Der den Logos das Tanzen beibrachte

Vom Werbeillustrator zum Spiritus Rector der Wirtschaftsunternehmen, vom Kritzelkünstler zum Meister der Typografie: Eine groß angelegte Monografie ehrt Paul Rand, den Gestalter, mit dem die Zeit des globalen Firmendesigns begann  ■   Von Ulf Erdmann Ziegler

Solange er am Leben war, gab er höchstselbst Auskunft über sich und sein Werk. Sein erstes Buch schrieb und gestaltete er mit 32 Jahren: „Thoughts on Design“, veröffentlicht 1946, sein letztes, scherzhaft betitelt „From Lascaux to Brooklyn“, erschien 1996, das Jahr, in dem er starb. Paul Rand war ein sehr einflussreicher Gestalter, Illustrator und Typograf auf dem nordamerikanischen Kontinent. In diesem Frühjahr erschien eine große, umfangreiche und vorzüglich gedruckte Monografie über Rands Werk im Londoner Verlag Phaidon; in Deutschland übernahm die Publikation ein Fachverlag für Typografie und Schriftgestaltung in Mainz.

Der Vorteil ist auch gleich der Nachteil: Der anonymen Übertragung ins Deutsche sind die Mühen eines überforderten Lektorats deutlich anzumerken. Während vor siebzig Jahren die Diskussion um Gestaltung auf Deutsch geführt wurde, ist sie nun mit dem englischen Sprachschatz so sehr verwoben, dass schon die Rückübertragung des Adjektivs „modernist“ Probleme bereitet. Niemand kann sich vorstellen, dass es ganz einfach nur „modern“ bedeutet. So schauen wir also zurück auf das Jahrhundert des Modernismus, ob wir wollen oder nicht.

Die Frage, wie modern man sein muss, hat Rand in seinem Leben mehrfach gestellt und in seiner eigenen, autokratischen Art beantwortet. Geboren 1914, aufgewachsen in einem Krämerladen in Brooklyn als Peretz Rosenbaum, wechselte er als junger Erwachsener nach Manhattan und vollendete seine Abwendung von den jüdischen Wurzeln mit der radikalen Anglisierung seines Namens. In den Jahren der Depression und bis über 1945 hinaus war das moderne Leitbild des Gestalters Rand die europäische Kunst: Collage und Montage waren von vornherein seine Mittel. Seit Ende der Fünfzigerjahre bekannte sich Rand, inzwischen als Berater expandierender Industrieunternehmen, zum Schweizer Gittersystem, also der Millimeterkontrolle des typografischen Entwurfs.

Paul Rand war getrieben vom Fieber des Zeichners. Es wird kein Zufall sein, dass er – fast noch ein Junge – in der Klasse von George Grosz an der Art Students League anlandete. Zu Rands ersten Jobs gehörten Titel für die Zeitschrift Direction. Auf dem Titel der „summer fiction number“ im (ersten amerikanischen) Kriegsjahr 1941 sah man junge, halb nackte Leute in bauhausmäßiger Freizügigkeit hingehauen. Auf das schwarzweiße Plein-air-Foto ließ Rand eine gelbe Sonne herunterschauen, deren skeletös besorgte Maske einem berühmten Holzschnitt Edvard Munchs entlehnt war. Räumliche Fotografie einerseits, in die Fläche gehende Farbe andererseits blieben auch dann noch das Markenzeichen Rands, als er seine ersten großen Jobs in der Werbung bekam, als Gestalter von Illustriertenseiten, zeitgleich mit Warhol.

Ein paar Jahre brauchte Rand, um sich von verzwickten Dekors und ausufernden Texten freizumachen zugunsten aufgeräumter, weißer Seiten. Die sahen aber nicht bürokratisch aus, sondern lebten von Zeichnungen, die Rand mit leichter Hand hinwarf, mal elegant wie Cocteau, dann wieder „naiv“, den ersten flinken Blättern Saul Steinbergs erstaunlich ähnlich. Im Gekritzel kreuzten sich Zeichnung und Schrift. Wenn man sich das rückblickend ansieht, geht es einem wie mit dem Brechtschen Theater oder dem Rock 'n' Roll: Es macht Mühe, den Fortschritt zu erkennen, weil die Bilder lebhafter das Klischee der Ära mitteilen als dessen Überwindung. Was an Rand ganz und gar Fünfzigerjahre ist: die Macke, jedem Produkt eine menschliche Figur unterzujubeln – die Zigarre als feiner Herr, der Schraubenzieher als Grinsemann. Rand bleibt insofern eher Illustrator als Typograf, als er über Jahrzehnte seine Handschrift als Schrift einsetzt, in der Zeitschriftenwerbung und für Buchtitel. Er kommt sogar damit durch, Buchtitel zu signieren, so dass außer den Autoren Henry James, Czeslaw Milosz, Thomas Mann und H. L. Mencken auf dem Cover auch der Name Paul Rand erscheint, kleiner, aber nicht viel kleiner als der Name des Verlags.

Rands Karriere wäre nicht das große Thema, das sie darstellt, wenn es nicht eine ganz große Metamorphose gegeben hätte. Denn mit Rand und seinen Partnern in den Agenturen und in den Vorstandsetagen der Unternehmen beginnt die Zeit des Corporate-Design. Ausgerechnet der Collagist und Kritzelkünstler schießt sich ein auf das Meisterfach der Typografie, das Logo – das Namensbild des Unternehmens. Über das ritterliche Schild des Paketunternehmens UPS setzt er ein Präsentpaket, womit das Zeichen als Ganzes zu einer Krone verschmilzt. Das fade Dreibuchstabenkürzel der International Business Machines schließt er dem digitalen Zeitalter an, indem IBM mit dynamischen Querstreifen unterlegt wird. Paul Rand wächst somit zum Exempel des modernen Graphic-Designers aus, der seine Signatur – Inbegriff des modernen Künstlers – eintauscht gegen die Macht, die Signatur gewaltiger Unternehmen von eigener Hand zu zeichnen. Allerdings so, dass man die Handarbeit nicht mehr sieht.

Der Autor der ersten Monografie über Rand post mortem, Steven Heller, war jahrelang ein Vertrauter des alternden Helden des grafischen Designs in Amerika. Man merkt ihm einen gewissen Widerstand an, Rands Frühwerk als Werbeillustrator zu würdigen. Der umfassende Text gewinnt bedeutend an Kontur, wenn es darum geht, Rands Beiträge zur Unternehmenskultur zu beschreiben. Allerdings schlägt sich Heller – selbst übrigens grafischer Chef der New York Times und als Schreibender halbwegs ein Laie – etwas zu plump auf die Seite der grafischen Mission. Denn die Unternehmensgrafik funktioniert nur, wenn die Verantwortlichen an sie glauben. Der Grafikdesigner wird zu einer Art Pastor und Hofmaler in einer Person, und er beginnt, sich selbst als moralische Instanz wahrzunehmen. Ist ein Unternehmen dabei, sich zu entfalten, darf er sich als Spiritus Rector imaginieren; wenn es abspecken muss, wird der Designpriester als Erstes als überflüssig erkannt.

Unter diesem Leistungsdruck ist Paul Rand zu großer Form aufgelaufen. Vor allem hat er die psychologische Technik begründet, um Unternehmen ihr Logo der Zukunft zu vermitteln: das firmeninterne Buch. Rand zeichnete und schrieb Anwendungsbücher, in denen die Logos aus der Geschichte der Gestaltung hergeleitet wurden, sich monumental verkörperten und dann – in der „Anwendung“ – zu tanzen begannen. Rands anthropomorpher Tick zahlte sich insofern aus, als er den Logos schon im Vorfeld ihre weiche und taktile Dimension zurückgab, die sie per Kraft ihrer Definition nicht hätten haben dürfen.

Steven Jobs, der das „NeXT“-Logo 1986 für ein Honorar, das selbst schon Reklamewirkung zeigte, an Paul Rand vergab, publizierte sogar die suggestive Broschüre, die Rand für ihn firmenintern entworfen hatte. Bei der Präsentation des Logos saß Rand da und sagte nur noch ja und nein. Selbst den Hochschullehrer, der Rand in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens war, haben Studenten als sprachlos beschrieben. Sein Charisma lebte von seiner Autorität, und seine Autorität war Programm: Er verlangte von seinen StudentInnen „Entscheidungen“. Eine gute Anekdote: Als junger Mann hatte er Le Corbusier am Mittelmeer besucht und mit Fragen gelöchert. Schließlich sprang der große Baumeister ins Wasser und ließ vorher wissen: „Junger Mann, Sie sind einfach zu ernst.“ Später traf er dann die Exilanten, wie László Moholy-Nagy, die die gestalterische Substanz in Rands verspielter Grafik intuitiv verstanden und als amerikanische Variante moderner Gestaltung zu schätzen wussten.

An der Universität Yale, wo Rand die letzten zwanzig Jahre seines Lebens lehrte, war er auf Josef Albers getroffen, dessen systematische Pädagogik seine eigene prägte. Längst kannte er Charles und Ray Eames, sodass seine modernen Bezugspunkte weit ausgelegt waren, vom vergangenen Bauhaus Weimar bis ins zeitgenössische Santa Monica. Am Ende seines Lebens wurde Paul Rand zu jenem Dogmatiker, der er als Europäer hätte werden müssen. Er konnte nicht davon lassen, den eigenen Weg als Designer in immer neuen Artikeln und Büchern als exemplarisch zu feiern – begleitet von der pflichtgemäßen Polemik gegen das schwierige und wuselige computergestützte Grafikdesign von April Greiman oder David Carson.

Steven Heller liegt im Prinzip richtig, die ideologische Verhärtung Rands zu relativieren und den spielerischen Aspekt des Rand-Designs herauszukehren. Man könnte sogar Rands Frühwerk gegen seine greisen Weisheiten wenden, indem man die Collagetechnik als Vorläufer einer digitalen Ästhetik betrachtet. In der praktizierten Moderne Rands hatten die beiden Pole des Gestalters Platz: der Illustrator auf der einen Seite, der Typograf auf der anderen. Dass man sie nicht versöhnen kann, hat Rand produktiv gemacht.

Steven Heller: „Paul Rand“. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 1999, 255 Seiten, 168 DM