Teil einer Bewegung

Die Gruppe Lubricat sucht nach dem Gemeinsamen von argentinischen Arbeitern und Schauspielern in Berlin

Angeschlagene Schneidezähne, ein leichter Silberblick – das findet Michael (Niels Bormann) sehr sexy bei jungen Männern. Und so ein junger Mann hievt ihn auch über die Scham hinweg, die er empfindet bei dem Gedanken, sich als Schauspieler einer Masse demonstrierender Arbeiter anzuschließen. Er möchte sie wirklich unterstützen, er teilt ihre Visionen, nur sind ihm Massenaufläufe und laute Trommeln unendlich peinlich. Der Schieler tröstet ihn drüber hinweg.

Niels Bormann spielt – als einziger Deutscher – in der neuen Produktion von Lubricat „How to take over“ in den Sophiensælen. Das Stück beschäftigt sich mit der ökonomischen Krise Argentiniens von 2001. Dafür hatte das Team um Regisseur Dirk Cieslak vier Monate lang vor Ort in Buenos Aires recherchiert. Jetzt erzählen fünf Schauspieler auf der fast leeren Bühne die Geschichte argentinischer Arbeiter, die 2001 ein halbes Jahr für ihren Lohn gestreikt und gekämpft haben, um schließlich selbst die Leitung der Fabrik zu übernehmen. Die Schweizerin Rahel Savoldelli in braunem Kittelkleid spielt ruhig und distanziert eine Arbeiterin, die sich immer noch über ihre eigene Kraft wundert. Ren Saibara aus Japan formuliert Aussagen zur Arbeitswelt, die keinen Widerspruch dulden: Auf die Arbeitskleidung genähte Nummern sind schlecht. Arbeiten bei Neonlicht ohne frische Luft ist schlecht. Die Mühe, die es sie kostet, sich in der deutschen Sprache auszudrücken, verstärkt das Gewicht ihrer Worte.

Die Figuren in „How to take over“ gelangen nach und nach vom Nacherzählen der argentinischen Arbeiterkämpfe zu sich selbst und ihren Erfahrungen mit der Rebellion. Marcella (Tatiana Saphir) erinnert sich immer noch verzückt an eine Demonstration, bei der sie die Hosen fallen ließ mit den andern. Wogegen oder wofür sie damals protestierten, weiß sie nicht mehr, aber sie sieht noch dieses sagenhafte Bild vor sich, die Reihe nackter Studentenärsche und gegenüber die Wand der uniformierten Polizisten.

Im Grunde haben sie aber allesamt Probleme mit Gruppen. In politischer Hinsicht ebenso wie als Ensemble auf der Bühne. Sie können einfach nicht dieses Zugehörigkeitsgefühl aufbauen, sie wollen lieber reden als zuhören, sie streiten sich über Formen der Vermittlung. Ihre Zankereien um Nichtigkeiten beendet die Gruppe mit gemeinsamem Trommeln, Singen alter Kampflieder und Schlager. Es gelte, T. I. N. A. zu überwinden, erklärt Rattenfänger Michael zu Beginn. Tina ist die Abkürzung für there is no alternative. Denn gerade Alternativen zum beklagenswerten Status quo bräuchte der Mensch, um überhaupt eine Bewegung zu formieren für einen Kampf, eine Veränderung.

Diese Alternative bleibt Lubricat am Ende des Abends schuldig. Aber immerhin wird klar und unmissverständlich formuliert, wozu genau eine Alternative gefunden werden soll. Und sie stellen die Schwierigkeit jeder Bewegung dar: Sie basiert auf Gemeinschaft, und Gemeinschaft ist das Problem. All die großen Thesen und Träume vermitteln die Darsteller von Lubricat mit einer ungemein komischen Trockenheit, einem verbissenen Ernst, einer enormen Energie und Lust am gemeinsamen Spiel. Es ist erfrischend zu sehen, wie witzig politisches Theater sein kann. CORNELIA GELLRICH

„How to take over“. 10./11. 2. und 14.–18. 2., 20 Uhr, Sophiensæle