Unheimliche Berühmtheit

Er sieht sich im Fernsehen und fragt sich, ob seine Prominenz eigentlich auch irgendetwas Gutes hat

VON RÜDIGER BÄSSLER

Der Tatablauf lässt schwerlich andere Schlüsse zu, als dass ein verrückt Gewordener am Werk gewesen sein muss. Dieser Verrückte fuhr am Donnerstagmorgen vor den Eingang eines Großmarkts in Neu-Ulm und rammte mit dem Heck seines Autos die Tür. Den Rest der Scheibe zertrümmerte er mit einem Beil. Die Alarmanlage schrillte, doch der Mann brachte seelenruhig zu Ende, was er sich vorgenommen hatte. An vier Stellen im Eingangsbereich des Marktes legte er Feuer. Als die Polizei eintraf, streckte Khaled El Masri die Arme aus und ließ sich ohne Widerstand abführen.

Dabei habe es für seinen Mandanten gerade so gut ausgesehen, sagt sein Anwalt Manfred Gnjidic. Er ist ab sofort nicht mehr nur El Masris Rechtsbeistand, sondern nun auch, wider Willen, sein Verteidiger. Kurz vor Einreichung einer Schadenersatzklage vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, stehen die beiden. Und war da nicht auch dieser Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht, wenige Stunden vor dem Brandanschlag? Die Richter entschieden, Gnjidic sei von Januar bis Juni vergangenen Jahres ohne Rechtsgrundlage abgehört worden. Manches schien sich endlich zu wenden. Aber das unselige Feuer vom Donnerstagmorgen zerstörte nicht nur den Eingangsbereich eines Großmarktes, sondern auch die Sympathie derjenigen, die zu Masri, dem deutschen Gesicht des Widerstands gegen die Verschleppungspolitik der USA, gehalten hatten.

Masris Tat, die alle Züge der Selbstaufgabe trägt, zeigt, wie egal ihm solche Nachrichten zuletzt waren – und dass auch sein Anwalt nicht mehr zu ihm durchdringen konnte. Jetzt ist der 43-Jährige, der verschleppt und gefoltert wurde, der zurück nach Neu-Ulm kam und nach drei Jahre dauernden Bemühungen feststellen musste, dass ihm immer noch misstraut wird, auf richterliche Anordnung in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses. Der Verkäufer eines i-Pod-Gerätes, das sich Masri zugelegt hatte, hatte das offenbar defekte Gerät nicht zurücknehmen wollen. Ein Streit brach aus. Hausverbot wurde erteilt. Dann das Feuer.

Masri ist also wieder in den Schlagzeilen. Der Vorgang verfestigt im Auge vieler Betrachter das Bild einer sinistren Figur, der alles zuzutrauen ist. Einer Figur, so konnte man es in vielen Leserbriefen lesen, die schon verdient haben wird, was in Afghanistan passiert ist. Längst ist der Deutsche libanesischer Herkunft für die braven Bürger des kleinstädtischen Neu-Ulm ein Promi des Schreckens, der angegafft wird wie ein Kirmesboxer, der mit zerhauenem Gesicht in die letzte Runde stolpert. Andere fassen Masri an der Schulter, wenn sie ihn beim Einkaufen sehen, geben ungebeten Ratschläge und flüstern ihm ein, er solle es den Amerikanern richtig zeigen.

Masris Leben hat solcher Überhöhung immer weniger standgehalten. In seiner kleinen Wohnung, in der er mit der Ehefrau und den inzwischen drei Kindern lebt, fällt ihm die Decke auf den Kopf. Er liest, was über ihn geschrieben wird, sieht sich im Fernsehen und fragt sich, ob Prominenz eigentlich auch etwas Gutes hat. Die Familie lebt von Sozialhilfe. Masri versucht, eine Ausbildung als Lkw-Fahrer zu machen. Als ihm Anfang des Jahres ein Ausbilder wegen Fehlstunden die Leviten lesen will, schlägt er ihn krankenhausreif. Das Verfahren wegen Körperverletzung läuft.

Auch darüber haben sie geredet in der Therapie, die nach vielen Anläufen endlich von el Masris Krankenkasse bezahlt wurde. „Eine Symptomatik für Traumatisierte ist oft ein sehr hohes Erregungsniveau. Das ist Folge der psychischen Verletzung durch Folter“, sagt Manfred Makowitzki, Therapeut und Geschäftsführer des Ulmer Zentrums für Folteropfer. Seit einem Jahr wird dort versucht, die posttraumatische Belastungsstörung zu lindern, an der Masri leidet. Sie ist nicht nur durch Aggression gekennzeichnet, sondern auch durch Teilnahmslosigkeit, durch die Aufgabe jeder Hoffnung auf etwas Besseres im Leben.

Die Therapeuten kämpfen auch gegen die immer währende Angst ihres Patienten an. Er sieht sich im Mittelpunkt von Verschwörungen. Er fürchtet, seine Kinder könnten entführt oder sogar erschossen werden. Einmal fuhr er nachts auf der Autobahn, plötzlich sah er sich bei hohem Tempo eingezwängt von fünf Limousinen, deren Fahrer nicht zu erkennen waren. Erst nach Minuten verschwanden die Autos wieder. Masri hat die Geschichte seinem Anwalt erzählt, doch der hat geraten, davon besser zu schweigen. „Das hätte für die Öffentlichkeit zu sehr nach Paranoia ausgesehen.“

Gemessen an ihrem Ergebnis, in Anbetracht des nächtlichen Feuerballs, der in den Neu-Ulmer Himmel aufgestiegen ist, muss die Therapie als gescheitert angesehen werden. Anwalt Gnjidic klagt an, alle seine Bemühungen, mehr für seinen Mandanten zu erreichen als die Bewilligung einer „Minimaltherapie“, seien gescheitert. Vor einem Monat noch schrieb er deswegen, das Schreckliche womöglich ahnend, ans Bundeskanzleramt. Im Antwortschreiben zeigte sich das Amt verständig – verwies aber an die bayerischen Landesbehörden.

Therapeut Makowitzki will den Vorwurf so nicht gelten lassen. Die 37 Therapiesitzungen, die mit Masri abgehalten wurden, hätten unter gewöhnlichen Umständen durchaus etwas bewirken können, sagt er. Doch da sei „ein grundsätzliches Problem“. Masri sei „ein Opfer, das um seine Rehabilitation kämpfen muss“. Weil das öffentlich und über die Medien geschehe, werde die Erinnerung an die Folter immer und immer wieder aufgefrischt. Wenn Masri aus den USA, vom Untersuchungsausschuss in Berlin oder aus Madrid zurück in seine Therapiestunden gekommen sei, habe er mühsam wieder stabilisiert werden müssen.

Der Therapeut und der Anwalt haben über diese unselige Situation wiederholt miteinander geredet. Einer verstand den anderen, aber beide konnten die zweite Katastrophe des Khaled El Masri nicht verhindern. Wer kann ihm überhaupt noch helfen? Wohl niemand, der ihm nicht auch die politische und öffentliche Rehabilitation verschafft, deren Ausbleiben ihn erst mürbe und dann krank gemacht hat.