He’s so high

Wo Kreuzberger Hausbesetzerräte und Medienpromis aus Mitte sich treffen: Die Allstarband The Good, The Bad & The Queen um den Ex-Blur-Sänger Damon Albarn in Berlin

Donnerstagabend konnte man sich entscheiden. Entweder Berlinale-Eröffnung oder The Good, The Bad & The Queen. Entweder Edith-Piaf-Melodram oder der Soundtrack des politisch schwer gestrauchelten „Cool Britannia“. Keine Frage, die derzeit hoch gehandelte Londoner Allstar-Band um den Ex-Blur-Sänger Damon Albarn hat gewonnen. Selbst Heike Makatsch wollte nicht zur Film-Gala, sondern lieber auf das Konzert in Berlin.

Dabei war mit dem Äußersten zu rechnen. Sogar mit Kitsch: Für ihren Auftritt in Bristol hatten The Good, The Bad & The Queen einen französischen Jongleur namens Sebastian Valade Rod Laver engagiert, dessen Spezialität ausgefallene Ping-Pong-Nummern sind. Andererseits hatte die Gruppe dort auch „Guns of Brixton“ gespielt, diesen toll polternden Punk-Reggae, den Paul Simonon 1979 für das Album „London Calling“ geschrieben hatte, als er noch Bassist von The Clash war.

Weil Simonon bei The Good, The Bad & The Queen eingestiegen ist, kommen nun selbst graumelierte frühere Kreuzberger Hausbesetzerräte in den ausverkauften Postbahnhof. Dagegen zieht Albarn weiterhin die Milchbärte aus Mitte an. Wohl deshalb sind die Kritiken zum aktuellen GBQ-Album hierzulande eher verhalten ausgefallen: Niemand traut Albarn so recht über den Weg, weil er als Ringleader von Blur angeblich für Britpop zu abgehoben war; umgekehrt wird ihm übelgenommen, dass er mit den Gorillaz schön einfache Mitsinglieder für Kinder komponiert hatte, die sich monsterbackenmäßig verkauften.

The Good, The Bad & The Queen knüpfen da an, wo Albarns wuselige Projektemacherei vor zwei Jahren aufhörte: Pop zwischen allen Stühlen. Die Melodien nie richtig zur Hymne aufgeschäumt, der Ryhthmus trotz Afro-Beatnik Tony Allen sehr verhalten und selten tanzbar. Alles in allem eine sorgsam sortierte Sammlung von anpsychedelisiertem Sixties-Liedgut nach Art der Kinks, die damals schon den Moritaten des 19. Jahrhunderts nicht unähnliche Vaudeville- und Varieté-Musik fabrizierten.

Zum feinen Retroschliff passt der Look, mit dem die Band in Berlin die Bühne betritt. Albarn trägt dandyesk Zylinder, überhaupt erinnern er und Simonon an viktorianische Ganoven, an die Lumpen aus der Hochzeit der Industrialisierung. Das muss als Pose genügen, dann verschwindet der Sänger sogleich hinter dem Klavier, auf dem er in der nächsten Stunde mal Musetten trudeln lässt und mal Honkytonk klimpert. An diesem Ort ist Albarn gut aufgehoben: ein in sich gekehrter Songwriter, der sich seit Blur den eigenen Celebrity-Status weggegrübelt hat.

Überhaupt bleibt der Sound ungeheuer aufgeräumt. Die Band spielt ohne Abschweife ruhig und konzentriert durch, was auf dem Album als vielschichtiges Konzept angelegt ist: Ein Spaziergang durch die westlichen Stadtviertel Londons, die Beats vom Nottinghill Carnival im Ohr und eine Community aus Einwanderern vor Augen, die noch den Fangzähnen der Gentrifizierung trotzt. „The Call for prayer / is common around here“, heißt es in dem Song „Herculean“, der sich spiralig und mit magischem Hitpotenzial im Hirn festsetzt.

Tatsächlich müssen sich The Good, The Bad & The Queen nicht sonderlich ins Zeug legen, um das Publikum für sich zu gewinnen. Anders als Kaiser Chiefs, Arctic Monkeys und all die sonstigen Krawallcombos von der Insel sind sie kein performatives Ganzes, das sich live unentwegt aufputscht. Stattdessen spielt da ein fünfköpfiges Ensemble gemeinsam mit ein paar im Hintergrund sitzenden Streicherinnen, weil die Schönheit der Lieder sie vereint – warum sollte man ihnen diese künstlerische Haltung auch übelnehmen? Wenn es mal holpert, wird der kleine Schnitzer von Albarn einfach weggelächelt. Und seine Stimme driftet noch immer knietief in Melancholie. Leicht bitter, wie ein etwas zu lang gezogener Darjeeling. Den dann aber mit drei Tropfen Milch bitte, wir sind schließlich Briten, in der Tat. Doch, es war die richtige Entscheidung. HARALD FRICKE