Flut in Jakarta fordert Dutzende Tote

Drei Viertel der indonesischen Hauptstadt steht unter Wasser. Der Gouverneur spricht von einem Naturphänomen. Doch umweltfreundliche Baupläne, die Raum für das Abfließen des Regens geben könnten, lässt Jakarta bislang vermissen

VON ANETT KELLER

„Bitte, kommt uns evakuieren! Wir haben ein Baby, noch nicht mal ein Jahr alt“, bittet Muchlisin. „Wir sind schon seit drei Tagen vom Wasser eingeschlossen“, so der Bewohner der Bangka-Straße im Süden der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Lily meldet, dass den Frauen, die in einer Schule im Geschäftsdistrikt Kelapa Gading im Nordosten festsitzen, die Nahrungsmittel ausgehen. „Es ist dringend!“

Meldungen wie diese laufen bei der Radiostation El Shinta in Jakarta in diesen Tagen rauf und runter. Traditionell verstehen sich indonesische Medien in Krisensituationen als Plattform für direkte Hilfsaufrufe der Betroffenen. In der zu drei Vierteln überfluteten indonesischen Hauptstadt ist das auch nötig. Die Behörden sind mit den Folgen der Überschwemmung, die bislang 29 Todesopfer forderte und rund 340.000 Menschen obdachlos machte, überfordert.

Seit fünf Tagen steht die 12-Millionen-Metropole nach starken Regenfällen unter Wasser. Während die Bewohner einiger Gebiete gestern nach einem regenarmen Tag von einer entspannten Lage sprachen, stiegen die Pegelstände in anderen Bezirken. Die Strom- und Wasserversorgung ist teilweise völlig zusammengebrochen, Telefonleitungen lahm gelegt, Bahnstrecken und Straßen unbefahrbar. Die Angst vor Seuchen wächst. Nach Berichten lokaler Medien leiden bereits rund 12.000 Menschen an Atem-, Haut- und Durchfallerkrankungen.

„Am meisten fehlt es an Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischem Personal“, sagt Deny Cakra Adysurya zur taz. Der 42-Jährige leistet mit der NGO Sanggar Ciliwung, die von der deutschen Caritas unterstützt wird, Hilfe für rund 700 Slumbewohner im Süden Jakartas. Für die Stadtverwaltung hat er nichts als Kritik übrig: „Seit Jahren gibt es diese Überschwemmungen, und noch immer gibt es keine Notfallpläne.“

„Die Flut hat uns überrascht, die Langsamkeit der Behörden nicht“, brachte eine Reporterin auf den Punkt, was die Einwohner Jakartas denken. Viele sind wütend, weil Gouverneur Sutiyoso mit dem Verweis auf ein „Naturphänomen, das alle fünf Jahre wiederkehrt“, jede Schuld von sich wies. Auch die Hilfe lief spät an. Große Teile Jakartas standen bereits unter Wasser, als Sutiyoso im Fernsehen noch immer den Kampf gegen die Vogelgrippe predigte und sich bei Kontrollen im Feldzug gegen häusliche Tierhaltung filmen ließ.

Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono besuchte gestern die am schlimmsten überfluteten Gebiete. Er forderte die lokalen Behörden auf, endlich umfassende Krisenpläne zu entwerfen. Nicht nur die Folgen der Flut sind jedoch abzumildern, auch ihr Entstehen ist menschengemacht. Seit Jahrzehnten schreitet der Kahlschlag indonesischer Wälder voran – so auch in den Bergen im Süden Jakartas. Rund 70 Prozent des in Indonesien gefällten Tropenholzes wird nach Angaben von Umweltschutzorganisationen illegal abgeholzt – eine Folge der weitreichenden Korruption im Lande. Im aktuellen Corruption Perceptions Index von Transparancy International belegt Indonesien den 130. Platz von 163 Staaten.

Korruption ist auch in der Bauplanung in der Hauptstadt ein treibendes Motiv. Immer wieder wird trotz ökologischer Bedenken die Errichtung neuer Gebäudekomplexe genehmigt. Sumpfgebiete werden trockengelegt, um teure Geschäfts- und Wohnkomplexe zu errichten. Jährlich kommt es daher in der Regenzeit zu Überschwemmungen. Bei der bislang stärksten Flut 2002 waren 40 Menschen ums Leben gekommen. Meteorologen warnen, in diesem Jahr werde es schlimmer, und sagen starke Regenfälle voraus.

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