Wer Gewalt provoziert
: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Die bundesweite Razzia gegen mutmaßlich militante G-8-Gegner war, milde formuliert, überzogen. Die Bundesanwaltschaft ist auf der fieberhaften Suche nach einer linksterroristischen Vereinigung. Doch die Indizien, die die Existenz dieser Gruppe beweisen sollen, sind wenig überzeugend: ein paar Brandanschläge auf Autos und Firmen in den letzten Monaten, Sachbeschädigungen und – nicht zu vergessen – ein Farbbeutelwurf auf ein Hotel in Heiligendamm. Logisch, dass derart Schändliches nur Terroristen zuzutrauen ist.

Diese Razzia wirkt wie die Ouvertüre eines alten Stückes, das viel zu lange mit stets gleicher Dramaturgie aufgeführt worden war. Im ersten Akt provoziert der Staat und zeigt Stärke. Im zweiten Akt betreten erwartungsgemäß linke Militante die Bühne, zünden Autos an und prügeln sich mit Polizisten. Und im dritten Akt schauen sie sich zufrieden die Demo-Bilder im TV an. Denn TV-Bilder gelten seltsamerweise als die Währung, in der der Erfolg einer Demo gemessen wird. Nur keine Nachrichten sind schlechten Nachrichten –interessanterweise teilen Militante diese Ansicht mit Werbefuzzis.

So war es lange. Doch seit der Eskalation auf dem G-8-Gipfel in Genua 2001 hat der globalisierungskritische Protest dieses trostlose Ritual überwunden. Das hat Gründe – mediale und politische. Mit dem Internet ist die mediale Landschaft pluraler, offener, demokratischer geworden – und Demo-Bilder in der „Tagesschau“ sind nicht mehr die einzige Währung in der Aufmerksamkeitsökonomie.

Und: Die globalisierungskritische Bewegung ist vor allem an praktischen Erfolgen interessiert. Sie will nicht die Weltrevolution, sondern das Steuerrecht reformieren. Für die früheren Linksradikalen war der Staat der Feind – für Globalisierungskritiker ist er eher ein Verbündeter, den man gegen die Macht der Multis schützen muss. Globalisierungskritisch gesehen ist es unsinnig, Polizisten zu verprügeln.

Die Bewegung hat abgerüstet. Doch BKA und Bundesanwaltschaft inszenieren unverdrossen das alte Stück: abschrecken, einschüchtern und in den Nebel schießen. Damit provoziert der Staat, was er doch gerade verhindern will: Gewalt.