MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND
: Frühzeitliche Feinmechanik

Die Fotokultur julioiglesiasiert sich. Verstehen Sie nicht? Ganz einfach: Menschen können so schön hässlich sein

Eigentlich hatte ich nie viel fürs Fotografieren übrig. In einem nicht unbedeutenden Teil meiner Jugend habe ich es sogar abgelehnt. Ich wollte den Augenblick genießen, das Leben leben, wie es kommt, und die Zeit nicht damit verplempern, auf Fotos zu starren, die das Leben ja doch nicht wiedergeben können. Aus diesem Grunde habe ich keine Fotos von den drei, vier Mädels, die in meiner Hoch- und Spätpubertät kurzfristig auf mich hereingefallen waren. Das ärgert mich heute sehr.

Erst als die Liebste in mein Leben trat, legte ich mir einen Fotoapparat zu, und ich wurde zu einem begeisterten Knipser. Ein Knipser, mehr nicht. Mit einer einfachen Kleinbildkamera. Und wie habe ich immer den Moment geliebt, die Fotos im Drogeriefachgeschäft abzuholen und noch im Auto, mit zitternden Händen, anzugucken. Was für einen Mist ich wieder fotografiert hatte! Und wie blöd ich aussah auf den Fotos, wenn mal jemand anders geknipst hatte!

Und dann kam die digitale Fotografie. Als meine letzte Kleinbildkamera kaputtging, stellte ich fest, dass es keine neue mehr gab, und widerwillig kaufte ich eine Digitalkamera. Dabei fand ich diese Situationen schon immer zum Abgewöhnen, wenn die Leute sich erst mit dämlich ausgestreckten Armen knipsten, um sich dann giggelnd über das Display zu beugen, das Bild hässlich zu finden und es gleich wieder zu löschen. Alles, was nicht gleich begeistert, wird sofort vernichtet. Oder schlimmer noch: digital bearbeitet. Ich hasse das. Früher lachte man über Julio Iglesias, der sich ausschließlich von links fotografieren ließ, weil er seine rechte Seite unattraktiv fand. Man war sich einig: Die linke sah auch nicht besser aus – ein Spinner. Trotzdem benehmen sich jetzt alle so: hässliche Seite löschen, gute aufhübschen, und am Ende sehen alle gleich aus. So ein Mist, aber ehrlich.

Ich konnte mich nie ans digitale Fotografieren gewöhnen. Vielleicht bin ich einfach zu verkalkt dazu. Meine Kinder haben Monate gebraucht, um mir das Schreiben einer SMS beizubringen. Mit dem digitalen Fotoapparat ging es nicht besser. Die Knöpfe sind so klein, dass ich mit meinen Bauernpranken immer gleich mindestens zwei auf einmal drückte. Ich besitze die Kamera seit zwei Jahren, und seit ich a) geschnallt habe, wie sie funktioniert, und mich b) feinmotorisch entsprechend trainiert habe, um einzelne Bedienungselemente zu betätigen, habe ich acht Fotos gemacht. Alle waren doof, weil der Apparat erst etwa zwei Sekunden, nachdem ich auf den Knopf gedrückt hatte, ausgelöst hat. Wenn ich lebende Objekte ablichten wollte, dann waren sie längst weiter gegangen und nicht mehr im Bild.

Als wir uns zuletzt mit der Familie meiner Liebsten zum Kaffee trafen, heulte ich mich nach Kräften darüber aus. Kopfnicken allenthalben, aber sie sagten auch, es sei doch so praktisch, blabla, gleich löschen, wenig Papierverbrauch, doch ich bestand auf meinem Ekel und beklagte lauthals die Julioiglesiasierung der Fotokultur und das Verschwinden des zufällig grandiosen Schnappschusses. Da erbarmte sich mein Schwager und versprach, mir seine alte Kleinbildkamera zu schenken. Letzte Woche kam sie mit der Post. Als Absender hatte er auf den Karton geschrieben: „Museum für frühzeitliche Feinmechanik und Gebrauchselektronik“.

Ich freute mich sehr. Endlich kann ich wieder echte Fotos machen, mich über schön normal hässliche Menschen freuen und sie irgendwann zu wunderbaren Schnipselkollagen verarbeiten. Wenn ich dann in Rente bin.

Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein Foto: privat