Rituale der Medienkunst

Pixeln mit Teelichtern oder der Künstler als Entertainer im Dienst der Raumfahrt: Der transmediale gehen ihre Diskurse verloren. Das zeigt auch die Ausstellung „Unfinish“ in der Akademie der Künste

Fast etwas wehmütig klingt das „Unfinish“-Motto – eine Epoche geht zu Ende

VON HARALD FRICKE

Der Titel ist ein komisches Konstrukt. Dabei klingt in „Unfinish“ die Programmatik der diesjährigen transmediale mit an. Man will zeigen, dass künstlerische Prozesse, zumal im Umgang mit digitaler Kultur – von der computerbasierten Installation zum Mitmachen bis zum coolen Laptopbritzeln auf der Tonspur –, nicht abschließbar sind. Denn ständig gibt es etwas zu überdenken, umzuschrauben, neu zu formatieren oder auch bloß frisch einzupegeln am Lautstärkeregler. Für diese unendliche Prozesshaftigkeit nimmt man selbst ein so künstlich unfertiges Wort wie „Unfinish“ in Kauf.

Tatsächlich ist die transmediale derzeit mit den Mühen der Ebene konfrontiert. Während die einen von „Web 2.0“ phantasieren und die anderen sich auf youtube herumtummeln, fehlt es in der Medienkunstszene an Diskussionen, die über das bisher Erreichte hinausgehen. Hier treffen sich zwar immer noch Theorie & Technik, aber eher leidenschaftslos, ohne den Druck gesellschaftlicher Notwendigkeit. Das gilt auch für die Ausstellung in der Akademie der Künste: So lässt der französische Künstler und Programmierer Antoine Schmitt für „still living“ zwar alle möglichen Kurvendiagramme und Tortengrafiken über den Bildschirm rasen; aber es bleibt ein ironisches Spiel mit der visuellen Oberfläche, das die Mechanismen von Meinungsforschung und Mehrheitsbildung kaum hinterfragt. Und wenn der Österreicher Herwig Weiser für „Death Before Disko“ die Datenströme der Weltraumbeobachtung in Klänge übersetzt, dann blendet er vor lauter Noise-Begeisterung aus, dass die Informationen auf einer Nasa-Homepage zum Download bereitgestellt wurden – der Künstler als Entertainer im Dienste der vor sich hin dümpelnden US-Raumfahrt?

Keine Frage, der Fokus des Festivals hat sich verändert. Vor 20 Jahren als Plattform für Videoproduktionen alternativ zur Berlinale gegründet, hatte die transmediale lange Jahre mit Recht den Ruf, ein Katalysator für Gegenöffentlichkeit zu sein. Hier wurden Jon Alperts Dokumentationen über Crackhäuser gleich neben irren Blue-Box-Basteleien gezeigt. Hier wurden später die technischen Versprechen von Virtual Reality mit illegalen Hacker-Strategien abgeglichen.

In diesem Kontext klingt das „Unfinish“-Motto fast ein bisschen wehmütig – eine Epoche geht zu Ende. Die technischen Innovationen sind von den Schauplätzen der Kunst in die Wirtschaft abgewandert, umgekehrt ist den Netzaktivisten die Kunst als Handlungsfeld zu klein geworden. Insofern steht die transmediale zwischen den Stühlen, was sich auch in der Auswahl für die mit ausgestellten Awards spiegelt – wie sonst lässt sich erklären, dass bei über 1.000 eingesandten Projekten nur drei Arbeiten als preiswürdig empfunden wurden?

Eine von ihnen ist von Aram Bartholl. Der ausgebildete Architekt stellt seine Installation „Random Screen“ aus: Eine Wand aus Pixeln, die unruhig flackern. Das sieht ziemlich unspektakulär aus, nach einer leicht abgedimmten Ambient-Dekoration. Sobald man die Arbeit allerdings von der Rückseite betrachtet, entpuppt sich das schicke Lichtspiel als einfaches Low-Tech-Arrangement. Bartholl hat für jedes Pixel ein Teelicht aufgestellt, um das sich wie bei einer Weihnachtspyramide alte Dosen drehen, in die wiederum Gucklöcher geschnitten wurden – und fertig ist die Laterna magica des digitalen Zeitalters!

Der Trick, mit dem Bartholl en passant Display-Design mit Erzgebirge-Folklore verzahnt, erinnert an den Schabernack, den früher Nam June Paik mit der Medienkunst getrieben hat. Auch sonst merkt man einigen der Beteiligten an, dass sie von Fluxus herkommen. Zum Beispiel die koreanische Videokünstlerin Moon Na, die in ihrem Film „Against God by Waterpistol“ mitten auf einem Platz in Seoul im Regen steht und Wasser in die Luft schießt.

Daneben mutet der Film „setting 04_2006“ vom Wiener Duo Herwig Turk und Günter Stöger eher wie absurdes Theater an. Unentwegt sieht man weiß behandschuhte Hände die gleichen Bewegungen ausführen. Pantomimisch werden imaginäre Pipetten in Reagenzgläser getaucht, werden scheinbar Petrischalen geschwenkt und Elektroden verklammert – Rituale der Forschung eben. In diese sture Abfolge von Routinen bringen Turk und Stöger allerdings etwas Unruhe. Sie haben die gleichen Handgriffe immer wieder gefilmt und in der Montage so überlagert, dass man im Video jede abweichende Bewegung erkennen kann. Der kontrollierte Vorgang im Labor wird zum gestischen Ballett. Aber das nennt man wohl nicht „Unfinish“, sondern Zufall.

„Unfinish!“ Bis 4. 2., 10–21 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10