist: „Ich bin da überhaupt nicht pessimistisch.“