Polen sieht Deutschpolen bedroht

Polens Premier Jarosław Kaczyński greift die Deutschen an: Die wollten die Geschichte umschreiben und würden die polnische Minderheit im eigenen Lande diskriminieren

WARSCHAU taz ■ Das antideutsche Trommelfeuer aus Warschau nimmt kein Ende. Am Wochenende wetterte Polens Regierungschef Jarosław Kaczyński erneut gegen die Deutschen. Schuld an der neuen Eiszeit in den deutsch-polnischen Beziehungen seien ganz allein die Deutschen.

„Ist es etwa Polen, das das Eigentumsrecht in einem Drittel Deutschlands nicht akzeptieren will?“, fragt er provokativ in der konservativen Tageszeitung Dziennik. „Will etwa Polen die Geschichte umschreiben, um einen Teil der Verantwortung von den Tätern auf die Opfer abzuwälzen?“ Und: „Ist es denn die deutsche Minderheit in Polen, die derart strengen Beschränkungen unterworfen ist, dass Eltern mit ihren Kindern nicht in ihrer Sprache sprechen dürfen?“

Außenministerin Anna Fotyga und Staatspräsident Lech Kaczyński, der Zwillingsbruder des Regierungschefs, hatten in der Woche zuvor schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung erhoben. Die in Deutschland lebenden Polen würden diskriminiert, meint Fotyga. So gebe es kaum Polnischunterricht an deutschen Schulen. In Polen hingegen gehöre Deutschunterricht zu den Regelfächern.

Zudem betrieben deutsche Behörden eine aktive „Assimilierungspolitik“ gegenüber Polen, die in Deutschland lebten. Dies zeige sich in Scheidungsfällen, wo den Kindern oft verboten werde, sich bei Treffen mit der polnischen Mutter oder dem polnischen Vater in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Fotyga sieht hier „den Geist unserer schweren Vergangenheit“ wirksam werden.

Tatsächlich prangerten bereits mehrere große Zeitungsartikel in Polen dieses Vorgehen deutscher Jugendämter an, zuletzt auch ein längerer Fernsehfilm unter dem Titel „Polnisch verboten!“ Dass Kinder aus binationalen Ehen nach einer Scheidung in bestimmten Fällen mit dem nichtdeutschen Elternteil Deutsch sprechen müssen, wenn das dem Kindeswohl dient, ist in Deutschland gängige Praxis und betrifft keineswegs nur polnische Staatsbürger.

Für Polen allerdings, das diese Politik des „Polnisch verboten!“ unter Bismarck und Hitler bitter erfahren mussten, gibt es für die Entscheidungen deutscher Jugendämter und Gerichte nur eine Erklärung: „Rassismus“ und „deutscher Lebensborn“.

In der Nazizeit hatte der „Lebensborn“ im großen Maßstab blonde und blauäugige Kinder in Polen geraubt. Ganze „Zugladungen“ blonder Kinder trafen im Deutschen Reich ein. SS-Familien adoptierten sie und erzogen sie im Geiste der Naziideologie „rein deutsch“. Da in Deutschland aber kaum jemand von diesen Naziverbrechen in Polen weiß, wurden alle „Rassismus“-Vorwürfe der polnischen Eltern als „nationalistisch“ oder „verrückt“ vom Tisch gewischt.

Erst eine Petition der betroffenen Eltern im Europäischen Parlament bringt nun Bewegung in die Sache. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) versprach bei seinem Besuch in Warschau vor ein paar Tagen eine Klärung der Fälle auf Expertenebene.

Die Lösung anstehender Probleme sind nicht das Ziel der permanenten antideutschen Ausfälle Fotygas und der Kaczyński-Brüder, wie Jarosław Kaczyński in seinem Dziennik-Interview denn auch ganz offen zugibt: „In den 90er-Jahren sagte mir der österreichische Außenminister, Alois Mock, dass ganz Europa, insbesondere aber die Deutschen uns gegenüber ein schlechtes Gewissen hätten. Dies sollten wir ausnutzen.“ In Polen habe man aber in den letzten Jahren dieses Schuldbewusstsein der Deutschen nicht nur nicht ausgenutzt, sondern auch noch die „Ideologie des schlechten Gewissens der Polen“ gefördert. Diesem „Wahnsinn“ will Kaczyński nun ein Ende setzen.

GABRIELE LESSER