Die Automaten sind stärker

GLÜCK Schleichend wird Deutschland zur Spielhölle. Die Menschen verzocken ihr Geld jedoch nicht in mondänen Spielcasinos, sondern in verschatteten Spielotheken. Die Betreiber verdienen, die Spieler verlieren. Nicht wenige von ihnen sind süchtig

■  Der Wunsch: Die sonntaz berichtet wöchentlich über ein Thema, das eine Leserin oder ein Leser vorgeschlagen hat. Diesmal kam die Idee von taz-Genossenschaftsmitglied Bruno Fischer, der uns mailte: „Mein Recherchevorschlag ergibt sich aus einer neulich gehörten Radiosendung. Dort war die Rede davon, dass viele Kommunen gerne mehr rechtliche Möglichkeiten hätten, gegen die Etablierung von Spielhallen vorzugehen, sie aber vom Bundeswirtschaftsministerium dabei nicht unterstützt würden, in dessen Zuständigkeit die Ausarbeitung diesbezüglicher Gesetzesvorlagen fiele. Ich fände es interessant zu erfahren, wie das Ministerium seine Untätigkeit begründet.“ Wir haben diese Anregung zum Anlass genommen, uns über diese konkrete Frage hinaus ganz grundsätzlich mit dem Thema Spielsucht zu befassen.

■  Der Weg: Senden Sie Ihre Anregung per E-Mail an open@taz.de oder mit der Post an die tageszeitung, Redaktion sonntaz, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

VON WALTRAUD SCHWAB

Der Mann will keinen Namen haben. Gehetzt bewegt er sich von einem Raum der Spielhalle in den anderen. Er läuft von einem Spielautomaten, in den er Geld steckt, zum nächsten, in den er Geld steckt. Von Admiral Crown, zu Panorama, zu Super Star, zu Big 20 Joker, zu Gladiator, zu Mega Zack, zu Admiral Crown, zu Panorama. Er sieht nicht nach rechts, nicht nach links. Grauhaarig ist er, untersetzt, sein Hinterkopf flach, sein Rücken steif. Immer enger zieht er seine Runden um die Geräte, die ihm das blecherne Doiingdoiingdoiingdoong, Doiingdoiingdoiingdoong, Doiingdoiingdoiingdoong in den Schädel hämmern, zum verrückt werden, bis die Spiele in seinem Kopf explodieren: Always Hot, Sizzling Hot, Dolphins Pearl, Queen Of Hearts, Magic Kingdom, Fruits On Fire, Chip Runner, Lucky Pharao, Volcano Cash, Book of Ra, Hold & Win. Es ist drei Uhr am Nachmittag im Orion Casino in Egelsbach bei Frankfurt. Draußen scheint die Sonne. Drinnen kalter Rauch und flirrendes Halbdunkel.

„Hundert bitte“, ruft der Grauhaarige der Frau im gelben Pulli und mit Igelfrisur zu, als er von einem Automatenraum in den anderen hastet. Sie steht hinterm Tresen. Auf dem Rückweg von Gladiator legt er ihr einen Hundert-Euro-Schein hin und nimmt die fünfzig Zwei-Euro-Münzen in einem Becher in Empfang, als wäre es Spielgeld. „Willst was trinken?“, fragt die Frau. Getränke sind umsonst. Alkohol ist verboten. Er reagiert nicht. „Das sind so liebe Leute, egal ob Türken, Araber, Marokkaner“, sagt die alleinerziehende Mutter von fünf Kindern in einem weichen Ton, als wolle sie trösten. Früher hat sie an der Aral-Tankstelle in Dietzenbach gearbeitet. „Also immer schon was mit Menschen.“ Die Arbeit in der Spielhalle gefalle ihr besser. Kann es sein, dass einer am Abend tausend Euro verspielt? „Da achten wir nicht drauf.“

Geldspielautomaten sind auf die politische Agenda gerutscht. Es gibt zu viele von ihnen. Über 210.000 sind in Deutschland aufgestellt, weiß das Bundeswirtschaftsministerium. Hochgerechnet auf die Einwohner, ist die Spielhallendichte in Egelsbach am höchsten. Dort kommt ein Automat auf 65 Leute. Im Bundesdurchschnitt sind es sechsmal so viele. Drei Viertel der Automaten stehen in Spielhallen, die anderen in Gaststätten. Ortskerne in kleinen Gemeinden veröden, die Spielhalle bleibt. Und Einkaufsstraßen in den sozial schwachen Bezirken der Großstädte werden mit Spielotheken gepflastert. Wie die heruntergekommene Müllerstraße in Berlin. In zehn Häusern nebeneinander sechs solche Läden: „By Mio“, „Café 1-Nett-Café“, „X-Alcatraz“, „Chicago“, „Always 77 Hot 77“, dazu die Sportbar. Mit verspiegelten Scheiben, geöffnet Tag und Nacht.

„Je mehr Spielautomaten, desto mehr Spieler“, sagen Suchtberater. Sie schlagen Alarm: Eine halbe Million süchtige Spieler gebe es. Und drei Millionen, deren Spielverhalten problematisch ist, die nicht aufhören können, die sich verschulden, die ihre sozialen Beziehungen vernachlässigen. Achtzig Prozent davon hängen an den Automaten. Selbst der Europäische Gerichtshof mahnte kürzlich an, dass die Bundesregierung konsequenter gegen die Automaten-Spielsucht vorgehen müsse.

Geldspielgeräte fallen nicht unter das Staatsmonopol wie die Spielbanken, Lotto und Toto. Offiziell gelten sie als „Unterhaltungsspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit“ und nicht als Glücksspiel. Der Gesetzgeber nimmt an, dass man sich am Automaten nicht um Kopf und Kragen spielen kann. Dass das lächerlich ist, weiß Andreas Utzki. Er ist Spieler. Mit 17 angefixt an einem Automaten in einer Kneipe. Einer der alten Bauart, einer, der noch langsam war. Utzki kassierte den Höchstgewinn, 240 Euro. Und tags darauf noch mal.

Faszination

Heute ist der Spielautomat ein Computer. „Die Walzen virtuell“, sagt Utzki. Eigentlich muss nur ein Knopf gedrückt werden. Im Fünfsekundenmodus. Knopfdruck, Spiel, Knopfdruck, Spiel. Gewinnt man Freispiele, kann man auf Risiko setzen. Fünf Spielkarten werden aufgedeckt und auf dem Bildschirm angezeigt. Wird die nächste eine rote oder schwarze sein? Rot drücken. Eine schwarze Karte kommt. Verloren. Weiterspielen. Acht Jahre hängt Utzki, ein nachdenklicher, schlaksiger Typ, der Blickkontakt nicht ausweicht, schon am Automaten. Er durchschaut, was passiert. Er kann darüber reden. Trotzdem. Tausende von Euro hat er verspielt und Beziehungen in den Sand gesetzt, erzählt er in einem Café neben einer Spielothek auf der Friedrichstraße in Berlin. Er versucht, die Faszination zu erklären, die ihn packt, wenn er an der Maschine sitzt. Alles mache den Reiz aus, sagt er, das Blinken, die Farben, die Geräusche, die Freispiele, die Herausforderung. „Er ist ein Computer. Ich bin ein Mensch. Man bildet sich ein, man könne den Automaten überlisten. Hat man einen Gewinn, will man ihn verdoppeln. Man drückt so schnell, Gewinn, Risiko, Knopfdruck, verloren, Knopfdruck, nochmal verloren. Kalte Hände, nasse Hände. Du und der Knopf. Du und der Knopf.“

Utzki sitzt im dünnen Blouson im Café und trinkt Tee. Er will reden, weil er eigentlich nicht mehr spielen will. Pyrotechniker ist er. Und Koch. Spezialisiert auf vergänglichen Genuss. Aber den Job als Koch hat er aufgegeben. Oft war er zu müde zum Arbeiten, wenn er die Nächte vor dem Automaten verbrachte und sich an ihm abkämpfte, als wäre er jemand, den er begehrte. „Man spricht ihn an, als wäre er ’ne Frau“, sagt Utzki. Verliert er: „Hach, die Frauen lieben uns nicht.“ Hat er Freispiele, wird die Maschine zur Table-Tänzerin: „Jetzt zeig mir mal, was du zu bieten hast.“ Ist er lange am Automaten gesessen und wie verschmolzen mit ihm: „Ich spüre, dass du bald kommst, dass du bald werfen willst.“ Gewinnt er, hat der Automat ihn verstanden. Angesprochen auf seine realen Beziehungen, sagt er: „Eine Frau kann mir Liebe geben, aber keinen Gewinn.“

Anders als in den Spielbanken gibt es für Automatensüchtige keine Möglichkeit, sich sperren zu lassen, damit sie nicht mehr spielen können. Mechthild Dyckmans, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung mit FDP-Parteibuch, sagt, dass sie die Geldspielgeräte wenigstens aus Gaststätten, Tankstellen, Einkaufszentren und Flughäfen verbannen will – aus Jugendschutzgründen. Studien, darunter eine von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, zeigen, dass sich die Zahl der jungen Menschen bis zwanzig Jahre, die exzessiv spielen, zwischen 2007 und 2009 mehr als verdoppelte und in 98 Prozent der Fälle sich kein Wirt in Gaststätten um den Jugendschutz schert.

Trotzdem, seit ihrem Vorstoß schlägt Dyckmans Entrüstung entgegen. Ihr Parteikollege, Gesundheitsminister Philipp Rösler, ist dagegen. Dyckmans lässt sich nicht beeindrucken. „Ich stehe zu meinem Vorstoß.“ Die Spielverordung von 2006 sei eine Liberalisierung gewesen. Man hat die Spieldauer verkürzt, die Verlustsumme angehoben, mehr Geräte zugelassen, „die stehen jetzt überall“, sagt sie. „Man wollte das Spielen interessanter machen und hat nicht gesehen, dass die Abhängigkeit steigt. Vor allem bei Jugendlichen und bei Migranten.“ Sowie bei Frauen. Vierzig Prozent mehr Geld wird seit 2006 in die Automaten gesteckt, mehr als acht Milliarden Euro im Jahr. Höchstgewinne, Höchstverluste, Schnelligkeit – alles müsse wieder auf ein verantwortbares Maß zurückgeschraubt werden, fordert sie. „Der Spielerschutz ist vernachlässigt worden.“

Knopfdruck

In Gaststätten dürfen maximal drei Geldspielgeräte hängen. Ungefähr 1.500 Euro werfen die Spieler im Monat da rein. In Spielhallen, wo laut Gesetz zwölf Geräte aufgestellt werden für eine Konzession, sind es 4.500 Euro, die monatlich in jedes reingesteckt werden. Das geht aus aktuellen Untersuchungen hervor. Viele Spielhallen haben mehrere Konzessionen. Eine Voraussetzung: Es muss separate Räume für jede Konzession geben. Ein Problem ist das nicht. Die Hallen werden unterteilt und bekommen symbolische Eingänge – wie im Egelsbacher Orion-Casino. Dort hängen 56 Automaten.

Im Orion kommt der Grauhaarige schon zum dritten Mal an den Tresen. „Hundert bitte.“ Er ist nicht der Einzige. Einer mit osteuropäischem Akzent schiebt ebenfalls einen Hunderter über den Tisch. Dazu will er einen Kaffee komplett. Die Frau im gelben Pulli rührt ihm Milch und Zucker hinein. „Ist deine Gattin auch da?“ Kurz darauf kommt eine Blonde in den Raum, ihr Gang vorsichtig, katzenhaft, und setzt sich an ein Gerät versteckt in der Ecke. „Da ist sie ja.“ Ihr Mann nimmt den Kaffee. Was finden Sie hier? „Adrenalin“, sagt er und läuft davon, während der Grauhaarige angerufen wird. „Efendim“ – seine Stimme ganz weich. Er eilt zur Eingangstür. Dort ist das Scheppern, Rattern, Klirren der Automaten – ein durchstartendes Auto, eine Salve, ein Weckerklingeln – nicht so laut.

Die Frau im gelben Pulli hinterm Tresen erzählt derweil, dass sie nach Kanada auswandern würde, wenn sie die Kinder nicht hätte, und dass wir froh sein könnten, dass Prostituierte uns die Drecksarbeit abnehmen, weil sonst noch mehr Frauen vergewaltigt würden. Ein kleiner Mann, der am Tresen steht, nickt. Warum spielen Sie nicht? „Kein Geld mehr“, sagt er. Und wenn Sie noch Geld hätten? „Dann spiele ich. Geld oder kein Geld ist gleich.“ Sind Sie arm? „Ja.“ Und die anderen, die spielen? „Egal wer spielt, keine Chance.“ Verkäufer sei er gewesen, bevor er auf Hartz IV kam, aus Arabien sei er. Aber da wolle er jetzt auch nicht sein. Sind Sie traurig? „Ja, Depressionen“, sagt er. Und der Grauhaarige sagt: „Hundert bitte.“ Der ist doch voll drauf? Da nickt die Frau im gelben Pulli. „Für manche sind tausend Euro viel, für andere nicht.“

Risiko

„Spieler sind Schauspieler“, sagt Andreas Koch, von Café Beispiellos, der größten Beratungseinrichtung für Spielsüchtige in Berlin. „Sie können den Schein wahren.“ Sie torkeln nicht, sie lallen nicht, sie übergeben sich nicht, sie wachen nicht auf im eigenen Urin, ihr Kopf fällt nicht auf den Tresen, ihre Arme sind nicht verstochen, sie dämmern an keiner Mauer dahin.

„Ja, äußerlich kann ich mich kontrollieren“, sagt Utzki, der Berliner Spieler im Café. Er ist froh, dass hier kein Automat hängt. Die Faszination am Gerät, das nämlich sei die Sucht. „Man kann gewinnen. Man kann auch verlieren. Man geht rein und ist mit Leuten zusammen, die haben das gleiche Problem. Man zeigt denen die Bilder, die man am Automat hat, die ganz knapp an einem Gewinn vorbeischrammen. ‚Guck dir das an‘, sagt man. ‚Du spielst wohl gerade mit mir, dabei wollte ich mit dir spielen. Du bist ein Scheißautomat.‘“ Und wenn Sie rausgehen nach Stunden und alles verloren haben? „Man kommt raus, will nicht heulen, heult doch.“ Er hat 50 Euro dabei, mehr will er auf gar keinen Fall verspielen diese Nacht.

Ginge es nach Paul Gauselmann, dann wären Utzki und der Grauhaarige, der an mehreren Automaten gleichzeitig spielt, obwohl das eigentlich nicht vorkommen soll, nur eine Fantasie. Etwas Erfundenes, um Stimmung zu machen, gegen unschuldiges Vergnügen. Mit aller Macht möchte Gauselmann, der gern Spielautomatenkönig genannt wird und Vorsitzender des Verbandes der deutschen Automatenindustrie ist, das Daddeln als Unterhaltung verstanden wissen, als Spielglück, nicht Glücksspiel. „Gewinnen will jeder“, sagt er und zeigt seine Spielothek, ein viereckiger Klotz mitten im Zentrum von Espelkamp, als wäre sie das Theater. In Espelkamp, einem Ort in Ostwestfalen, der nach dem Krieg auf einem Munitionslager entstand, hat Gauselmann seinen Firmensitz. Ein Ort – fast sein eigener.

Er habe immer gespielt, sagt Gauselmann und prüft mit blauen Augen, die durch die Brillengläser noch größer wirken, ob er sein Gegenüber für sich gewinnen kann oder nicht. „Früher, in den Bombennächten, spielten wir Halma, Mensch-ärgere-dich nicht.“ Da war er noch ein Kind. So hat er den Schrecken und die Angst kleingekriegt. Und heute, als einer, der ein Dreivierteljahrhundert hinter sich hat, als einer, der gern feinen Zwirn trägt und mit dem zweifarbigen Kinnbärtchen ganz Dandy ist, spielt er immer noch gern. „Streit-Patience mit meiner Frau am Sonntagmorgen oder Rummy-Cup.“ Wenn halb Zufall, halb Geschicklichkeit gefragt seien, gewinne er meistens. „Gewinnen wollen, das ist im Menschen drin“, meint er und wirft zwei Euro in einen seiner Automaten. Er wählt „Diamonds & Fruits“, drückt die Taste für fünf Cent – den niedrigsten Einsatz. „Ich bin nicht risikofreudig.“ Die Bilder, Zitronen, Melonen, Kirschen, Pflaumen, Trauben Glocken sind drauf, surren vorbei, halten, es sind keine gleichen Bilder in einer Gewinnreihe, sie rauschen weiter, halten, rauschen weiter, halten, dann bilden sie ein gewinnträchtiges grafisches Muster, versehen mit Diamanten – dingdongding. Er kriegt ein paar Freispiele. „Ich habe nicht immer gewonnen, aber meistens.“ Ob er auch verlieren könne? Er nickt. Sein Pressesprecher schüttelt den Kopf.

Die Gauselmann AG ist Marktführer in Sachen Spielautomaten. Merkur heißt seine Casinokette – verziert mit einer lachenden Sonne. 400 Spielotheken hat die Gauselmann-Gruppe in zehn europäischen Ländern, dazu ein großes Fertigungswerk. 50.000 Geräte gehen vom Band jedes Jahr, 6.300 Menschen beschäftigt er. Seine Geräte stehen in fast jeder Spielhalle, nicht nur den eigenen. Er ist der McDonald, der McFit, der McClean des Glücksspiels. Unternehmensumsatz im letzten Jahr: 1,5 Milliarden Euro.

Gauselmann will gewinnen. Wie? Mit allen Mitteln – mit Worten, mit Glück, mit Aufmerksamkeiten, mit Loyalitäten. Gerade ist er in den Schlagzeilen, weil er sich ein System ausgedacht hatte, wie er den Parteien Geld zukommen lassen kann, ohne dass diese Spenden mit ihm in Verbindung gebracht werden. Bei Gauselmann fließen Beträge, so niedrig, dass sie nicht deklariert werden müssen. Wohl aber spenden nicht nur er, sondern auch seine leitenden Angestellten. Offen ist, ob sie es freiwillig tun.

Freispiel

Das Gauselmann’sche Spendenlotto entspricht der Spielautomatenlogik: hier ein paar Bonuspunkte, dort ein paar Freispiele – am Ende sind viele bereit, den Einsatz zu erhöhen. Bei Gauselmann wird um die Gesetzgebung gepokert. Die letzte Novellierung des Spielstättengesetzes 2006 brachte der Branche nur Vorteile. Jetzt, wo das Gesetz wieder verschärft werden soll, hat er den Klagemodus eingestellt: „Ich fühle mich ungerecht behandelt. Die Länder betreiben das Spiel und kassieren, und uns wird in die Schuhe geschoben, dass von uns der größte Mist kommt.“

Die Politik spielt dem Lobbyisten in die Hände mit Ambivalenz. Zum einen verdient der Staat am Automatenspiel durch hohe Steuereinnahmen. Zum anderen ist es eine Konkurrenz zu den staatlich betriebenen Spielcasinos und dem Lotto. Auch auf der kommunalen Ebene sind die Politiker erpressbar: Ein Spielcasino bringt Steuern. Ein leerstehender Laden nicht. Für einen wie Gauselmann sind solche Widersprüche ideale Voraussetzungen fürs Gewinnen. Die Spielbanken hätten in den letzten Jahren an Attraktivität verloren. Das solle jetzt wieder gutgemacht werden, indem man das Automatenspiel erschwere, argumentiert er. Und dass es so viele Spielkaschemmen auf Einkaufsstraßen gebe, liege an den Kommunen, die ihre Bauverordnung nicht konsequent anwendeten, meint er. Immerhin in Berlin ist nun ein Gesetz in Vorbereitung, um die Zahl der Spielcasinos zu begrenzen. Die Prävention, meint Gauselmann, sei nur vorgeschoben. Die Automatenindustrie habe mit ihren Warnhinweisen und Selbstverpflichtungen mehr gegen die Spielsucht getan als der Staat, der nur kassieren wolle. „Es wird doch keiner gezwungen, in eine Spielhalle hineinzugehen.“

Utzki sieht es anders. Mit eingezogenen Schultern geht er in der Kälte vom Café zur Spielothek. „Das ist wie ein Magnet, der anzieht. Nur kurz Tag sagen, eine rauchen, gut, ein Automat ist frei.“ Und was geben Ihnen die Automaten? „Die Antwort ist einfach. Sie geben sich. Mir gibt niemand sonst die Ruhe. Mir gibt niemand sonst ein Spiel auf seine Kosten. Mir gibt niemand sonst die Bilder, die Geräusche. Ein Automat gehört dazu. Zum Sinn des Lebens.“ Ob er keinen anderen Sinn kenne? Die Frage scheint ihn zu erschrecken und es dauert, bis er eine Antwort findet. „Früher bin ich öfters in Urlaub gefahren.“

Zum Pflichtprogramm beim Besuch Gauselmanns gehört eine Werksbesichtigung, bei der alles so inszeniert wird, als würden hier Wunder gefertigt. „Spielepakete“ und „Jackpottschnittstellen“ werden zusammengeführt, „Münzsäulen“ entwickelt, mit deren Hilfe das Geld in die Automaten fließen kann wie Wasser zum Wasserfall, und „Gewinntests“ demonstriert. Die Denkwerkstatt aber, in der die Verführung geplant wird, die Farb- und Geräuschkulisse, das Glitzern, Klimpern, Blenden, Rattern, Tönen, die Spielersoftware, die logistische Analyse der Spielgeschwindigkeit, die komplizierte Logik der Gewinne und Beinahgewinne, wird bei dem Rundgang ausgespart. „Ja, die Geräusche sind wichtig“, sagt der Pressesprecher. Die Prüfstellen haben angesichts der computergesteuerten Logik resigniert, geht aus dem Bericht des Wirtschaftsministeriums hervor: Sie kontrollieren nur noch, ob der Automat die Geschwindigkeit einhält, den Stundenverlust, den Stundengewinn. Aber wer setzt die Erkenntnisse aus Psychologie und Hirnforschung um, entwirft all die Spiele, die herabfallenden Herzen bei Queen of Hearts, Book of Ra mit Buchstaben, die wie Hieroglyphen aussehen sollen, Sizzling Hot mit Chili hier, scharfe Sachen da? Da gebe es Entwicklungswerkstätten. Und später sagt Gauselmann, es sei nicht einfach, „den Nerv zu treffen von der jungen Frau zur alten Frau, vom jungen Mann zum alten, aber wir bemühen uns“.

Sucht

Alles ganz normal also. Alles gut. Die eigenen Hühner und die schottischen Rinder im Garten der Gauselmanns, die Sonnenkollektoren auf der Fabrikhalle, das Alkoholverbot in der Spielothek, der Warnhinweis auf den Automaten. Und trotzdem fühlen sich Gauselmann, sein Referent für Grundsatzfragen, der Pressesprecher und die Präventionsberaterin, die zum Gespräch mitkommen, in der Defensive, denn die ostwestfälische Provinz lebt davon, dass Leute viel Geld in Maschinen stecken, auf fließende Bildchen starren und verlieren. Mit Geldvernichtung wird Geld gemacht. Die gebotene Dienstleistung: nicht gehaltene Versprechen. In Gauselmanns Worten: „Unterhaltung.“ Im Durchschnitt werden 71 Prozent des Spielereinsatzes wieder ausgezahlt. Gauselmann meint, weil der Einsatz an den Maschinen in seinen Spielotheken in Punkte umgerechnet werde, seien es mehr. Die Rechnung ist kompliziert und ein Trick, die Richtlinien zu umgehen. Denn in Geld soll ein Spieler laut Spielverordnung pro Stunde nicht mehr als 80 Euro einsetzen, im Durchschnitt 33 Euro verlieren und maximal 500 Euro gewinnen können. Weil aber mit Punkten gespielt wird, nicht in Euro, sind alle Vorgaben ausgehebelt und die Zählwerke laufen weiter. Utzkis Höchstgewinn: 1.400 Euro. „Ich war wie in Trance.“ Als er das Geld tags darauf abholte, hat er Runden geschmissen für alle.

In Gauselmanns Chefetage bringt die Defensive, in die er geraten ist, dennoch schöne Sätze hervor:

Gauselmann: „Ist es so schlimm, wenn alles kostet?“

Der Pressesprecher: „Ein Automat kann nicht süchtig machen. Den kann man nicht rauchen, schnupfen oder trinken.“

Der Referent für Grundsatzfragen: „Der Spieler definiert den Sinn.“

Und auf die Frage, ob es der besondere Reiz der Spielotheken sei, jemanden scheitern zu hören, antwortet Gauselmann: „Wenn es so wäre, wie Sie es sehen, hätten wir fünf Millionen doofe Gäste.“

Utzki aber, der Berliner Spieler, der in der Spielothek steht und auf jedes Geräusch achtet – da Freispiele, dort Risiko, da drüben verloren –, will spielen, will nicht spielen, will spielen, will nicht. Er kämpft, bleibt stehen zwischen Tür und Automaten, erstarrt. Einmal schaffte er es, ein halbes Jahr nicht zu spielen, und fing wieder an. Er steht da und seine Hände sind feucht. „Bei mir ist das ’ne Kopfsache. Ich kann aufhören zu rauchen, aber wenn einer sagt, hör auf zu spielen, das geht nicht. Wie blöd muss ich sein.“

Waltraud Schwab ist sonntaz-Reporterin. Sie spielt gern Scrabble mit ihrem neunjährigen Neffen. Neue Wörter sind dabei erlaubt. Neulich kamen „Rosenatem“, „Quallenwut“ und „Seeseglerzorn“ vor