Rauschende Gesteinsmassen

GEOHAZARD Erdrutsche lösen oftmals Katastrophen mit vielen Todesopfern aus. Um gefährliche Erdbewegungen vorhersagen zu können, sind weit mehr Kenntnisse über die Ursachen notwendig

Pokhara lässt Oliver Korup keine Ruhe. Die in Neapel, im Himalaja, gelegene Region gibt nicht nur dem Geologen an der Universität Potsdam noch immer Rätsel auf. Wie das Tal entstand, und wie sich der nahe See und die fruchtbare Ebene inmitten der zerklüfteten Berglandschaft geformt haben, darüber sind sich Wissenschaftler bis heute nicht einig.

„Nirgendwo ist der Punkt, an dem sich das Ganze klärt“, stellt Oliver Korup fest. Deshalb plane er weitere Expeditionen nach Pokhara. Seit 2013 lehrt Korup in Potsdam. In Neuseeland promovierte der aus Ansbach stammende Forscher nach einem Studium in Würzburg, um dann in einer schweizerischen Forschungsanstalt als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Naturgefahren der Alpen zu untersuchen. Korup beschäftigt sich mit Geohazards, also Naturgefahren. Das sind plötzliche, unvorhersehbare Vorfälle in Bergmassiven, Gesteinsschichtungen oder Flussverläufen, wie Erdbeben oder Erdrutsche, die massive und für den Menschen gefährliche geologische Veränderungen mit sich bringen können.

In den Bergregionen Tibets rutschen häufiger Erdmassen aus höher gelegenen Regionen ins Tal. Korup berichtet von 100 Millionen Kubikmetern Gesteinsmassen, die am 9. April 2000 im östlichen Tibet innerhalb von 10 Minuten ins drei Kilometer tiefer gelegene Tal rumpelten und dort unverzüglich den Fluss Yigong stauten.

Die von einer Minute zur anderen entstandene Staumauer und der Stausee kosteten nicht nur mehr als hundert Menschen das Leben. Der Bergrutsch warf auch die bange Frage auf, was mit dem Wasser geschehen würde, wenn das Tal voll gelaufen sein würde. Deshalb wurde ein Kanal gestochen. Der sollte den Damm entlasten, löste aber aber eine Flutwelle aus. Die kostete am unteren Flussverlauf noch einmal mehr als hundert Menschen das Leben. Hatten die chinesischen Behörden es verpasst, ihre indischen Kollegen auf die heran rauschenden Wassermassen hinzuweisen?

Derartige Instabilitäten von natürlichen Staumauern und ihre Folgen fänden häufiger statt, so Korup. Im vergangenen Jahrhundert seien mehr als eine viertel Million Menschen durch Verschiebungen von Erdmassen ums Leben gekommen. Die Kenntnis über die Ursachen und die Vorhersagbarkeit dieser geologischen „Schwarzen Schwäne“ lasse dennoch zu wünschen übrig. Deshalb will sich Korup in den kommenden Jahren weiterhin in Pokhara durch Gesteinsschichten bohren, Proben entnehmen und Geländeformationen am Bildschirm analysieren.

„Es gibt verschiedene Thesen, wie das Tal entstanden sein könnte“, sagt der Forscher. Das malerisch gelegene, sehr fruchtbare Tal könne durch viele kleine Katastrophen oder auch durch ein gewaltiges Beben entstanden sein. Niemand wisse bisher Genaues. Nicht sehr wahrscheinlich sei, dass die bis zu hundert Meter mächtigen Schwemmflächen sich gemächlich über die Jahrtausende angelagert hätten.

Auch lokale Mythen ließen anderes vermuten. „Um dem Bhim Kali ranken sich einige Legenden“, so Korup. Der gewaltige Gesteinsblock soll bei einer Flut ins Tal von Pokhara getragen worden sein, als die Stadt dem Mythos zufolge vor 500 Jahren zum Sündenpfuhl mutierte. Jedenfalls liege der Felsbrocken nun auf dem Campus der Universität, 50 Meter über dem ursprünglichen Flussbett, wo er hingehört hätte. Erkenntnisse, die er mit seinen Studenten in Nepal gewinne, könnten beispielhaft auf andere Regionen angewandt werden, hofft der Potsdamer Professor. RICHARD RABENSAAT