Die Dramaturgie der Kettensäge

LESUNG Mit dem deutschen Science Fiction-Autor Andreas Eschbach startete das Literaturforum im Brecht-Haus eine neue Reihe. Akribisch malt Eschbach aus, wie eine Menschheit ohne Öl wohl weiterkommt

Dem Publikum aus der energiekrisengeschüttelten Seele gesprochen

VON ANDREAS RESCH

Als ich mich vorige Woche in einer Filiale einer großen deutschen Buchhandelskette dem Regal mit der Science-Fiction-Literatur näherte, schämte ich mich ein wenig. Umgeben von all diesen Heyne- und Bastei-Lübbe-Schinken mit ihren billigen Softcovers fühlte ich mich als jemand, der sich im vergangenen Jahr über Monate hinweg durch immerhin knapp einhundertfünfzig Seiten „Infinite Jest“ gequält hatte, irgendwie fehl am Platz. Als mir die Frau an der Kasse dann auch noch „viel Spaß beim Lesen“ wünschte, wähnte ich mich am Tiefpunkt.

Dass der Science-Fiction-Literatur hierzulande so sehr das Label „Unterhaltungstrash“ anhaftet, ist ein Relikt eines deutschen Bildungsbürgerdünkels, der immer noch vehement zwischen „E“ und „U“ unterschieden wissen möchte. Gleichzeitig hängt das sicherlich auch damit zusammen, dass es in Deutschland schlichtweg keine vernünftige Tradition literarisch anspruchsvoller Science-Fiction gibt. Die Werke von nachhaltiger Relevanz jedenfalls stammen überwiegend aus dem englischsprachigen Raum. Seien es Dystopien wie Huxleys „Brave New World“ oder Orwells „1984“, seien es Komödien wie die „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“-Reihe von Douglas Adams, seien es die Geschichten von Isaac Asimov, William Gibson oder Philip K. Dick, dessen Buch mit dem wunderschönen Titel „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ als Vorlage zu Ridley Scotts Film „Blade Runner“ diente.

Dass es, abgesehen von Frank Schätzing, dennoch deutsche Science-Fiction-Autoren mit größerer Leserschaft gibt, offenbarte am Dienstagabend eine ausverkaufte Veranstaltung im Literaturforum im Brecht-Haus, wo der aus Ulm stammende und mittlerweile in der Bretagne lebende Andreas Eschbach aus zwei Romanen las. Die Veranstaltung diente als Auftakt zu einer Science-Fiction-Reihe, die in Zukunft einmal im Monat im Literaturforum stattfinden soll.

Seit mehr als 15 Jahren zählt Eschbach, 1959 geboren, zu Deutschlands erfolgreichsten Schriftstellern überhaupt. Am Dienstag begann er seine Lesung mit einer Passage aus „Ausgebrannt“, einem in nicht allzu ferner Zukunft angesiedelten Roman, der der Frage nachgeht, was geschehen würde, wenn der Menschheit plötzlich, von einem Tag auf den anderen, das Öl ausginge. Vermutlich war ich der Einzige im Auditorium, der von Eschbachs nicht enden wollenden Abhandlungen über die Zukunft der irdischen Energieressourcen alsbald in einen sanften Schlaf versetzt wurde. Der anschließende Applaus jedenfalls bewies, dass da jemand dem Publikum aus der energiekrisengeschüttelten Seele gesprochen hatte.

Allerdings offenbarte Eschbachs mit schwäbischem Einschlag vorgetragene Prosa neben erwähnter Neigung zur ausufernden Beschreibung auch eine gewisse Klischeehaftigkeit, was sprachliche Bilder und Figurencharakterisierungen betrifft. Männer tragen bei Andreas Eschbach gern Namen wie Glen Freeman Schwarz; Frauen zeichnen sich vornehmlich durch äußerliche Attribute wie „kastanienbraune Locken“ aus.

Auch der zweite Roman, aus dem gelesen wurde, „Die Haarteppichknüpfer“, Eschbachs erstes Buch aus dem Jahr 1995, erging sich in langen Passagen akribischer Detailschilderungen, in deren Verlauf ich leider immer wieder den Faden verloren habe. Mitbekommen habe ich, dass das Wort „Intarsie“ darin vorkam und dass Staub eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Ich glaube, es ging um einen Herrscher, der an seinem Thron festgewachsen war und von diesem wohl irgendwie auch am Leben gehalten wurde. Er konnte nicht mehr tun, als über Jahrhunderte hinweg ein Bild seines Widersachers anzustarren. Oder so ähnlich.

So unmöglich es auch war, den ehemaligen Softwareentwickler und „abgebrochenen“ Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik unsympathisch zu finden, so sehr spiegelte seine Persönlichkeit – diese behäbige, leicht spießige Nerdigkeit – die literarische Qualität seines Oeuvres wider. Seinen Fans war das egal. Im Anschluss sprach Andreas Eschbach dann noch mit Moderator Hannes Riffel über sein Schreiben im Speziellen und über Science-Fiction im Allgemeinen. Eschbach erzählte vom Einfluss der Trivialliteraten Simmel und Konsalik auf sein frühes Schaffen. Von Büchern, deren Handlungsstränge, wie er es ausdrückte, „mit der Kettensäge“ zurechtgestutzt worden seien. Perfekt sei das gewesen, um Dramaturgien zu entschlüsseln und im Zuge der literarischen Selbstfindung zu adaptieren. Schließlich machte Andreas Eschbach noch einen Guttenbergwitz, dann war der Abend vorbei.