Lichtenberger punkten beim Bürgerhaushalt

So viel Mitbestimmung gibt es sonst nirgends in Berlin. Am Samstag durften die Lichtenberger zum zweiten Mal über den Bürgerhaushalt entscheiden. Das Gros der Abstimmungsberechtigten nahm das Angebot dennoch nicht wahr

Kai drängelt sich durch die Menschenmenge: „Hier!“ Zielsicher klebt der 17-Jährige fünf rote Punkte auf den Zettel mit der Aufschrift: „Mehr gebrauchsfähige Computer in Jugendfreizeiteinrichtungen“. Kai Burkowski ist einer von rund 300 Lichtenbergern, die am Samstag in der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege über den Bezirksetat 2008 abgestimmt haben.

Warum Kai für Computer votiert? „Zugang zu neuen Technologien ist wichtig“, sagt er. Außerdem hätten er und seine Freunde vom Jugendclub Plexus den Vorschlag selbst eingebracht. Bereits zum zweiten Mal waren die Lichtenberger zum Bürgerhaushalt aufgerufen. Sie sollten direkt mitentscheiden, wofür der Bezirk 2008 den frei verfügbaren Teil des Etats einsetzt. Am Samstag war die Abschlussveranstaltung. 40 Vorschläge gab es, darunter Forderungen wie „mehr aktuelle Medien in den Bibliotheken“ oder eine „Solarbeleuchtung für den Wanderweg Malchower See“.

Auf drei Wegen konnte votiert werden: im Internet, mit Zetteln, die in Haushalten verteilt wurden und bei der Versammlung. Im Internet haben 236, bei der Haushaltsbefragung 772 und am Samstag 283 Bürger ihre Stimme abgegeben. Knapp 258.000 Einwohner hat Lichtenberg. Transparenz ist bei der Abstimmung nicht gegeben. Wer wie oft Punkte vergibt, darüber gibt es offenbar keine Kontrolle. Theoretisch könnten Bürger alle drei Wege des Votings nutzen. Erhard O. Müller, der im „Fachforum Partizipation“ die Idee des Bürgerhaushalts mit entwickelt hat, sieht das Problem, setzt aber auf die „Aufrichtigkeit“ der Beteiligten.

Horst Kern jedenfalls hat sich für die Live-Abstimmung mit Klebepünktchen entschieden: Er habe sich zwar im Internet informiert, erzählt der 79-Jährige, „dort abzustimmen war mir aber zu kompliziert“. Er habe versucht, die Punkte gleichmäßig zu verteilen. „Kultur, Jugend und die Beseitigung lästigen Hundekots“ hat er unter anderem mit seiner Stimme bedacht.

Nicht alle versuchen ausgewogen zu sein. Hinter einigen Vorschlägen scheinen sich Lobbygruppen etabliert zu haben. Ein Zettel mit dem Vorschlag, eine Seniorenbegegnungsstätte zu erhalten, ist mit 185 roten Punkten übersät. „Wer sich beteiligen will, kann sich beteiligen“, sagt Müller. „Demokratie funktioniert so. Die Leute machen mit oder nicht.“

Raus hält sich offenbar die Gruppe der 30- bis 50-Jährigen. Diese Beobachtung macht auch Stadtteilmanagerin Bettina Ullbrich. Warum das so ist, kann weder sie noch Müller erklären. Darüber hinaus blieben diejenigen weg, die weniger gewohnt sind, sich zu artikulieren, so Müller und meint damit unter anderem Bürger mit Migrationshintergrund. „Man muss versuchen, sie einzubinden, kann aber nur hoffen, dass diejenigen, die sich beteiligen, sich möglichst repräsentativ zusammensetzen.“

Für Müller ist der Bürgerhaushalt zukunftsfähig. Er setzt sich für eine Ausweitung ein. Mit Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen), Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, habe er bereits gesprochen. Und warum an Bezirksgrenzen Halt machen? Denkbar wäre es auch für den Berliner Etat. GITTE DIENER