Gott, Eiter und Exkremente

In der Bar jeder Vernunft rezitierte Nikolai Kinski Gedichte seines Vaters – und überraschte das Publikum. Denn so exaltiert der Alte war, so zurückhaltend gab sich der Sprössling und hauchte Mittelmäßigem ein eigenes Leben ein

Bei Klaus Kinski durfte man sich als Zuschauer nie allzu sicher fühlen, denn er war berühmt für massive Publikumsbeschimpfungen. „Komm doch hoch, dann schlag ich dir die Fresse ein“, brüllte er einmal einem Mann im Auditorium entgegen, der es wagte, Kinski die Ehrfurcht zu verweigern, die Kinski gebührte. Man durfte also durchaus gespannt sein, wie sein 1976 in Paris geborener und in Amerika aufgewachsener Sohn aus dritter Ehe, der Schauspieler Nikolai Kinski, seine Gedichte vortragen würde.

„Kinski spricht Kinski“, das verheißt Authentizität, und so ist es kein Wunder, dass die Bar jeder Vernunft trotz deftiger Eintrittspreise aus allen Nähten platzt. Während im Hintergrund „Velvet Underground“ läuft, füllt sich der Zuschauerraum immer weiter mit jungen Männern im Pelzmantel, Poetentypen mit strubbeligem Haar und Frauen in Schwarz. „Pervers, verrückt, abartig“ sei Kinski gewesen, sagt eine ältere Frau, die direkt hinter mir sitzt, zu ihrem Begleiter und fährt fort: „Ich habe seine Biografie gelesen – echt Hardcore.“ Woraufhin der Mann kleinlaut zugibt, Klaus Kinski vornehmlich aus Edgar-Wallace-Filmen zu kennen.

Schließlich betritt ein schwarz gekleideter Mann die Bühne und bittet das Publikum, die Kerzen auf den Tischen zu löschen. Sein Deutsch ist perfekt, dabei hat er es vor drei Jahren gelernt. Dann geht es los. Licht aus, Spot an: „Ich weiß nicht, wer ich bin / und wer ich war / ein Fremder vor mir selbst / und neu für mich“. Der Raum ist komplett in Dunkelheit gehüllt, nur ein einzelner Scheinwerfer beleuchtet das Gesicht von Nikolai Kinski, der die Verse seines Vaters mit gebrochener Stimme und beschwörendem Blick vorträgt: „Ich bin das blaue Fiebertier der Erde“. Einem Zeremonienmeister gleich rezitiert er die Texte, die Klaus Kinski im Jahr 1952 geschrieben hat, die aber erst 2001 unter dem Titel „Fieber – Tagebuch eines Aussätzigen“ erschienen sind. Die Presse überschüttete den 1991 verstorbenen Kinski daraufhin mit Lob, verglich ihn mit keinem Geringeren als Rimbaud oder bezeichnete ihn als Vorläufer der Beatniks.

Wie nicht anders zu erwarten, gibt sich der Vater in den vom Sohn vorgetragenen Gedichten nur mit wirklich Bedeutsamem ab: mit Gott also, den Frauen beziehungsweise pars pro toto der weiblichen Brust sowie einer verdorbenen, schmutzigen Welt, die von Exkrementen, Blut und Eiter überzogen ist. „Ich krümmte mich unter der Nachgeburt“, proklamiert Nikolai Kinski und senkt dabei den Kopf, woraufhin das Publikum klatscht.

Auch wenn der Dichter Klaus Kinski natürlich meilenweit von Rimbaud entfernt ist, gelingt es Nikolai Kinski doch in beeindruckender Manier, den meist gereimten Versen seines Vaters Leben einzuhauchen. Mal geht er dazu in die Knie und säuselt: „Christus war meine Mutter“, mal hält er das Mikrofon fest umklammert und brüllt: „Gott nagelt Ölpapier vor deinen Bauch“. Zwischen den Texten sagt er nichts, verzichtet völlig auf Ansagen, die nur die Stimmung kaputtmachen würden. Nikolai Kinski bleibt ernst, nur einmal muss er kurz lächeln, als er ein Gedicht mit den Worten „Ich hab dem Mädchen in die Brust gebissen“ beginnt.

„Ich richte mich auf, ganz steil / wenn sie wissen, dass es Zeit zum Sterben ist / ich muss weg von hier“. Mit diesen Versen und unter heftigem Applaus beendet Nikolai Kinski nach einer knappen Stunde seine Performance, die einen um zwei Erkenntnisse bereichert hat. Erstens: So toll sind die Gedichte von Klaus Kinski nun auch wieder nicht, und zweitens: Wenn sie von Nikolai Kinski vorgetragen werden, spielt das nicht die geringste Rolle. ANDREAS RESCH

Nächste Vorstellung von „Kinski spricht Kinski“ am 5. März in der Bar der Vernunft, Schaperstraße 24,Tickets 19 bis 22 €